vonDiasporaOst 20.12.2024

DiasporaOst

Träumen, Wünschen und Fürchten Ostdeutschlands / DDR-Sozialisation und Wende-Narrative / Politische Ästhetiken des Ostens

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Mit dem Verschwinden der DDR verblassten auch ihre Stimmen und Erzählungen. Sie verstummten nicht, aber sie verschwanden aus der öffentlichen Debatte; dem Reigen öffentlicher Erzählungen, aus dem sich Geschichte zusammensetzt.

Die Sprache der Sieger setzte sich auf das Allgemeine. Die Sprachen aus der DDR; die Dialekte der Ambivalenzen und Widersprüchen wurden getilgt oder ins Museum verfrachtet.

Was bleibt ist die eine, immergleiche Erzählung der DDR als Unrechtsstaat und Diktatur. Gestrichen wird das Proletariat nicht nur aus der Beschreibung der Staatsform, sondern ebenso ihre Geschichten.

Gemeinsam mit den Betrieben, Produktionsmitteln, den öffentlichen Ämtern in Politik und Kultur, die im rasenden Tempo durch die fachkundigen Hände der Treuhand in den Westen transferiert wurden, verlor die Lebensart der Menschen in der nun ehemaligen DDR ihre Legitimität. Und so unterbrach auch die Weitergabe von Geschichten und Redensarten derjenigen Generation an ihre Kinder und Enkel, denen mit der sogenannten Wende eben nicht nur die Arbeitsplätze gekündigt, sondern auch die Träume genommen wurden. Resignation und Sprachlosigkeit stellten sich bei den einen, Wut und ein Schlagen auf die Falschen, bei den anderen ein.

Jetzt, weit über 30 Jahre nach der Aneignung des Westens von der DDR, fangen Menschen an, zu sprechen. Während sich in Ostdeutschland eine immer selbstbewusstere Debatte formiert, die es nicht mehr dem antiquierten Knurren Biermanns, Kowalczuks und Co überlässt, die eigene Vergangenheit und Gegenwart öffentlich zu deuten, bleibt es in Westdeutschland erwartungsgemäß still. Da diese Debatte, bis auf wenige sehr erfreuliche Ausnahmen ausschließlich von Stimmen mit biographischen Ostbezug geführt wird, hängt ihr auch der Verdacht des Identitätspolitischen an. DiasporaOst will dagegenhalten.

Eine aktivistische wie akademische Linke verkennt das ästhetische wie politische Potential, welches die DDR als Reservoir von Erfahrungen und Geschichten von einem Leben abseits des vermarkteten BRD-Alltags mit sich bringt. Eigentlich müsste dies überraschen, weil gerade in den Erzählungen des Alltags über das Träumen, Wünschen und Fürchten der (Post)DDR-Menschen etwas verborgen liegt, womit sich unsere politische Gegenwart besser verstehen ließe. Im Windschatten der aktuellen Debatten, die nach der Hoheit und Verfügung über das Narrativ DDR fragen, nehmen wir die spezifisch ästhetische Politizität der DDR in den Blick.

In literarischen Alltagserzählungen, die das Wünschen und Fürchten der DDR-Gesellschaft wie ein Brennglas ausleuchten, lassen sich Widerspruche sowie ästhetische Verfahren des Realismus und Dokumentarismus als Methode einer sozialistischen Kultur herausstellen. Das versuchen wir mit DiasporaOst.
Es überrascht in dieser Hinsicht nicht, dass sich (nicht nur aber doch vor allem) im Westen nicht etwa ästhetisch wie politisch radikale Bücher wie Franziska Linkerhand, Geschlechtertausch oder Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura großer Beliebtheit erfreuen, sondern Texte über Stasi, Wochenkrippen oder die Freiheiten des BRD-Kapitalismus.

Der große „Freiheitsschock“ nach 1990 bestand nicht etwa darin, dass die dummen Ossis die tolle Demokratie des Westens nicht verstehen konnten, sondern dass von einem Moment auf den anderen alle fortschrittlichen Gesetze und Lebensformen (Abtreibung, Kinderbetreuung, Gleichstellung der Geschlechter usw.) von der Freiheit des Marktes der BRD aufgefressen wurden:

„Alles wofür sie gelebt hat, ist jetzt nichts mehr wert. Alle ihre Träume nur bedeutungslos und leer. […] Ob Karl-Marx-Stadt oder New York (Egal). Freiheit ist nur ein leeres Wort.“ (Hinterlandgang).

DiasporaOst nimmt seinen Ursprung zum einen darin, dass ein Großteil unserer Arbeit im Westen lokalisiert ist.

Weggehen, Bleiben, Zweifeln, Schweigen, Kämpfen, Träumen – was tun, in einem Land, in dem wir leben und doch nie ganz ankommen? Wie lässt sich der Zustand beschreiben, aus einem Land zu kommen, dass es nicht mehr gibt und in einem Land zu leben, das wir (so) nicht wollen?

Diaspora (διασπορά) heißt Zerstreuung und Verstreutheit. DiasporaOst beschreibt damit den Versuch, inmitten von Zerstreuung, Verlust und Neuanfängen eine Sprache zu finden. Eine Sprache, die auch politische Tat ist und damit mehr als eine – als unsere – Identitätsfrage. DiasporaOst heißt auch, sich auf das ästhetische und politische Erbe eines Staates zu berufen, der schlicht nicht mehr existiert. Das Berufen tun wir nicht ohne Skepsis und Kritik; doch denken wir mit Ronald M. Schernikau auch immer noch, dass die Dummheit der Kommunisten kein Argument gegen den Kommunismus ist.

Mit der DDR ist eine Chance verschwunden, jedoch nicht die Träume, Zweifel und Widersprüche jener Menschen, die in Ihre lebten. ​​​​​​​​​​​​​​Darin, in den Widersprüchen von Alltag und Träumen, liegt die Möglichkeit begründet, sich eine andere Welt als die jetzige zumindest vorstellen zu können. Ohne die Kraft des Träumens sind Möglichkeitsräume nicht sichtbar und eine andere Wirklichkeit nicht denkbar.

DiasporaOst bedeutet dabei also für uns auch, das ästhetische wie politische Erbe eines untergegangenen Traumes zu bergen und dabei die Furcht und Angst nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wollen nach Erzählungen suchen, die im BRD-Diskurs keinen Raum finden und fragen dabei: Warum eigentlich nicht?

DiasporaOst versteht sich als offenes Kollektiv das keiner konkreten Mitgliedschaft bedarf. Wir versuchen einen Kristallisationspunkt für verschiedenste Fragen und Themen rund um die DDR und Ostdeutschland zu bilden. Entsprechend ist DiasporaOst auch eine Einladung zur Beteiligung. Dabei versuchen wir explizit nicht dem hilflosen Versuch eines Konsens zu erliegen. Vielmehr möchten wir mit dem kollektiven Netzwerk DiasporaOst ein dichtes Mosaik an solidarischen Widersprüchen abbilden.

Uns interessieren nicht die Widersprüche gegen die DDR, sondern die Widersprüche in und mit ihr. Uns interessiert auch nicht das Versöhnungsmärchen der sogenannten Wiedervereinigung – uns interessiert der Umbruch, der Zusammenbruch und das Scheitern eines Traumes und die Frage, was davon übriggeblieben ist.

„Also träumen wir mit hellwacher Vernunft. Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg! Sehen aber die Bilder der immer noch Weggehenden, fragen uns: Was tun? Und hören als Echo die Antwort: Was tun!“ (Christa Wolf)

© Institut für Gebrauchsgrafik

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