vonHeiko Werning 29.09.2011

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Anophthalmus hitleri (c) dpa

Nur mal angenommen, Sie würden erfahren, jemand hätte ein Tier nach Ihnen benannt. Aber kein flauschiges Häschen oder einen farbenprächtigen Korallenfisch, sondern einen fünf Millimeter kleinen, braunen, räuberisch lebenden Laufkäfer ohne Augen, der ausschließlich tief im Innern einer Handvoll Höhlen lebt. Würden Sie sich da besonders geschmeichelt fühlen? Also, wenn Sie jetzt nicht gerade ein Laufkäfer-Spezialist oder -Fetischist wären?

Fast wirkt es wie die Aktion einer ausgefuchsten Spaßguerilla: In Slowenien lebt tatsächlich so ein Käferchen. Und es trägt tatsächlich einen wissenschaftlichen Namen, der einem Zeitgenossen des Entdeckers gewidmet ist. Üblich ist es ja eher, bei der Namensvergabe Wissenschaftlerkollegen zu würdigen, in diesem Fall stand aber ein, äh, sagen wir: großer Staatsmann Pate: für Anophthalmus hitleri. Hitleri. Genau – der Hitler. Leider war das aber keine Aktion der slowenischen Antifa. Sondern von einem waschechten Nazi, dem Käferforscher Oscar Scheibel, „als Ausdruck meiner Verehrung“, wie er in der Erstbeschreibung von 1937 ausführt. Und, ist es nicht mutig, den Führer nach einem winzigen, dummen, blinden, das Licht scheuenden, irgendwo in feuchten, fiesen Höhlen lebenden, vollständig schedderigen Käfer zu benennen? Nein, Scheibel ist dafür nicht ins KZ gekommen. Stattdessen erhielt er einen Dankesbrief von Hitler höchstpersönlich. Das wäre doch wirklich mal was, wozu Guido Knopp Erhellendes sagen könnte. Aber wenn’s drauf ankommt, ist wieder Schweigen Äther.

Nun könnte man das Ganze achselzuckend als bizarre Anekdote abtun. Wenn nicht der unschuldige Käfer deswegen in echte Probleme gekommen wäre. Denn Nazis finden den Hitlerkäfer toll. Und legen, ohne mit dem rechten Arm zu zucken, tausend Euro und mehr für einen präparierten Kerf dieser Art auf den Tisch. In der Folge sind sogar schon naturkundliche Sammlungen geplündert worden und, aber schlimmer noch: Käferjäger kriechen in die slowenischen Höhlen, um den Blindkäfer zu erbeuten. Weshalb die Tiere inzwischen als gefährdet gelten, sie könnten also sozusagen zum nächsten Genozid-Opfer der Nazis werden, die Endlösung der Käferfrage steht in Slowenien praktisch kurz bevor. Und da ist kein Lebensraum im Osten mehr.

So machten sich bereits Artenschützer und jetzt aber auch tatsächlich die slowenische Antifa dafür stark, den Hitlerkäfer umzubenennen. Doch das geht nicht. Der Code der zoologischen Nomenklatur ist da hart wie Kruppstahl: wenn ein Tier einmal regelgerecht benannt worden ist, gilt dieser Name auch in tausend Jahren noch. Selbst, wenn der letzte Käfer seiner Art von den Freunden des tausendjährigen Reiches bis dahin längst über den Tisch irgendeines Nazi-Devotionalienmarktes gegangen und in der Sammlung eines ihm intellektuell ebenbürtigen Verehrers gelandet ist.

Was aber wollen die Nazis von dem Käfer? Liegt eine Verwechslung mit dem Volkswagen vor? Noch am 23. August diesen Jahres wurde die Arthropode in einem Szene-Blog gefeiert: „Sein prächtiger brauner Panzerkörper ließ ihn so stark und kraftvoll erscheinen, seine Bewegungen waren zugleich sehr elegant und staatsmännisch“, wird eine Begegnung mit dem Tier fabuliert, das seinen imaginierten Besuchern eine rührende Geschichte zu erzählen weiß: „Er sprach von den roten Käferhorden, die über seine Höhlen herfielen, von den Käferjägern, die ihn und sein Volk ausrotten wollten, und schließlich auch von den gewissenlosen Antikäfern, die ihm gar seinen Namen streitig machen wollten. Sein Lebenswille und der seines Volkes blieben aber stets ungebrochen und die Braunen erwehrten sich tapfer jeden Angriffes, schlugen ihre Gegner allesamt in die Flucht und leben seither unter seiner Führung in seinem nunmehr dritten Höhlenreich.“ Karl der Käfer wurde nicht gefragt / man hat ihn einfach fortgejagt – so möchte man schluchzend dazu summen, aber im Gegensatz zu seinem weinerlich-grünen Achtzigerjahre-Pendant ist das Hitlertier natürlich im nationalen Widerstand gegen anderes Ungeziefer: „Beseelt von der Ideologie des Anophthalmus Hitleri legten wir den Fußmarsch nach 88tägiger Erlebnisreise in unsere Heimat zurück. Kämpfen wollen wir! Kämpfen um unsere Heimat wie der kleine Anophthalmus Hitleri um sein Höhlenreich! Wir trotzen aller Gegenwehr und kämpfen für unser Land – ebenso stolz und ehrenvoll wie der kleine Käfer in den fernen slowenischen Höhlen.“

Die gebrochene Logik der Argumentationskette soll hier gar nicht groß erörtert werden. Man kann ja alles so oder so sehen. Oder man ist halt blind. Blind wie der Käfer. Und wie seine faschistischen Freunde.

Viel naheliegender sind natürlich ganz andere Analogieschlüsse. Beispielsweise dieser hier: Wenn die Nazis sich ihr drittes Höhlenreich so sehr herbeisehnen, was spräche dann dagegen, die stolzen Kämpfer für ihr Land einfach tief in irgendwelche feuchten Höhlen hinein zu stecken? Wenn man die dann für die nächsten, sagen wir, 88 Jahre ganz fest zuschließt, hätte ich auch gar nichts dagegen, die braunen Käferfreunde so lange unter verschärften Artenschutz zu stellen. Und sei es nur als Mahnmal, dass die Evolution eben nicht nur faszinierende Geschöpfe hervorgebracht hat, sondern hier und da auch mal echte Flops landet.

Mit herzlichen Grüßen an die Jungle World und Daniel Erk

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