vonKarim El-Gawhary 21.07.2010

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Wer Trostlosigkeit und Armut kennenlernen will, der sollte die Beduinengemeinschaften im Norden des Sinai besuchen. Eine Viertel Million Beduinen leben dort mehr oder weniger abgeschnitten von jeglicher Entwicklung. Der ägyptische Staat betrachtet sie einzig und allein als Sicherheitsproblem.

Es gibt keine Arbeit. Drogenanbau und der Schmuggel in den Gazastreifen und nach Israel sind die Haupteinnahmequelle. Die Landbesitztitel der Beduinen, die auf keinem staatlichen Papier niedergeschrieben sind, werden ihnen von zugereisten Ägyptern aus dem Niltal streitig gemacht. Korruption ist Tagesgeschäft.
Nach Terroranschlägen in Taba, Dahab und Scharm El-Scheich 2004/5 wurden die Beduinen zu Tausenden verhaftet. Doch in Wirklichkeit hat der Staat, der nur mit seinem Polizeiapparat auftaucht, keine Kontrolle über das Gebiet.

Aber auch die traditionelle beduinische Stammesgesellschaft zerfällt. Neureiche Schmuggelbarone und vom Staat eingesetzte „Stammesführer“ akzeptieren nicht mehr die traditionellen Autoritäten der Beduinen-Clans. Die von den verschieden Zweigen des Sicherheitsapparat eingesetzten Spitzel fühlen sich an nichts gebunden, weder an das Gesetz noch an die Regeln des Stammes.

Mussa El-Dilh ist einer der traditionellen Beduinen-Stammesführer. Er wird von der Polizei gesucht. Letzte Woche schrieb er von seinem Versteck aus einen interessanten Brief an die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masri Al-Youm, die von dieser auf der Meinungsseite veröffentlicht wurde.

Ich habe diesen Hilferuf eines Beduinen aus der Wüste Sinai übersetzt.

„In den weiten Enden der Wüste im Sinai hat sich das Böse nicht mehr länger versteckt. Es zeigt seinen hässlichen Kopf am hellichten Tag, wenn die Sicherheit in Gefahr ist, genauso wie die öffentliche Ordnung. Es ordnet sich nicht irgendwelchen Gesetzen oder Regeln unter. Einer unserer Beduinen-Dichter hat einmal gesagt: „Über Nacht verwandelt sich der Schäferhund in einen Wolf, und nur seinen Regeln müssen wir folgen“.

Es ist wahr, dass die Menschen eigentlich ihrer Regierung folgen sollten. Aber das geschieht nur, wenn die Regierung weise ist, dem Interesse der Menschen verpflichtet ist und sie nicht den Wölfen zum Frass vorwirft, die ihre eigenen unfairen Regeln aufgestellt haben, bei denen das Opfer zum Verbrecher gestempelt und der Verbrecher als Held gefeiert wird.

Wir haben lange den Schaden ertragen, den die herumziehenden Wölfe uns zugefügt haben. Die hohen Berge und der goldene Sand des Sinai können die Geschichten erzählen. Wir werden alleine gelassen, uns zu verteidigen und unsere Feinde ohne Hilfe zu bekämpfen. Traurig ist, als wir Beduinen schließlich uns selbst wieder entdeckt haben, wurden wir zum Feindbild.


Sind sie gekommen, um uns zu beleidigen? Was für Fehler haben wir begangen? Ist es, weil wir uns entschlossen haben, unser Land nicht zu verkaufen und uns gegenüber unseren Leuten loyal und treu zu verhalten?


Warum nimmt man uns unsere Landrechte weg? Warum wird unsere Jugend verhaftet und  gejagt? Warum verfolgt und schikaniert man uns an den Grenzen (zu Gaza und Israel)? Warum spricht man schlecht über uns in der ägyptischen Presse und im Fernsehen? Warum verleiht man uns dieses negative Image und warum betrachtet man uns mit Mistrauen und Argwohn?


Wie lange müssen wir noch warten, bis sich die Lage verbessert? Manchmal sind die Beduinen gezwungen Gewalt anzuwenden, um zu beweisen, dass wir uns durch die exzessive Gewalt der anderen Seite nicht unterkriegen lassen.


Die Regierung muss andere Wege finden, mit uns umzugehen, wenn sie ehrlich daran glaubt, dass wir alle Teil einer Nation sind, deren Schicksal wir teilen.


Ägypten hat Platz für uns alle und wir werden niemals eine andere Heimat akzeptieren. Alles was wir wollen ist, als Menschen und als Bürger dieses Landes behandelt zu werden.


Wir wollen nicht wie Fremde im eigenen Land behandelt werden. Wir wollen übereinkommen, dass die Angelegenheit der Beduinen nicht allein und exklusiv als eine Angelegenheit des Sicherheitapparats betrachtet werden.  In unseren Wüsten sehen wir nur Polizeioffiziere. Das geht so weit, dass in unsere Kultur das Wort „Staat“ und „Polizist“ ein Synonym geworden ist.

Manchmal hören wir davon, wie sie von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung sprechen, aber die Bedeutung diese Worte lernen wir im Sinai kaum kennen.
Wir hassen unsere Heimat nicht, aber wir leben als unerwünschte Gesetzlose zwischen Bergen und Wüste.


Wir sind gezwungen unseren Lebensunterhalt auch mit illegalen Mitteln zu verdienen, weil uns die Regierung ohne jegliche Alternative lässt. Stattdessen zerstört sie unsere Beduinengesellschaft, indem sie unseren vermeintlichen Stammesführer handverlesen bestimmt und indem sie unsere Jugendlichen als Spitzel und Geheimagenten rekrutiert.

Ich frage euch, gibt es irgendwo weise Männer, die diese Situation noch verändern können?“

Am 29.6 fand in Kairo ein Treffen einiger der Beduinenstammesführer mit dem ägyptischen Innenminister Habib El-Adli statt, mit dem Ziel, die Lage im Interesse beider Seiten zu deeskalieren. Die Beduinen hatten zuvor gedroht, eine Gaspipeline zwischen Ägypten und Israel in die Luft zu jagen und die Schnellstraße vom Suezkanal nach Gaza entlang der Mittelmeerküste zu blockieren.
Seit diesem Treffen hat die Regierung, nach Angaben des Gouverneurs von Nordsinai, Murad Muwafi,  127 Beduinen freigelassen.

Abu Fagr

Unter anderem wurde der 41jährige Beduinen-Blogger und Aktivist Mosaad Suleiman Abu Fagr freigelassen, der bei Protesten der Beduinen gegen ihre Diskiriminierung im Dezember 2007 festgenommen, und mit Hilfe des Notstandsgesetzes festgehalten wurde, obwohl ägyptische Gerichte bereits 20 Mal dessen Freilassung angeordnet hatten.

Ölminister Sameh Fahmi hat vor wenigen Tagen verkündet, im Sinai eine Ölgesellschaft gründen zu wollen, deren Management und Personal zu großen Teil aus Beduinen bestehen soll.

Für den 25 Juli haben die Beduinen ein Stammestreffen im Zentralsinai angekündigt, um ihr weiteres Vorgehen zu koordinieren.

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