vonHelmut Höge 08.03.2011

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Photo: facebook, arabian revolution


Die libyschen Rebellen in den befreiten Gebieten scheinen ihre Organisationsvorstellungen von Gaddafis “Grünem Buch” abgeleitet zu haben, in dem es um die Konzeption einer Basisdemokratie (ohne Parteien, Parlamente und den ganzen Quatsch) geht.Sein “Grünes Buch” ist immer noch sehr lesenswert – und wenn es hilft, den Autor als Herrscher zu liquidieren, um so besser. Eigentlich müßte das ganz in seinem Sinne sein. Außerdem: Wer so ein Buch schreibt und dann irgendwelche dusseligen Ami-Hupfdohlen für 45 Minuten privat nach Libyen einlädt, wofür er eine Million Dollar zahlt – der hat sowieso sein Leben verwirkt.


Im Freitag hat Lutz Herden einige politische Aktivitäten von Gaddafi zusammengetragen:

Arabien hat mit Muammar al-Gaddafi gebrochen, will ihn weder entbehren noch vermissen. Und Afrika? Es verliert mit dem arabischen Führer einen Pan-Afrikaner, wie es keinen anderen gab. Die Dekade zwischen 2001 und 2011 wäre für die Afrikanische Union (AU) – den zweiten großen Staatenbund nach der Organisation für Afrikanisch Einheit (OAU) – anders verlaufen, vielleicht nie zustande gekommen, hätte es den missionarischen Mentor aus Tripolitanien nicht gegeben. Als Randstaat im arabischen Nordafrika verschrieb sich Libyen bis zuletzt mit gläubiger Energie und unglaublichem finanziellen Aufwand der Integration seines Kontinent. Weder der Kenianer Jomo Kenyatta noch der Senegalese Léopold Senghor noch Nelson Mandela – um nur einige der historischen Führer Afrikas zu nennen – kam je auf die Idee, Vereinigte Staaten von Afrika auszurufen. Oberst Gaddafi tat es am 9. September 1999 in Sirrte. Und gab den überzeugten Panafrikaner, der erhobenen Hauptes einem gescheiterten Panarabismus zu entkommen suchte.

Als er seine Proklamation verlas, erinnerte man sich des Zeremoniells von Khartum gut 30 Jahre zuvor, am 8. Juni 1970. Gaddafi, damals 28 und noch kein Jahr im Amt, beschwor zusammen mit den Präsidenten Gamal Abdel Nasser und Dschafar an-Numairi den Zusammenschluss Libyens mit Ägypten und dem Sudan. Diese Union – mehr Blendwerk ihrer Schöpfer als realpolitische Größe – hatte ausgedient, als Nasser drei Monate später überraschend starb und Nachfolger Sadat wenig Neigung verspürte, mit dem Libyer weiter Bruderküsse zu tauschen. Gaddafi hielten diese und andere Enttäuschungen nicht davon ab, nach Sirrte zu gehen und einen neuen, diesmal panafrikanischen Anlauf zu nehmen.

Als im sambischen Lusaka Mitte 2001 ein letzter Gipfel die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) der Geschichte überließ und die Transformation zur Afrikanischen Union (AU) besiegelt war, kursierte unter den 53 Delegationen ein „Konstitutivakt“ , der viel versprechender kaum sein konnte. Man wollte tatsächlich aufbrechen zu Vereinigten Staaten von Afrika. Es sollte Vorstufen geben, gegen die vier Jahrzehnte OAU wie ein bescheidenes Vorspiel wirkten: die AU wollte ein gemeinsames Parlament (das es heute im südafrikanischen Midrand gibt), eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Armee, die Afrikanische Zentralbank, einen Afrikanischen Gerichtshof. Das institutionelle Muster EU schien unverkennbar, als sollte auf dieser Weise beteuert werden: Gaddafi will als einer der Schirmherren dieser Integration kein weltenferner Visionär mehr sein, den die Utopien für das Machbare entschädigen.

