vonAchmed Khammas 29.01.2014

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

Mehr über diesen Blog

Höchste Zeit, wieder einen Stapel an Kurzrezensionen abzusetzen, denn der gelesene Bücherstapel, der neben mir emporwächst, hat schon fast die Zimmerdecke erreicht.

Vorneweg gleich der Hinweis auf das Highlight der vergangenen Monate: Es ist das Buch Die Lange Erde von Stephen Baxter und Terry Pratchett (2012/2013), in dem ein einfacher kleiner Kasten, Wechsler genannt, den Übergang in eine unendliche Abfolge von parallelen Welten ermöglicht – mit allen damit verbundenen Verheißungen… und Gefahren. Ein absoluter Leckerbissen! Und nicht nur, weil schon auf den ersten hundert Seiten ein mit Solarzellen bestücktes Luftschiff auftaucht (S. 92).

Weitere Neuerscheinungen, die ich ebenso empfehlen kann, sind die beiden, endlich übersetzten Romane von Sergej Lukianenko Weltengänger (2005/2013) und Weltenträumer (2008/2013), bei denen sogenannte Funktionale – entsprechend ‚veränderte’ Menschen – die Tore zu anderen Welten überwachen. Sehr russisch und sehr spannend. Eine richtig große Space-Opera ist das Buch Himmelsjäger von Gregory Benford und Larry Niven (diese Kooperations-Romane scheinen allmählich Mode zu werden), in dem das Raumschiff SunSeeker (eigentlich der Namen eines realen Solarflugzeugs, mit dem Eric Raymond 1990 die USA von Kalifornien bis North Carolina in Etappen alleine nur Mit Sonnenenergie überfliegt) im fernen All eine Art Dyson-Sphäre entdeckt (2012/2013). Seltsam ist, woher die beiden Autoren die Namen ihrer Protagonisten haben – insbesondere den des zu allererst genannten Biologen Cliff Kammash, denn das ist mein relativ seltener Nachname, mit nur einem kleinen Schreibfehler. Grausam ist allerdings, daß der Folgeband Sternenflüge bislang noch nicht erschienen ist. In der gleichen Klasse spielt ein weiterer Kooperationsroman, an dem diesmal David S. Goyer und Michael Cassutt gestrickt haben, die Drehbuchautoren eines der Batman-Filme. In Himmelskrieg (2012/2013) stellt sich ein Asteroid als außerirdisches Raumschiff heraus – keine besonders neue Idee, denkt man an die schon in den 1970ern erschienen Rama-Romane von Arthur C. Clarke –, doch gut geschrieben und flüssig zu lesen. Ebenfalls etwas älter, aber erst jetzt auf Deutsch erhältlich, ist Starfire – Kreuzzug (1992/2013) von Steve White und David Weber, der Folgeband von Starfire – Rebellion, in dem die Menschheit das Weltall erobert (haha!). Recht nett ist auch Eine Reise Alter Helden von Dirk van den Boom (2013) aus der Reihe ‚Die neunte Expedition’. Hier ist die Erde seit 500 Jahren von Aliens besetzt, was in meinen Augen schon viel realistischer klingt. Mitreißend ist auch der Roman Signal von Alan Dean Foster (2012/2013), der Folgeband von Genom, in dem der extrem veränderte Dieb Whispr der Ärztin Ingrid Seastorm dabei hilft, den Hintergrund geheimer Informationen und eigentlich unmöglicher Materialien herauszufinden – und dabei einer mehrschichtigen Verschwörung auf die Spur kommt, die immer wieder neue und überraschende Wendungen nimmt.

Die letzte Einheit von John Scalzi (2013/2014), in dem netterweise einmal nicht primär um martialische Waffennarren und den Einsatz ihre Megakracher geht – sondern um ein kleines, leicht schräges Diplomatenteam, das schon im Vorfeld versucht, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen, was recht vergnüglich daher kommt. Das Buch über Geschichte des Raumschiffs Odyssey (können die eigentlich keine eigenen Namen erfinden?), die Evan Currie in seinem Roman Aus der Tiefe beschreibt (2012/2014), ist der Folgeband zu dem Vorläufer In die Dunkelheit, eine gut zu lesende klassische Space Opara, die aber nicht lange in der Erinnerung hängen bleibt. Etwas interessanter ist da schon Der Flug der Aurora von Ryk Brown (2013/2014), bei dem es sich um der ersten Band der Frontier-Saga handelt, die hoffentlich noch viele weitere spannende Momente bereithält. Im Englischen sind schon 10 Romane aus dieser Reihe erschienen, die im Jahr 3472 beginnt. Um so grauenhafter ist, daß es auch dann noch Krawatten geben soll <schauder!>.

