Der Absturz einer Boeing-727 mit mindestens 114 Insassen bei Kisangani am 8. Juli ist nicht nur eines der schwersten Flugunglücke im Kongo in den letzten Jahren gewesen, sondern läutet offenbar auch das endgültige Aus für die einst wichtigste Fluggesellschaft des Landes ein: Hewa Bora, der die Regierung jetzt alle Fluglizenzen entzogen hat.
74 bis 82 Menschen – daß die genaue Zahl noch immer umstritten ist, ist an sich schon ein Skandal – starben, als der Linienflug Kinshasa-Goma zur Zwischenlandung den Flughafen von Kisangani ansteuerte, tief im Regenwald in der Nähe des Kongo-Flusses mitten im Land. Es herrschte ein schweres Tropengewitter wie so oft über dem Kongobecken, die Maschine landete im dichten Urwald statt auf der Piste. Verfügbare Videos zeigen Leichen zwischen brennenden Wrackteilen, umgeben von nassen Bäumen.
Hewa-Bora-Präsident Stavros Papaionou, ein im Kongo sehr bekannter Unternehmer und Nachfahre einer der ersten griechischen Einwandererfamilien in die belgische Kongo-Kolonie, erhob auf einer erstaunlich aggressiven Pressekonferenz in seinem Firmenhauptquartier in Kinshasa am 14. Juni schwere Vorwürfe gegen die kongolesiche Luftfahrtbehörde RVA und gegen die Belegschaft des Flughafens von Kisangani. Nach seiner Darstellung sind alle schuld am Unglück außer die Fluglinie selbst: die RVA-Mitarbeiter in Kisangani seien „Praktikanten“ gewesen, die Fluglotsen hätten die Maschine falsch dirigiert. Wartungsprobleme hingegen habe es keine gegeben, der Pilot sei extrem erfahren und ihm könne man daher keinen Vorwurf machen.
Wenn der Pilot so erfahren war, fragten sich die kongolesischen Medien, warum versuchte er dann mitten im Gewitter zu landen, statt entweder zu kreisen bis das Wetter besser ist oder einen anderen Flughafen anzusteuern? Hatte Hewa Bora möglicherweise am Treibstoff gespart? War der Pilot möglicherweise übermüdet – angeblich kam er direkt von einem Südafrika-Flug? Und waren nicht wieder mal mehr Passagiere an Bord als auf den Listen vermerkt?
Aufschluß über all diese Fragen sowie den genauen Hergang des Absturzes sollen Ermittlungen liefern und die Untersuchung der mittlerweile aufgefundenen „Black Box“ der Boeing. Justin Okana, Leiter der Luftfahrtbehörde RVA, wies aber die Vorwürfe Hewa Boras umgehend zurück und forderte auch die Freilassung zweier verhafteter Fluglotsen in Kisangani. Das gesamte Flugpersonal des Landes droht mit Streik aus Solidarität mit den beiden, deren Festnahme wohl als Nachweis von Aktionismus erfolgte, als Staatschef Joseph Kabila seine geplante Reise zu den Unabhängigkeitsfeiern Südsudans absagte, um persönlich die Opfer in Kisangani zu besuchen.
Seit 14. Juni nun darf Hewa Bora nicht mehr fliegen. Das gab das Verkehrsministerium in Kinshasa bekannt, das übrigens seit einigen Monaten keinen Minister hat und kommissarisch geleitet wird.
Noch vor wenigen Jahren war Hewa Bora die wichtigste Fluglinie des Kongo. Gegründet wurde sie am 9. September 2000, noch zu Kriegszeiten unter Präsident Laurent-Désiré Kabila, Vater des heutigen Amtsinhabers. Es sollte die Nachfolgerin der ehemaligen zairisch-kongolesischen Staatslinie werden, mit privater Beteiligung, und galt als Favorit der angeblich auch persönlich beteiligten Kabila-Familie – Hewa Bora (Reine Luft) hieß das kleine entlegene Guerillagebiet am Tanganyika-See, wo Kabila von 1967 bis in die 80er Jahre hinein einen eigenen lumumbistischen Rebellenstaat geführt hatte. Nach Recherchen der Lutundula-Kommission des kongolesischen Parlaments, die 2004-06 die Staatsverträge des Kongo während des Krieges untersuchte, erhielt die Fluglinie bei der Gründung 5 Millionen Dollar Staatsgelder; es gab aber keinen entsprechenden Anteil des Staates an der Fluglinie, sondern laut Stravros Papaionou war das Geld Teil einer Rückzahlung von insgesamt 33,5 Millionen Dollar Altschulden an die frühere zairische Staatslinie. Dies sowie der Umstand, daß Hewa Bora kostenlos das Monopol auf Kongos internationale Flugverbindungen erhalten hatte und diverse Steuerprivilegien genoß, wurde von der Lutundula-Kommission kritisiert – ohne Folgen.
Die Linie wuchs und gedieh, mit kongolesischen und belgischen Aktionären (zum Beispiel die belgische Gruppe Moerloose als Hauptaktionär und dazu, nie enden wollenden Gerüchten zufolge, Angehörige der kongolesischen Präsidentenfamilie) und galt um 2006 als zuverlässigste des Landes. Es war eine Zeitlang die einzige kongolesische Linie mit Direktflügen nach Brüssel, geleistet durch das eine Flugzeug der Linie, das als einziges des Kongo von der Schwarzen Liste der EU ausgenommen blieb, die ansonsten alle Fluglinien des Kongo und auch alle anderen Maschinen Hewa Boras von Europas Luftraum verbannte.
Doch dieses Europa-Privileg verlor Hewa Bora 2009, nach dem Absturz einer ihrer Maschinen beim Start in Goma am 15. April mit 44 Toten. Sie starben, als das offenbar überladene Flugzeug von der Piste in den Markt unterhalb der Start- und Landebahn raste statt abzuheben. Auch das 2007 lancierte Projekt einer gemeinsamen neuen Linie „DC Air“ von Hewa Bora und der belgischen SN Brussels (mittlerweile von Lufthansa übernommen) war damit tot.
Nach dem jüngsten Unglück sind von einst acht Hewa-Bora-Flugzeugen im Kongo noch sechs übrig. In de ostkongolesischen Kivu-Provinzen, wo die meisten Opfer herkamen und von wo aus der Rest des Kongo nur per Flugzeug oder zu Fuß erreichbar ist, herrscht Wut. Hunderte von Fluggästen im ganzen Land bleiben nach der plötzlichen Flugeinstellung auf ihren bereits gekauften Tickets sitzen; Fluglinie und Regierung sind sich uneins, wer diese zu erstatten hat. Die Konkurrenz hat ihre Preise erhöht – von 315 auf 325 US-Dollar für die Verbindung Kinshasa-Goma beim Hauptkonkurrenten CAA, zum Beispiel.
Auf der Webseite von Hewa Bora (www.hba.cd) steht immer noch ein Buchungsformular. Und an prominenter Stelle prangt ein Dankesbrief an die mächtige First Lady des Kongo, Olive Lembe, datiert 15. Juli. Oder ist es ein Abschiedsbrief? „Danke, daß Sie unserer Gesellschaft immer vertraut haben“, steht da. „Danke für Ihr großes Herz. Möge der Himmel Sie segnen und all Ihre Wünsche erfüllen.“