Der Spiegel schreibt heute über Libyen:

Unser Reporter Clemens Höges berichtet aus der Stadt: “Die Luftwaffe hat wieder Ras Lanuf bombardiert, aber die Stellungen nicht getroffen.” Die Lage sei sehr angespannt: “Alle erwarten für heute größere Gefechte.” Die Rebellen versuchen trotz der Angriffe, von Ras Lanuf aus weiter nach Osten vorzurücken. Angeblich haben die ersten schon die halbe Strecke bis Ben Dschawad geschafft.

Auch in Sawija im Westen Libyens gibt es am Dienstag wieder Kämpfe. Ein Augenzeuge berichtete der Agentur AP, Gaddafi-Anhänger hätten die Stadt eingenommen. Wie es weiter hieß, fuhren Panzer und andere Kampffahrzeuge der regimetreuen Truppen in die Stadt und feuerten willkürlich auf die Häuser. Ähnliches berichtet al-Dschasira.

Die Rebellen haben offenbar noch weitere Probleme: Den Aufständischen im Osten Libyens droht das Benzin auszugehen. In der von den Gaddafi-Gegnern kontrollierten Landeshälfte gebe es nur noch Fahrzeug-Treibstoff für eine Woche, berichtete die in Dubai erscheinende Tageszeitung “Gulf News” unter Berufung auf einen Beamten der Übergangsregierung in der ostlibyschen Metropole Bengasi.

Die Junge Welt zieht heute einen Vergleich zwischen der sich anbahnenden Unterstützung der lybischen Rebellen gegen die Truppen und Söldner des Gaddafi-Regimes durch NATO, CIA, US-Air Force etc. und deren Engagement in Bosnien:

Neben der »no-fly-zone« sind auch verdeckte militärische Operationen und die Aufrüstung der Ghaddafi-Gegner im Gespräch, wie weiland in Bosnien in den 90er Jahren, als die NATO die antijugoslawischen Sezessionskräfte unterstützt und den Bürgerkrieg dort um Jahre verlängert hatte.

Der Vergleich Libyen Bosnien hinkt jedoch, auch war das kein Bürgerkrieg in Bosnien, sondern ein Nationalitätenkrieg um Territorien, in Bürgerkriegen geht es nicht um Territorien. Auch in Libyen findet kein Bürgerkrieg statt, sondern ein Volksaufstand gegen ein schändliches  Regime. Im übrigen ist der “Bürgerkrieg” nur ein anderes Wort für Klassenkampf, wie Rosa Luxemburg gegenüber der verbrecherischen deutschen Sozialdemokratie hervorhob.

Was die Junge Welt aufzählt an personellen und technischen Möglichkeiten der USA, die libyschen Rebellen zu unterstützen, wird außerdem zum großen Teil von diesen abgelehnt.

Derzeit sind alle Augen auf Libyen gerichtet. Die Aufständischen müssen um jeden Preis siegen, sonst ist die ganze Arabische Revolution gefährdet. Die richtige Frage dabei stellen sich nicht die Amis, die Nato, die JW, Chavez oder sonstwer, sondern immer mehr aufständische Araber in den Nachbarländern: Sollen sie internationale Brigaden aufstellen, um das Gaddafi-Regime gemeinsam zu besiegen?


AP meldet um 16 Uhr:

Im Zuge der Gegenoffensive der libyschen Streitkräfte haben Kampfflugzeuge am Dienstag mindestens fünf Luftangriffe auf Stellungen der Aufständischen in der Nähe des Ölhafens Ras Lanuf geflogen. Tote oder Verletzte habe es dabei offenbar nicht gegeben, sagte ein Reporter der Nachrichtenagentur AP, der die Angriffe beobachtete.

Die Stadt Sawija in der Nähe der Hauptstadt Tripolis wurde nach Augenzeugenberichten bereits von Anhängern von Machthaber Muammar al Gaddafi zurückerobert. Ein Augenzeuge berichtete telefonisch, Panzer und andere Kampffahrzeuge der regierungstreuen Truppen patrouillierten in der Stadt und feuerten willkürlich auf Häuser.

“Die Stadt liegt in Ruinen”, sagte der Augenzeuge. “Manche Gebäude sind völlig zerstört und in den Straßen wird auf jeden geschossen. Es gibt viele Verletzte, aber den Krankenhäusern geht das Material aus.” Außerdem seien in Sawija alle Strom-, Telefon- und Internetverbindungen unterbrochen worden.