Mehr im Bereich des Thrillers angesiedelt sind Die Roswell Verschwörung von Moyd Morrison (2012/2013), in dem eine interessante und neue Variante der alten Geschichte erzählt wird, Gottes geheime Schöpfung von Ted Kosmatka (2013), mit dem Hintergrund höchst geheimer DNA-Forschungen, Blow out von Uwe Laub (2013), welches die Gewinnung von Methanhydrat und den Meeresanstieg thematisiert, sowie Nach dem Sturm von Michael Farris Smith (2013/2014), in dem die USA von solch verheerenden Wetterkatastrophen heimgesucht wird, daß man einen Teil des Landes einfach abschreibt. Was den dort lebenden Menschen gegenüber nicht gerade hilfreich ist.

Natürlich habe ich auch wieder einen halben Meter aus den eigenen SF-Regalen (erneut) gelesen, der hier chronologisch kurz aufbereitet werden soll. Denn manche dieser alten Kamellen haben noch heute Wucht und Vorbildcharakter. Außerdem bilden sie ein wesentlich weiter gespanntes Raumzeit-Netz, in dem sich Gedanken und Ideen verfangen haben, auf die mach einer der heutige Autoren noch nicht einmal im Traum kommt.

Die Mörder Mohammeds (1967/1970) ist eine von Robert Silverberg herausgegebene Sammlung von Zeitreise-Stories, wobei die namensgebende Kurzgeschichte von Alfred Bester stammt und eigentlich einen ganz anderen Namen tragen sollte, denn diese Worte werden nur einmal, und wie nebenher gesprochen. Was ziemlich enttäuschend ist. Auch sonst keine besonderen Highlights. Der andere Sieger von Martin Cruz-Smith (1970/1991) ist ein wunderbarer Alternativwelt-Roman, in dem in den USA auch noch ein mächtiger Indianerstaat besteht, der Washington mit Atomwaffen bedroht. Die Crock-Expedition von J. T. McIntosh (1973/1976) ist ein schmales Bändchen, in dem die Organisation CHART mit ihren Schiffen nach Planeten sucht, die sich zur Nutzung eignen – und dabei auf der schönen und fruchtbaren Welt Crock ein tödliches Problem lösen muß. Die Brücke von D. Keith Mano (1973/1980) sollte eigentlich Pflichtlektüre in allen Schulen sein – denn es gibt wohl kein besseres Buch, das die Ergebnisse einer 40-jährigen Diktatur der Grünen thematisiert. Es ist ein Roman, den man, einmal gelesen nie wieder vergißt, denn die Bilder und das Geschehen brennen sich regelrecht in die Erinnerung. Warme Welten und andere von James Tiptree, jr. (1975/1981) ist ein Band mit Erzählungen der großartigen Alice Sheldon, die sicherlich viel mehr Einfluß auf das gesamte Genre hatte, als man gemeinhin annimmt. Als Beleg führe ich die letzte Story aus diesem Band an, denn Doktor Ains letzter Flug, bei dem dieser Vogelfutter ausstreut, das mit einer für Menschen tödlichen Seuche infiziert ist, um die Erde von ihrer zweibeinigen Krankheit zu befreien, kann als einer der Vorbilder für den SF-Film 12 Monkeys betrachtet werden. Botschafter von den Sternen von Ian Watson (1977/1981) ist die äußerst kritische Betrachtung einer potentiellen, zukünftigen Weltregierung, die sich nicht auf Waffen, sondern auf Bardo-Flieger stützt, um mit weit entfernten Zivilisationen zu kommunizieren und Gefahren von der Erde abzuwenden. Oder in Wirklichkeit doch nur, um selbst an der Macht zu bleiben? Ein Leckerbissen für alle, die sich mit Tantra, Yantras und Mandalas beschäftigen und das Tibetanische Totenbuch wertschätzen… von dem die heutige Facebook-Jugend nicht den blassesten Schimmer hat, wetten?!

