vonClaudius Prößer 02.09.2009

taz Blogs


Willkommen auf der Blogplattform der taz-Community!

Mehr über diesen Blog

Tú nunca habrías hecho lo que yo hice por tenerte. Pero eso no fue hecho por otra cosa, fue un amor violento de alma y cuerpo. (G. M.)

Yo me pongo en el viento y en la lluvia tierna, para que estos, viento y lluvia, puedan abrazarte y besarte para mí. (D. D.)

Lo subterráneo es lo que no digo. Pero te lo doy cuando te miro y te
toco sin mirarte.
(G. M.)

In Vicuña, dem kleinen Städtchen im Valle de Elqui, wo sie vor 120 Jah­ren geboren wurde, hat man Gabriela Mistral gleich mehrfach in Stein ge­mei­ßelt. Bild und Name der Dichterin, die 1945 den Nobelpreis für Li­te­ra­tur erhielt, zieren aber im ganzen Land die Straßen und Plätze. Un­ter Pi­no­chet, als Chiles zweiter Nobelpreisträger Pablo Neruda kaum noch öf­fent­lich erwähnt werden durfte, wurde Mistrals Konterfei auf den neuen 5.000-Peso-Schein gedruckt – die spießige Unkultur des Regimes wähnte ihr Leitbild eines opferbereiten Patriotismus von der Dichterin re­prä­sen­tiert, die aus ärmlichen Verhältnissen stammte, jahrelang als Lehrerin arbeitete, Gedichte über Kinder schrieb und immer etwas Nonnenhaftes an sich hatte.

Dass die bis zu ihrem Tod unverheiratete Lucila Godoy – so Mistrals bürgerlicher Name – in Wirklichkeit kein asexuelles Wesen war, dessen Liebe lediglich der Literatur galt, diese These darf man spätestens jetzt, mit der Veröffentlichung des Bandes “Niña Errante”, zu den Akten legen. Es handelt sich um den Briefwechsel Mistrals mit Doris Dana, ihrer Se­kre­tä­rin und Nachlassverwalterin. Von Liebe ist darin die Rede, von Lei­den­schaft, von Berührungen. Ob die 30 Jahre ältere Gabriela Mistral bis­wei­len das männliche Genus für sich in Anspruch nimmt (“tuyo”), um ein Verhältnis der Dominanz oder aber des “väterlichen Beschützers” aus­zu­drücken, wie Herausgeber Pedro Pablo Zegers glaubt, bleibt den Le­se­rIn­nen überlassen.

Die Chilenin und die US-Amerikanerin hatten sich 1946 kennengelernt und waren bis zu Mistrals Tod 1957 in New York enge Freundinnen. Wie eng, darüber wurde schon länger spekuliert, aber die Dichterin als Lesbe zu bezeichnen, blieb tabuisiert – über alle politischen Fraktionen hinweg. Der Schriftsteller Volodia Teitelboim, der jahrelang Chiles Kom­mu­nis­ti­sche Partei leitete, bezeichnete vor zehn Jahren den Plan, Mistrals Leben auf Basis der Lesben-These zu verfilmen, als “Versuch, das Andenken einer großen Chilenin und Lateinamerikanerin in den Schmutz zu ziehen”.

Heute ist man vielleicht ein bisschen weiter. Das Interesse an den Brie­fen aus dem Nachlass, den eine Nichte der 2006 verstorbenen Dana dem chi­le­ni­schen Staat zukommen ließ, ist groß, und es sieht eher so aus, als machten die neu aufgetauchten Dokumente das Bild der Dich­te­rin in den Augen der Chilenen menschlicher, facettenreicher und lie­bens­wer­ter. All jenen, die dagegen jetzt versuchen sollten, das biografische “Detail” herunterzuspielen, hält Rolando Jiménez, Vorsitzender des schwul-les­bi­schen Verbands Movilh, entgegen: “Gabriela Mistral war kei­ne gute Schriftstellerin, weil sie lesbisch war oder nicht. Aber ohne je­den Zweifel wären ihre schriftstellerische Qualität und Sensibilität an­de­re gewesen ohne die von der Gesellschaft verurteilte lesbische Liebe.”

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/coming-out_per_nachlass/

aktuell auf taz.de

kommentare