vondigitalkonzentrat 24.07.2018

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Endlich kann ein Computer das, was sich die Menschheit seit K.I.T.T. schon immer gewünscht hat. Mit Duplex hat Google vor knapp zwei Monaten ein System vorgestellt, welches natürlichsprachlich mit Menschen redet — in einem ersten Anwendungsfall um telefonisch Termine bei Restaurants und Friseursalons klarzumachen. Natürlichsprachlich deshalb, weil die steril-nüchterne Artikulation bewusst durch eine stockende, mit Ähs und Ehms durchsetzte Satzmelodie ersetzt wurde, mit mehr Mensch und weniger Informationsdichte im Gesprochenen. Dem Beifall zu urteilen hat die Menschheit darauf gewartet, der Coup war samt Berichten in allen großen Medien groß. Als dann Tech-Journalisten sich die Sache genauer anschauen durften, war das Resümee jedoch irgendwo zwischen ganz ok und differenziert abwägend.

Ist eine ähm-sagender Computerstimme nun die heilsbringende Lösung für die Aufgabe, die hier als Anwendungsfall von Google inszeniert wird? Es ergeben sich gleich mehrere Problempunkte.

Kein Widerstand möglich

Ersterer ist offensichtlich: Der Angerufene, in diesem Fall der arme Friseur oder die gestresste Kellnerin des Restaurants, weiß im Ernstfall nicht, dass sie nicht mit einem Menschen sondern mit einem Computer redet. Gerade weil das System bewusst so implementiert ist, dass vordergründig die soziale Ebene eines Gespräches abgebildet ist, hat die Interaktion einen fahlen Beigeschmack. Denn die Grundlage der Technoethik ist das Grundprinzip der Widerständigkeit. Und das wird hier massiv missachtet. Das Prinzip, dass ein Mensch die Maschine immer abschalten kann, sich ihr widersetzen kann, sie kontrollieren kann, ist genau dann ausgehebelt, wenn man die Maschine nicht mehr erkennt. Im Kontext eines Telefonates, so ganz ohne visuelles Gegenüber, hat Google das mit Duplex nun geschafft. Der Computer besteht den Turing-Test, vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit. Die Widerständigkeit ist komplett abgeschafft. Das Bedarf einer Diskussion, einer Aufklärung und vielleicht auch einer gesetzlichen Regelung.

Ein echtes Problem, aber die falsche Lösung

Ein zweiter und meiner Meinung nach viel wichtigerer Punkt ist überhaupt das Konzept, lästige Aufgaben wie das Finden eines Termins mit einem Telefonanruf zu bewältigen. Sicher weniger spektakulär, aber ungemein effektiver wäre nämlich, auf beiden Seiten ein Computersystem zu haben. Was Google hier mit großem Tamtam vorstellt, gleicht einem neuartigen Geschirrspüler, der mit zwei Roboterarmen über dem Waschbecken hängend einen seifigen Spülschwamm elegant über dreckige Teller reibt. Und die Tech-Blase bewundert und klatscht ehrfurchtsvoll. Erfüllt zweifelsohne den Zweck, ist aber overengineerter Quatsch. Seit Dekaden gibt es eine bessere Lösung.

Es bedarf nicht viel, keiner KI, keinem komplexen Algorithmus, um zwischen einem lokalen Sprachassistenten und einem digitalen Dienst einen möglichen Termin zur Maniküre, für den Arzt oder das Gruppen-Yoga zu finden. Entsprechende offenen Protokolle oder kommerzielle Services gibt es seit Jahren.

Würde Google Assistent oder Duplex, Apple Siri und Amazon Alexa in einem ersten Schritt einmal das nutzen, was schon spezifiziert und vorhanden ist — der Nutzen wäre ungemein größer. Statt fünf Minuten auf den Computer-Anruf zu warten, kann der Assistent in Millisekunden einen Termin digital aushandeln.

Was es dazu bedarf? Die lokalen Geschäfte, vom China-Restaurant über den Friseursalon mit schlechtem Wortwitz im Titel bis hin zu Arzt im ländlichen Raum, müssen enabled werden, ein solches System einfach und schnell und am besten unabhängig von einem zentralen Konzern zu installieren. Ihre Lobby und Awareness ist aber offensichtlich so gering, dass sie lieber teure Arbeitskraft dafür aufwenden, die immer wieder selben banalen Reservierungen zu verbuchen — am besten in einem großen Buch mit Lesezeichen, das auf einem Pult am Eingang liegt und in das man wohl ganz grundsätzlich alle Nachnamen falsch geschrieben einträgt.

An der technisch richtigen Lösung haben die Plattform-Giganten kein Interesse

Eine direkte und freie Maschine-zu-Maschine-Lösung wäre auch für Google wenig erträglich. Keine Sau, die man durch die Blogosphäre und Technews treibt, kein Beitrag in der Tagesschau.

Dass sich die Plattform-Systeme der Techgiganten öffnen müssen, hat auch Fast-Digitalministerin Barley erkannt. Sie forderte unlängst, dass WhatsApp seinen Messenger so implementiert, dass andere Messenger und Systeme auch darüber kommunizieren können. Facebook, als Besitzer von WhatsApp, hat daran freilich kein Interesse, würde es doch die ach so schön aufgebaute Plattform untergraben. Dass Facebook in den Anfängen des Facebook Messenger selbst stark vom offenen XMP-Protokoll profitiert hat, das scheint nach der Etablierung des eigenen Systems keine Rolle mehr zu spielen — jetzt wo der Rubel rollt und die User auf dem System gefangen sind.

Bleibt zu hoffen, dass der natürlichsprachliche Google Assistent vielmehr ein prototypischer Technologieträger als denn ein Anruf-Sklave sein wird — zugunsten freier Protokolle für unsere alltägliche Kommunikation. Denn Alexa und Co. würden eine schönere Satzmelodie allemal ganz gut vertragen. Und über einen per Digitalassistent organisierten Termin, in Millisekunden über einen einfachen digitalen Service ganz ohne Anruf organisiert, beklagt sich auch keiner. Bitte aber mit Filter für Friseursalons mit Wortwitz im Namen.

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