Großen Genuß bereitete mit das Buch Grand Orientale 3301 von Thomas R. P. Mielke (1980), in welchem der Elektrikmann Maktar Aristide für eine Reihe von Masten der Starkstrom-Überleitung verantwortlich ist, welche Strom von den Wasserkraftwerken Nordeuropas zu den Metropolen des Arabischen Großreichs transportiert. Dazu gibt es nur einen passenden Kommentar: Mielke soll endlich den schon lange anvisierten 2. Teil schreiben! Bitte-Bitte! Erinnert euch an uns von Leonard Daventry (1980/1987) ist eine dystopische und ziemlich heftige Angelegenheit, denn nachdem die Menschheit vernichtet ist und nur noch ein letztes Raumschiff mit überhastet eingesammelten Überlebenden unterwegs ist, sterben auch dieses wie die Fliegen, nachdem an einem fremden Raumfahrzeug-Wrack angedockt wurde. Nun kann nur noch eine radikale Veränderung versucht werden, um der restlichen Handvoll eine Chance auf weiteres Bestehen zu geben. Sobrieta von Ad Visser (1982/1998) ist eine bizarre Geschichte, die der niederländischeAutor als ‚Multimedia Space Opara’ verkauft, da er zum Buch auch gleich noch den Soundtrack schreibt und veröffentlicht. Ganz nett, das alles, und sehr nostalgisch, wenn sich der Protagonist beispielsweise nach seinem Commodore-Computer sehnt. Die Räume des Paradieses von Ian Watson (1982/1988) ist ein Band mit 16 Erzählungen, die ebenso überraschend wie spannend, manchmal aber auch verstörend sind, was beim Kaliber dieses Autors wirklich kein Wunder ist. Sonnenwind von Mária Szepes (1983/1986) ist ein mutiger, ökologisch motivierter Roman, bei dem ein aus dem fernen All kommender Planet plötzlich auf die Erdumlaufbahn einschwenkt und den Anstoß zu einem mörderischen Wettbewerb gibt, an dem sich der Planet auch selbst beteiligt. Nichts für schwache Nerven. Der Kontinent der Lügen von James Morrow (1984/1992) ist das richtige Buch für Drogenfreaks, denn hier geht es um von Künstlern mit Träumen programmierte sogenannte Zephäpfel. Frees Vermächtnis von Gene Wolfe (1984/1995) ist ein skurriler Roman mit sehr menschlich gezeichneten Protagonisten, die nach einem Schatz suchen, der sich schließlich als etwas ganz anderes entpuppt, als sie sich auch nur hätten träumen lassen.

Tolle Stories sind in den beiden Bänden Synergy 1 & Synergy 2  vereint (1987 & 1988), die von George Zebrowski herausgegeben wurden, der wohl eine gewisse Affinität zu dem Begriff Synergie verspürt, wie er in seiner Einführung gesteht. Womit er keineswegs alleine steht, denn auch ich empfinde eine ganz besondere Sympathie für dieses Wort … und habe mein Hauptwerk daher auch Buch der Synergie genannt (das gerade auf 6.000 Seiten angewachsen ist, was aber kein Problem darstellt, das es sowieso nur Online existiert). Für 9/11-Experten zitiere ich einen Satz aus der 1988 (!) erschienenen Story Abschöpfungen (Taking from the top) von Daniel Perlman: „Du sitzt an der großen gekrümmten Panoramawand in Dianas Apartment und starrst in die Tiefe, wo die alten Zwillingstürme standen, aber du siehst nur einen riesigen dunklen Schuttberg unter dem Nachthimmel.“ (aus: Synergy 2, S. 94). Nun hoffe ich, auch noch der Bände 3 & 4 aus dieser Reihe ergattern zu können…

