vonAchmed Khammas 18.04.2013

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

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Ach, können die Russen schreiben… z.B. Jewgeni Lukin, dessen nagelneuer SF Unter dem Räubermond (2013) zwar mit Dune verglichen wird – was aber nicht fair ist. Denn im Vergleich zu Lukin wirkt Frank Herberts Schreibe trocken, witzlos und seicht (sorry, Fans). Die gigantischen Sandschiffe, welche segel- und muskelbetrieben die Wüsten der beschriebenen Welt befahren, bringen jedenfalls mehr Farbe ins Geschehen als die keuchenden, bissigen Ringelwürmer, die ich noch nie besonders sympathisch fand (ganz abgesehen davon, daß Herbert für seine Machwerke die beduinische Kultur und die arabische Sprache ausgeschlachtet hat – m.W. ohne sich jemals dafür zu bedanken… der Sack!

Mit ausgesprochen großem Genuß habe ich das neueste Werk des grandiosen Kim Stanley Robinson gelesen – der zufälligerweise exakt am selben Tag geboren wurde, wie ich, nur eben in den USA statt in Berlin. Der Roman 2312 (2012, 2013) ist einerseits realistisch-nüchtern, was das Verhalten von Menschen, Systemen und Staaten (sofern noch vorhanden) anbelangt, aber andererseits dermaßen voll mit überraschenden Entwicklungen im Zuge der Besiedlung des gesamten (!) Sonnensystems, mit mutigen, neugierigen und verantwortungsbewußten Charakteren, mit schier unglaublichen Technologien und nicht mehr zu bändigender Begeisterung, alle bisherigen Grenzen zu überwinden, daß ich nur einfach sagen kann: Selber kaufen, selber lese, selber mitfiebern … und dann selber zurücklehnen, tief durchatmen und überlegen, ob man sein Aktenportfolio nicht doch anders ausrichten sollte!

Umwerfend, wenn auch zu Beginn etwas zäh aufgrund der vielen neuen Begriffe und Konzepte, ist der zweite Roman des phantasie(über)vollen finnischen Autors Hannu Tajaniemi. In Fraktal (2012, 2013), in dem ich viele Spuren und noch mehr Namen und Begriffe des arabisch-islamischen Kulturkreises gefunden habe – wenn auch ordentlich weit in die Zukunft versetzt –, geht es um einen intergalaktischen Meisterdieb, legendäre Artefakte fremder Kulturen, virtuelle Sphären und ähnliche Ingredienzien, die einen mitreißenden SF ausmachen. Leider wird nicht näher auf die sogenannten Windmühlenbaume eingegangen, denn über die hätte ich dann doch gerne etwas mehr erfahren.

Eine Seltenheit: Die Dämonenfalle (2011,2013) von Peter F. Hamilton – denn wer außer den mutigen Kleinverlagen traut sich, heutzutage einen band mit SF-Kurzgeschichten zu veröffentlichen? Nun Bastei Lübbe hat es dankenswerter weise getan … und das Ergebnis ist gut geworden. Es macht einfach Spaß, ein paar gesponnenen Fäden auch nur kurz hinterher zu laufen, ohne sich immer gleich mit einem tonnenschweren Knäuel herumschlagen zu müssen. Das Buch ist eine Empfehlung und eignet sich vorzüglich für kürzere Bahnfahrten mit viel Umsteigen.

