von 01.07.2010

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Der Pixelcholeriker, vielleicht auch schon bald im medizinischen Nachschlagewerk? (Foto: spacejunkie/photocase.com)

Meine Hand fühlt sich ganz taub an. Ich habe komische Schmerzen in Handgelenk und Daumen. Ich fühle mich krank. Hoffentlich nichts Ernstes. Um sicherzugehen, dass mit mir alles in Ordnung ist, frag ich mal bei einem medizinischen Online-Berater nach – die wissen immer was zu tun ist.

  • Schmerzen im Handgelenk, begleitet von Druckempfindlichkeit am Ellbogen – check
  • Verspannungen in Schulter und Handgelenk – check
  • Taubheitsgefühl oder Kribbeln in den Händen – check

….ok, ich bin definitiv krank. Ich leide unter einem Mausarm. Verursacht wird der Mausarm durch zu viel Arbeit am Computer, vor allem an Tastatur und Maus.

Aber was ist mit den Schmerzen im Daumen? Aha, laut Internet habe ich zusätzlich zu meinem Mausarm auch noch einen SMS-Daumen – zu oft, zu schnell und zu verkrampft auf der Handytastatur getippt. Oje, ich bin krank, sehr krank!

Gut, jetzt beruhige dich erst mal. Im Vergleich zu der Smartphonefraktion geht es mir noch gut. Immerhin habe ich nur körperliche Leiden. Die Smartphone-Nutzer aber drohen psychisch abzudrehen. Bei den ersten wurde die sogenannte Touchmanie diagnostiziert. Es muss furchtbar sein, ständig den Zwang zu verspüren, auf alles, was einen Bildschirm hat, drauf drücken zu müssen. Und vermutlich dauert es nicht mehr lange, bis es den dazugehörigen Touch-Zeigefinger geben wird.

Langsam und schleichend werden wir von der Technik besiegt. Noch sind es nur die Daumen, oder die Zeigefinger, oder harmlose Zwänge. Kleine Opfer, die wir für die moderne Welt gerne bringen. Aber was ist, wenn die Zukunft mehr Opfergaben von uns verlangt? Wenn Daumen und Zeigefinger nicht genug sind?

Schließlich reckt sie sich auch schon begierig nach unserer Realität. Sogenannte Augmented Reality Apps können heute schon Reales mit virtuellen Elementen vermischen. Und ein Live-Video ist bald nicht mehr nur noch ein Abbild der Wirklichkeit, sodern zeigt dir zum Beispiel an, wo deine Twitterfreunde gerade sind und was sie zwitschern. Die Realität erweitern, das ist das Ziel. Und was kommt danach?

Von diesen Gedanken wird mir ganz schwindelig. Gott sei Dank sind meine Schmerzen noch real. Ich bin nämlich krank, sehr krank. Und deswegen geh ich jetzt meine Wunden pflegen und genieße die Realität solange sie noch mir gehört.

Text: Michaela Brehm

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