Ein Sprecher des libyschen Nationalrats erklärte unterdessen, ein angeblicher Gesandter Gaddafi habe Kontakt zur Opposition in der Stadt Bengasi aufgenommen und Gespräche über einen möglichen Rücktritt des Staatschefs angeboten. Es könne jedoch nicht überprüft werden, ob der Mann tatsächlich auf Geheiß Gaddafis handelte oder aus eigener Initiative aktiv geworden sei, sagte Mustafa Gheriani der Nachrichtenagentur AP. “Unsere Haltung ist klar: Keine Verhandlungen mit den Gaddafi-Regime”, sagte Gheriani.

Der österreichische “Standard” hat gute Nachrichten, wahrscheinlich stimmen sie nur leider nicht:

Ultimatum: Rebellen geben Gaddafi 72 Stunden Zeit, um das Land zu verlassen. Keine US-Waffenlieferung an Rebellen – Luftschläge gegen Stellungen der Rebellen in Ölregion

In Libyen scheinen sich die Anzeichen für eine Niederlage des Gaddafi-Regimes zu verdichten. Der Standard berichtet auch heute wieder live  über die Ereignisse in dem nordafrikanischen Land. Unterhalb steht wieder ein Diskussionsforum bereit. Bitte bleiben Sie sachlich und behandeln Sie einander mit Respekt.

In jedem arabischen Aufstand spielt das Militär eine andere Rolle. In Libyen ist es auf die Seite der Aufständischen übergetreten und hat sich einem “Nationalrat” unterstellt, der seine Basis in den neuen “Volkskomitees” der “befreiten Gebiete” hat. Diese befinden sich im wirtschaftlich von Gaddafi vernachlässigten Osten des Landes. In Tunesien stellte sich das Heer zwischen Polizei und Demonstranten. In Ägypten hat das Militär, dem große Teile der Landwirtschaftsflächen gehören, den Übergang zu einer Neuordnung geschafft – jedenfalls bis jetzt. Bei der Stürmung der Staatssicherheitszentralen in den letzten Tagen stellte sich gegen die Demoinstranten.

Aus dem Jemen berichtete AP um Mitternacht:

Die jemenitischen Streitkräfte haben am Dienstag die von Studenten besetzte Universität in der Hauptstadt Sanaa gewaltsam gestürmt. Wie Augenzeugen berichteten, gingen die Soldaten dabei mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die jungen Männer und Frauen vor, die für einen Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh demonstriert hatten. Nach Angaben von Ärzten wurden 98 Menschen verletzt, viele von ihnen schwer.

Zuvor hatten sich etwa 2.000 Häftlinge den Protesten gegen Saleh angeschlossen und in einem Gefängnis in Sanaa gemeutert. Der Aufstand sei am späten Montag ausgebrochen, sagte ein Behördenvertreter am Dienstag. Die Häftlinge hätten mehrere Wachleute als Geiseln genommen und bessere Haftbedingungen gefordert. Das Sicherheitspersonal habe Tränengas eingesetzt und in die Luft geschossen. Mindestens ein Häftling kam ums Leben, 80 Menschen wurden verletzt, wie die Polizei mitteilte.

Inspiriert von den Protesten in Tunesien und Ägypten kommt es seit Wochen im Jemen zu Protesten gegen die Regierung. In der Hauptstadt Sanaa war die Lage am Dienstag angespannt. Die Streitkräfte ließen Panzerwagen auffahren und besetzten wichtige Kreuzungen und Zufahrten zum Präsidentenpalast sowie zur Zentralbank.

In mehreren Städten der Provinz Ibb beteiligten sich Zehntausende an Protesten gegen das gewaltsame Vorgehen von mutmaßlichen Regierungsanhängern. Bei Zusammenstößen am Sonntag wurde eine Person getötet, 53 weitere wurden verletzt.

Auch aus den Provinzen Dhamar, Schabwa, Hadramaut und Tais wurden Proteste gemeldet. Nachdem am Montag ein junger Demonstrant von einer Kugel schwer am Kopf verletzt worden war, schloss sich am Dienstag eine Gruppe Frauen einem Protestzug in der Hafenstadt Aden im Süden des Landes an.

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