Diesmal habe ich noch mehr meiner älteren SFs ‚nachgelesen’ – und mußte erschüttert feststellen, daß ich mich an die meisten überhaupt nicht mehr erinnern kann. Positiv daran ist, daß ich hier nun fast 1.000 ‚neue’ Bücher zu stehen habe, auf die ich mich freuen kann…

So war diesmal Pells Stern von C.J. Cherryh (1981) wieder dran – obwohl ich mich hüte, mir auch noch den Rest der 8-bändigen Pell-Saga reinzuziehen, denn das wäre garantiert eine Überdosis. Es geht schon so heftig genug zu, da Lady Cherryh keine Vorbehalte gegenüber Gemetzel, berstenden Raumschiffen und bombardierten Raumstationen hat. Wieso sie dafür allerdings den Hugo Gernsback 1983 bekommen hat, wird wohl ewig ein Mysterium der utopischen Literatur bleiben, denn trotz der niedlichen Downer – den Einwohnern von Pell – sind die ständigen Konflikte zwischen den Menschen mit der Zeit äußerst ermüdend. Daran ändert auch der 2. Band, Kauffahrers Glück (1981) nicht viel, auch wenn er sich etwas flüssiger lesen ließ … aber das ist vielleicht auch nur der Gewöhnung geschuldet.

Die Stimme des Wirbelwindes von Walter Jon Williams (1987) ist etwas militaristisch – oder auch blutig –, äußerst verschachtelt und erwähnt immerhin Energie-Satelliten, Brennstoffzellen-Roller, Wirbel und einen Messias. Demgegenüber ist der Roman Engelstation (1989, 1992) desselben Autors ziemlich seltsam, avantgardistisch und schräg. Diese Geschichte spielt in der Welt der ‚Freien Familien’, die als Händler zwischen den Orbitalstationen und die von Menschen besiedelten Planeten unterwegs sind. Näher an meinem Zentralthema Messias ist das Buch Heidern (1990) von Jack Womack. Der Titel ist eine Verballhornung des Begriffs ‚Heiden’ – und die Geschichte dreht sich um den Aufstieg und Fall eines neuen Messias in der trostlosen Welt New Yorks. Im Grunde hätte man mehr daraus machen können, aber auch so gibt das Buch genügend Stoff her, um sich den einen oder anderen weiterführenden Gedanken zu machen. Die Aussage, „der Messias wird kommen (…), allerdings nicht so einer, wie irgendwer ihn will oder erwartet“ (S. 98), ist fast schon prophetisch – wenn es in der Realität nicht schon 15 Jahre davor tatsächlich so passiert wäre. Aber davon will ja niemand etwas wissen – denn sonst müßte man dazu Stellung beziehen, Synagogen, Kirchen und Moscheen abschaffen usw. Nun, wer will das schon? Und die Frage, „wie vermarktet man einen Messias?“ (S. 114) habe ich wohl auch nicht optimal beantworten können, denn mal ehrlich – wer von Euch hat schon jemals von dem syrischen Energiemessias Darweesch al-Khooss gehört?!

Ebenfalls zu den etwas angestaubten Romanen, durch die ich Lesewurm mich wieder einmal durchgefressen habe, gehört Fremdere Sonnen (1991, 1994) von George Zebrowski. Eine Art Portal- bzw. Parallelwelt-SF, der allerdings nicht so richtig zündet … auch wenn sich in einer Szene jemand eine Zigarette ansteckt – auf einer Raumstation. Harte Landung (1993, 1998) von Altmeister Algis Budrys ist ein netter Notladungs-Roman, nur diesmal umgekehrt: Diesmal sind es die anderen, humanoide Fremdlinge, die bei uns eine Bruchlandung machen, getrennt werden und nun versuchen müssen, sich mehr oder minder gut durchzuschlagen. Schon viel netter, kreativer und ganz besonders konstruktiver ist Das Gottesspiel von Sarah Zettel (1998), bei dem eine terranische Firma einen kompletten Planeten evakuieren will, um die Umwelt- und Kriegsschäden, welche seine seit Ewigkeiten zerstrittenen Bewohner verursacht haben, zu reparieren. Was natürlich viel einfacher klingt als es sich letztlich erweist. Relativ neu ist Licht von M. John Harrison (2002), eine nette Space Odyssey mit ziemlich schrägen Ideen – nicht besonders nachhaltig, aber äußerst spannend.

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