vonMario Zehe 30.03.2025

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

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Der Erziehungswissenschaftler und Historiker Meron Mendel beschreibt in seinem Buchessay „Über Israel reden. Eine deutsche Debatte“ die Spaltung der deutschen Linken in „Antideutsche“ und „Antiimperialisten“ und wie deren diametral entgegengesetzten Positionierungen zum Nahost-Konflikt ihre jeweilige Gruppenidentität befestigt. Diese Form der inneren Entzweiung des linkspolitischen Lagers ist zwar eine deutsche, durch den Umgang mit der eigenen Geschichte bedingte Besonderheit. Doch auch sonst dominieren Projektionen und (Ab-)Spaltungen die Diskurse und Auseinandersetzungen über den Nahost-Konflikt. Während die politische Rechte den Anschlag der Hamas am 7.10.2023 nutzt, um antimuslimische Ressentiments zu befeuern und zugleich den Antisemitismusvorwurf auf Muslime und Linke umzulenken, stehen die liberalen Demokratien in Europa angesichts ihres Schweigens zu den drastischen militärischen Reaktionen Israels im Verdacht, bezüglich der Geltung von Menschenrechten im Ukraine-Krieg und Nahostkonfikt jeweils ganz unterschiedliche Maßstäbe anzulegen.

Als Folge der Polarisierung und des Schweigens leiden sowohl Juden*Jüdinnen als auch Muslim*innen auch in Deutschland darunter, aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit bedroht und diskriminiert zu werden. Die Comicmacher*innen Hannah Brinkmann, Nathalie Frank, Michael Jordan, Julia Kleinbeck, Moritz Stetter, Birgit Weyhe und Barbara Yelin starteten Anfang 2024 ein Webcomicprojekt, in dem sie und andere Zeichner*innen mit Expert*innen und Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus gesprochen und diese Dialoge graphisch festgehalten haben. Unter www.wiegehtesdir-comics.de sowie  https://www.instagram.com/comics_wiegehtesdir/ wurden die Onepager nach und nach veröffentlicht, nach Abschluss des Projekts gibt es die Comics nun auch in Buchform.

Beinahe jedes Gespräch beginnt mit der einleitenden Frage „Wie geht es dir?“, paradigmatisch auf die Prinzipien Empathie und Dialogizität verweisend. In unterschiedlichsten grafischen und narrativen Stilen setzen die Künstler*innen die Antworten der Befragten ins Bild; deren Vielfalt spiegelt sich in der Vielgestaltigkeit der comicalen Ausdrucksmöglichkeiten in Text und Bild. Im Ergebnis lassen sich ebenso unterschiedliche Sichtweisen auf den Nahost-Konflikt nachvollziehen wie auch gelingende Formen einer jüdisch-muslimischen Austauschs sowie einer gemeinsamen Form der Trauer und Traumabewältigung im Angesicht von Krieg und Gewalt. Viele Comics thematisieren zudem das einigende Band, das zwischen den Protesten gegen Rechtspopulismus/-extremismus in Deutschland und Israel besteht. Insgesamt ein beeindruckendes Plädoyer für das Aushalten von Differenz und Widersprüchen.

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https://blogs.taz.de/comicblog/2025/03/30/gezeichneter-dialog/

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