Das Haus der Scherben von Walter Jon Williams (1988/1994) erzählt mit viel Witz und Charme die Geschichte des Meisterdiebs Drake Maijstral, der ein Schmuckstück aus außerirdischen Artefakten stehlen soll. Das Floß von Stephen Baxter (1991/1994) gehört zu den seltenen Perlen des Genres, die außerhalb der üblichen Strömungen angesiedelt sind. Im vorliegenden Fall wird eine Existenz beschrieben, in welcher die Schwerkraft eine Milliarde Mal stärker ist als bei uns, in dem Sonnen nir ein paar Kilometer Durchmesser haben und schon innerhalb eines Jahres ausbrennen, und fliegende Bäume mittels Rauchvorhängen durch die Räume fliegen. Nichts für Neulinge, aber äußerst bereichernd für Hardcore-Fans. Vaterland von Robert Harris (1992/1996) habe ich regelrecht verschlungen, denn in diesem Alternativwelt-Roman hat (wieder einmal) Hitler den Krieg gewonnen, durch die Partisanen, die gegen das sich bis zum Ural erstreckende Großreich und ein kalter Krieg mit den USA führen zu zunehmnder Zermürbung. Als in Berlin auch noch der Mord an einem Parteibonzen geschieht, gerät Kripo-Sturmbannführer März bei seinen Ermittlungen fast unter die Räder, denn er kommt einer Wahrheit auf die Spur, die unbedingt verdeckt bleiben soll – dem Holocaust, der nie passiert ist. Eine Million offener Tore von John Barnes (1992/1996) beschreibt eine Welt, in welcher sich die Menschheit über einen Teil der Galaxis ausgebreitet hat, aufgrund der Barriere der Lichtgeschwindigkeit (verdammter Einstein!) aber in viele unterschiedliche Zivilisationen zerfallen ist. Bis das ‚Springen’ entdeckt wird, und sich plötzlich jene viele Tore öffnen. Ein Manko, auf das ich fast schon allergisch reagiere: Auch hier tauchen (noch) Krawatten auf. Der Ganymed-Club von Charles Sheffield (1995/2009) ist ein SF-Thriller, der es in sich hat. Es ist eigentlich der zweite Roman des Zyklus ‚Das dunkle Universum’, dessen erster und dritter Band allerdings lange nicht den Drive dieses Romans erreichen, der daher eine erfreuliche Überraschung darstellt, auch wenn man sehr lange darauf warten mußte. Der heiße Himmel um Mitternacht von Robert Silverberg (1995/1997) ist ein visionärer Roman mit so vielen interessanten und spannenden Details, daß ich nur empfehlen kann, ihn selbst zu lesen. Mir selbst geht natürlich die implizite Kritik an dem Imperialstaat Israel (Zitat!) wie Öl runter. Neben den anderen Geschehnissen ist dies aber marginal, ebenso wie die Realität, die hinter dieser raumzeitlichen Verformung steht. Ein mächtiger Roman, in dem sogar der Zusammenbruch der Sowjetunion vorhergesehen wird (S. 22). Leider noch nicht ganz soweit ist es mit der globalen Ächtung aller fossilen Brennstoffe (S. 127). Ein Hohelied für Leibowitz von Walter M. Miller jr. (1997/2000) ist die Fortsetzung des Klassikers ‚Lobgesang auf Leibowitz’, den man wirklich gelesen haben muß. Der Wiederaufstieg der Zivilisation nach einem verheerenden Atomkrieg ist Mönchen zu verdanken, welche sich über Jahrhunderte bemühen, die Reste des früheren Wissens zu bewahren. Weshalb die Kirche in der neuen Welt auch die maßgebliche Instanz wird, auch wenn der Vatikan inzwischen in der ehemaligen USA residiert.

Ich hoffe, damit einige Anregungen gegeben zu haben und verabschiede mich bis zum nächsten Mal mit einem kräftigen: Ad Astra!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/datenscheich/2014/01/29/literatur-langerdig/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Lieber Datenscheich,
    danke vielmals für dieses Füllhorn literarischer Anregungen!
    Rolf

    ——————–

    Der Datenscheich: Hallo Rolf, ich freue mich, daß dich meine Lektüre interessiert… obwohl ich die Bücher – ganz ehrlich gesagt – ausschließlich zu meinem Lustgewinn lese 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert