vonAchmed Khammas 18.12.2022

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

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Es tut mir leid, daß ich so lange keine neue Rezensionen veröffentlicht habe. Neben der beruflichen Tätigkeit war ich sehr intensiv mit neuen Updates für das Buch der Synergie beschäftigt. Da nächste Woche abertausende Tonnen an Geschenken den Besitzer wechseln werden, ist davon auszugehen, daß etliche davon wieder umgetauscht werden. Oder fehlt gar noch eine gute Idee, um den Neffen, die Oma oder den Urenkel zu bedenken? Nun denn, hier gibt es – zwei, drei, vier – wirklich gute Empfehlungen, die z.T. auch eng mit unserer aktuellen Realität verknüpft sind. So wie es sich eigentlich für jeden guten SF gehört (weshalb ich auch das Genre ‚Fantasy‘ außerdienstlich verabscheue, sorry).

Der neunte Arm des Oktopus (2021) und Der Zorn des Oktopus (2022) von Dirk Rossmann (ja, genau der Rossmann) sind ein Muß für jede und jeden Klimabewegte(n). Der Unternehmer, dessen Beschreibungen von Treffen zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin von einem persönlichen Bezug zu den beiden zeugen, verpackt seine mutige Agenda in einem Thriller, der sich so gut lesen läßt, daß man manchmal die Nähe zum ‚The Great Reset‘ vergißt. Rossmann schlägt als Lösung der Klima- und Umweltprobleme eine wohlwollende Öko-Diktatur vor, in der die drei Großmächte mit militärischen Drohungen und Einsätzen gegen die weitere Abholzung der Regenwälder oder den ungehinderten Bevölkerungszuwachs in Ländern wie Indien oder in Afrika vorgehen.

Das mag zwar erschrecken, ist aber aus Sicht des Autor nachvollziehbar, der ein umfassendes Wissen im Bereich der großwirtschaftlichen Verflechtungen besitzt – aber von der wirklichen Menge und dem Variantenreichtum der bereits existierenden Lösungen kaum etwas ahnt. Wenn ich hier also seine Bücher empfehle, dann sollte sich im Gegenzug auch jemand darum bemühen, Rossmann über die Existenz und die Förderwürdigkeit der Online-Publikation Buch der Synergie zu informieren. Dankeschön!

Der nächste Schlag betrifft drei Bücher, die ebenfalls ein aktuelles Thema zum Inhalt haben, was sich leicht aus dem Titel der Reihe erschließt. Zumindest denjenigen, die mit dem Namen Georg Orwell etwas anfangen können.

Little Brother – Aufstand (2008/2021), Little Brother – Revolution (2013/2021) und Little Brother – Sabotage (2020/2021) von Cory Doctorow ist das optimale Geschenk für 20 – 30jährige, die erfolgreich verdrängt haben, daß sich ihr Smartphone perfekt zu ihrer Überwachung und Positionsbestimmung einsetzen läßt. Aber natürlich nicht nur für diese.Was etwas verblüfft, ist, daß Cory den ersten Band bereits 2008 geschrieben hat, wobei die aktuelle Ausgabe sogar ein Vorwort von Edward Snowden enthält! Es ist daher unverständlich, warum der Heyne-Verlag bis zum vergangenen Jahr gewartet hat, um diese Bände zu veröffentlichen.

Dessen ungeachtet scheint die Hauptperson, Marcus Yallow, ein Alter Ego von Cory zu sein, das sich allerdings noch viel besser als dieser im Netz auskennt und auch weiß, wie es sich hacken läßt. Die flüssig und auch mit einer gehörigen Portion Humor geschriebenen Thriller begleiten Yallow bei seinem Aufstand gegen die Homeland Security und seinen Widerstand gehen den entstehenden Überwachungsstaat, bei dem ihm seine frühere Feindin und spätere Freundin Nasha Maximow hilft. Ach ja, ein Rezept für ‚kalt gebrühten Kaffee‘ gibt es auf S. 57 des ersten Bandes. Und das ist alles andere als kalter Kaffee – genauso wie die Bücher selbst.

Was den dritten Schwung anbelangt, so handelt es sich um vier Bände, die inhaltlich locker miteinander verknüpft sind und alle im ‚Wayfarar-Universum‘ spielen. Einige der Bände hatte ich bereits rezensiert, wiederhole dies hier aber aus Gründen der Vollständigkeit:

Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten (2014/2016) von Becky Chambers ist ein liebenswerter, durch eine Kickstarter-Kampagne finanzierter SF-Erstling, der eine tolle Vorlage für einen ‚Serenity‘-ähnlichen Film wäre, da er wesentlich phantasievoller und spannender als jener daher kommt. Die Autorin, Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechnikers (!), hat einen sanften und emotionalen Schreibstil, den sie gekonnt einsetzt, um die diversen Interaktionen zwischen unterschiedlichen Spezies und mit KIs darzustellen, weitab von Waffengeknatter und planetaren Explosionen, mit denen so viele andere Autoren ihre Werke aufbrezeln.

Zwischen den Sternen (2016/2018) ist ein stark empathischer Roman über etwas, das man die ‚Menschwerdung einer KI‘ bezeichnen könnte. Damit ist das Buch ein beachtenswerter Beitrag zur aktuellen Diskussion, die von manchen Seiten schon fast panisch geführt wird. Doch Angst stammt zuerst einmal aus den eigenen Tiefen – während eine echte (!) KI im Grunde genauso mit Herz und Hirn behandelt (und erzogen) werden muß, wie ein menschliches Kind.

Unter uns die Nacht (2018/2019) erzählt wiederum von einer Menschheit im Exil, deren Siedlerschiffe um eine neue Sonne kreisen, sowie von einer Galaktischen Union, die nun auch die Exodus-Flotte vereinnahmen möchte, während der vierte und letzte Band namens Die Galaxis und das Licht darin (2021/2022) einen Leckerbissen für alle SF-Fans darstellt, die sich an den Interaktionen sehr unterschiedlicher Spezies erfreuen. Zusammengefaßt kann man sagen, daß Beckys Romane eine besondere Auszeichnung für ihren liebevollen Ansatz, ihren Witz und ihre tiefe Menschlichkeit im besten Sinne verdient.

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