Der Konflikt zwischen der Führung des VW-Konzerns und der IG Metall bestimmte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres die wirtschaftspolitischen Schlagzeilen. In Echtzeit konnte man beobachten, wie eine Unternehmungsleitung aufgrund schlechter konjunktureller Entwicklungen und den Folgen eigenem Missmanagements schließlich nur noch in der Aufkündigung der Sozialpartnerschaft einen Ausweg erblicken mochte. Und wie Betriebsrat und Gewerkschaft mit großem Engagement die größten Härten für die Arbeitnehmer*innen abmildern konnten. Angesichts der Transformation, in der sich die nationalen „Wirtschaftsstandorte“ schon längst befinden, werden solche Arbeitskämpfe zukünftig wohl zunehmen, auch in der Heftigkeit ihrer Austragung. Untenstehend ein kurzer Überblick, wie im vergangenen Jahr die Themen Arbeit und Arbeitsbeziehungen in Comics, grafischer Literatur und Buchillustration aufgegriffen und verhandelt wurden.
Kuhhirte im Stress
Im neuesten Album des Zeichners Achde und des Szenaristen Jul (LETZTE RUNDE FÜR DIE DALTONS) schließt Lucky Luke, der ja eigentlich gar nicht so einsame Westerner, eine folgenreiche Bekanntschaft mit deutschen bzw. deutschstämmigen Siedlern in „Neumünchen“ (ein solches existiert als „New Munich“ im Bundesstaat Minnesota tatsächlich). Die Bewohner des Towns sitzen nämlich gerade auf dem Trockenen, weil ein Arbeiterstreik in den Fabriken der „Bierstadt“ Milwaukee den Nachschub am allseits beliebten Gerstensaft zunehmend versiegen lässt. Und so lässt sich der Cowboy – wenn auch nur mit großem Widerstreben – darauf ein eine Gruppe von Strafgefangenen zu beaufsichtigen, die als Streikbrecher in den Fabriken des Bierbarons Mr. Martz eingesetzt werden sollen. Rein zufällig befinden sich unter diesen mit den Dalton-Brüdern auch Mr. Luke’s ewige Widersacher. Während es dem Cowboy und Kopfgeldjäger eher ein Leichtes ist, mit den Daltons fertig zu werden und sie an der Ausübung ihrer sinistren Pläne zu hindern, fällt ihm die Vermittlung im Arbeitskampf schon wesentlich schwerer. Als aber in der Bierfabrik der Zentralkessel explodiert, sieht der Brauereibesitzer schließlich ein, dass er seine gelernten Arbeiter nicht einfach so ersetzen kann. Den erfolgreichen Abschluss der Verhandlung zwischen Bossen und Gewerkschaften kommentiert Lucky Luke gewohnt lakonisch: „Man muss das Streikbeil auch begraben können.“

Er*Sie möchte lieber nicht
Bereits 1853 erschien Herman Melvilles kurze Erzählung über den Schreibgehilfen BARTLEBY, der in der Kanzlei eines Anwalts bzw. Notars seiner Aufgabe – das Kopieren von Akten – mit Fleiß und Akribie nachkommt, die Ausführung aller anderen Arbeitsaufträge jedoch mit dem stets wiederholten lapidaren Ausspruch „I would prefer not to“ ablehnt. Als er später auch das Kopieren selbst ablehnt und sich aber zugleich weigert, den Arbeitsplatz zu verlassen, bezieht der Anwalt (ohne es recht erklären zu können) eine neue Kanzlei.
Das „Problem“ Bartleby überlässt er den Nachmietern, die diesen wiederum ohne Zögern der Polizei übergeben. Indem er, mittlerweile ins Gefängnis gesteckt, dort jegliche Kommunikation und Nahrungsaufnahme ablehnt, verweigert er sich schließlich dem Leben selbst. Ob Bartleby angesichts dieses jämmerlichen Endes tatsächlich als Posterboy des „Quiet Quitting“-Trends in der Arbeitswelt 4.0 taugt, wie oftmals behauptet, mag dahingestellt sein, aber unbezweifelbar liegt ein Verdienst der Erzählung darin, dass sie schon früh auf Fragen der Belastung und Entfremdung auch in so genannten „Büroberufen“ aufmerksam gemacht hat.
Die Büchergilde Gutenberg hat eine interessante Neuausgabe des Klassikers aufgelegt, versehen mit zahlreichen Abbildungen der in Kolumbien geborenen und mittlerweile in Leipzig lebenden Illustratorin Stefhany Y. Lozano. Das in Melvilles Novelle triste und graue Arbeitsumfeld der Notare und Kopisten wird in eine Bildwelt kräftiger Farben und streng geometrischer Formen übersetzt, dem ursprünglich männlichen Bartleby werden weiblich zu lesende äußerliche Attribute zugeschrieben. Die Bilder emanzipieren sich so von der Zeit der Entstehung des Textes, auf diese Weise ergeben sich schließlich neue Perspektiven auf die Arbeitswelt und ihre Herausforderungen in der heutigen Zeit.

Bauer, Dichter und Sozialreformer
Franz Michael Felder, in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgewachsen in einfachsten kleinbäuerlichen Verhältnissen und von früh an von gesundheitlichen Problemen geplagt, setzte sich mit der Gründung einer Käsereigenossenschaft und der frühsozialistischen „Voralberg’schen Partei der Gleichberechtigung“ schon in jungen Jahren für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen in seiner landwirtschaftlich geprägten Heimatregion ein. Neben dem unermüdlichen sozialreformerischen Aktivismus gab es eine zweite Leidenschaft Felders: Inspiriert von den realistischen und sozialkritischen Erzählungen Jeremias Gotthelfs über das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert verfasste er eigene autobiografisch geprägte Texte, die dem Genre der Dorfgeschichte zuzuordnen sind. Bereits im Alter von 29 Jahren erlag er, wenige Monate nach dem Tod seiner Frau, den Folgen einer Lungentuberkulose und hinterließ fünf Kinder.

Der Autor Heinz Janisch hat dem Leben des Sozialreformers und Schriftstellers ein illustriertes Kinder- und Jugendbuch (ICH WAR EIN UNRUHIGER KOPF) gewidmet, das sich allerdings weniger mit dessen politischen Wirken auseinandersetzt, sondern vielmehr, aus der Ich-Perspektive erzählt, den inneren Zwiespalt Felders – bäuerlicher Schwerstarbeiter einerseits und schreibender Feingeist andererseits – in den Blick nimmt. Ihm, dem der Ausbruch aus seinem sozialen Milieu aus verschiedenen Gründen nicht möglich war, blieb immerhin das Träumen und das Phantasieren: „Man kann hart arbeiten und trotzdem den Schmetterlingen nachschauen.“ Die Illustratorin Sophia Weinmann greift diesen fantastischen Aspekt in der Persönlichkeit Felders auf und wiederholt und variiert ihn in verschiedensten eindrücklichen Motiven, die den Freigeist und die Naturverbundenheit des „Bauern und Dichters“ aus dem Vorarlberger Ländle symbolisieren.
Garibaldis Erben
Zwischen 1860 und 1985 wanderten mehr als 6 Millionen Italiener in der Hoffnung auf ein besseres Leben ins benachbarte Frankreich aus, ungefähr die Hälfte von ihnen lies sich dort dauerhaft nieder. Der französische Autor und Zeichner Baru, eigentlich Hervé Barulea, stammt selbst von italienischen Einwanderern ab und hat diesen mit seiner kürzlich abgeschlossenen Comic-Trilogie BELLA CIAO ein Denkmal gesetzt. Wie schon seine Vorgänger ist der finale dritte Band episodisch aufgebaut und autobiografisch gefärbt. Er handelt von den prekären Arbeitsbedingungen der Stahlarbeiter, einmal mehr auch von den „Garibaldianern“, italienischen Freiwilligen, die im Ersten Weltkrieg an der Seite Frankreichs kämpften, und nicht zuletzt von zigtausenden Italienern, die nach Ende des Zweiten Weltkrieges nach Frankreich emigrierten, wo sie so schlecht behandelt worden, dass ein großer Teil von ihnen bald wieder freiwillig nach Italien zurückkehrte.

Als am Ende des Bandes Theo Martini – offensichtlich ein Alter Ego Barus – irgendwann Ende der 70er Jahre die Sprengung der Hochöfen in der Stahlfabrik leitet, in die er einst als kleiner Junge schlich, um seinem dort arbeitenden Vater das Mittagessen zu bringen, ist ihm elend zumute. Die anwesenden Arbeiter bejubeln dagegen das Zusammensacken der Türme. Aus einem zeitlichen Abstand von über 40 Jahren weiß der Autor über den Zusammenhang von Deindustrialisierung und dem Erstarken des Rechtsextremismus (nicht nur) in Frankreich Bescheid. In einem Nachwort verweist er auf die Gefährlichkeit des Front National bzw. Rassemblement. Der Hass ist geblieben, nur die Vorzeichen haben sich verändert – statt italienischer Erntehelfer bzw. Industriearbeiter sind heute arabischstämmige Jugendliche die Zielscheibe der Rechtsextremen, manchmal auch im wahrsten Wortsinne. Aber das ist schon eine andere Geschichte, die der Comicmacher bereits mehrfach erzählt hat, etwa in AUTOROUTE DU SOLEIL oder HAU DIE BÄSSE REIN, BRUNO!



