vonsophie 17.06.2024

dreilaendereck

Politik, Geschichte und eine Menge Kritik aus queerfeministischer Sicht mit Schwerpunkt auf Osteuropa.

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Anfang Juni 2024 – Es sind bereits fast sechs Wochen seit dem taz Lab vergangen. Ich war dort als Nachwuchs-Stipendantin der taz Blogs und habe ein interessantes Gespräch zum Thema Osten und Queersein angehört. Das brachte mich zum Nachdenken über meine eigene Ost-Identität, die geprägt wird von meiner eigenen Einwanderungsgeschichte und meinem Queersein. Momentan schaue ich mit viel Angst Richtung Russland und den Ex-Sowjet-Mitgliedstaaten, wo ich die Verschlechterung der LGBTIQ*-Rechte sehe: Propagandagesetze werden verabschiedet, LGBTQIA*-Menschen werden zu Extremisten erklärt.

Lange sah es für mich so aus, als würde die Welt, wo ich mich zurechtfinden muss, häppchenweise toleranter. Als Teil der ungarischen Minderheit in Rumänien und später als Einwanderin erster Generation in Deutschland verfolgte ich die Situation in meinen beiden Heimatländern. Trotzdem war ich noch lange hoffnungsvoll. Auch nachdem in Ungarn die Änderung des Geschlechtseintrages in der Verfassung verboten wurde. Auch nachdem in Ungarn ein Propagandagesetz eingeführt wurde. Ich glaube, dass der Kipppunkt bei mir gekommen ist, wo ich anfange, mich nicht mehr sicher zu fühlen.

Bald jährt sich zum 23. Mal in Rumänien, dass Homosexualität vollständig entkriminalisiert wurde. Die Geschichte der Kriminalisierung von queeren Menschen in Rumänien zeigt sehr viele Ähnlichkeiten, die zur heutigen Zeit passen.

Hier ein kleiner Rückblick, wie in Rumänien alles angefangen hat:

1791: Das neue französische Strafgesetzbuch wird verabschiedet. Damit wurde Homosexualität im damaligen Frankreich entkriminalisiert, als einer der ersten Länder weltweit.

Das heutige Rumänien entstand Anfang der 1860er-Jahre, in dem sich die zwei rumänischen Fürstentümer Walachei und Moldau zusammengeschlossen haben.

Das erste rumänische Strafgesetzbuch wurde im Jahr 1865 verabschiedet, angelehnt an die französischen und preußischen Strafgesetzbücher. Hier wird Homosexualität noch nicht als Straftat aufgeführt.

Erst 1936, unter deutschem Einfluss, wurde das rumänische Strafgesetzbuch überarbeitet, wo unter Artikel 431 gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr unter Strafe gestellt wird und mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet wird.

Eine weitere Verschärfung des „Homosexuellenparagraphes“ kam im Jahr 1968, kurz nachdem Nicolae Ceausescu1

an die Macht kam. Der neue Artikel 200 bestrafte gleichgeschlechtlichen Sex mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Zusätzlich wurde die sexuelle Handlung eines Erwachsenen mit einem Minderjährigen gleichen Geschlechts kriminalisiert und mit bis zu sieben Jahren Freiheitsstrafe bestraft.

Auch neu war der Strafbestand des „Anstifters oder Verlockung einer anderen Person zur Beobachtung der Ausübung sexueller Handlungen zwischen dem gleichen Geschlecht sowie der Propaganda oder sonstige Bekehrungshandlungen mit dem gleichen Zweck“ und wurde mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet.

Trotz der Revolution 1989 und dem Übergang zum demokratischen Rechtsstaat hat es erstmal keine Verbesserung im Leben von queeren Menschen gebracht. Bis Mitte der 1990er-Jahre wurden Homosexuelle Menschen verfolgt und bestraft.

Eine Veränderung kam erst 1996, als das Verfassungsgericht entschied, dass das Gesetz nicht verfassungskonform sei. Dazu kam die Änderung des Artikels 200 im November 1996. Dadurch wurde gleichgeschlechtlicher Sex straffrei. Dennoch wurden homosexuelle Beziehungen, die in der Öffentlichkeit gezeigt werden oder einen öffentlichen Skandal hervorrufen, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft.

Nur durch den Druck der Europäischen Union und des Europarates wurde der Artikel 200 am 22. Juni 2001 nach dem von der Nastase-Regierung angestrebten Gesetzesentwurf ersatzlos gestrichen. Sie hatten das Gesetz verurteilt und drohten, deswegen die EU-Beitrittskandidatur von Rumänien hinauszuzögern.

Stand 2024 sind einige Antidiskriminierungsgesetze aufgrund der sexuellen Orientierung in Rumänien verabschiedet worden. Trotzdem ist man häufig Diskriminierung ausgesetzt, es gibt keine rechtliche Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare und keine konkrete gesetzliche Regelung für die Namens- und Personenstandsänderung für trans* Menschen. 

Fazit: Die Rechte der queeren Menschen sind nicht sicher. Wir leben in einer Zeit, wo Länder die “Homo-Propaganda” unter Strafe setzen, womit sie versuchen, uns mundtot zu machen. Die Europawahlen vor ein paar Tagen bringen nicht unbedingt Hoffnung mit, sondern verdeutlichen noch mehr, dass man mit queerfeindlichen Themen bei einem Teil der Bevölkerung punkten kann. 

Quellen: https://ro.wikipedia.org/wiki/Articolul_200

https://www.vice.com/ro/article/3kkeg5/gay-in-romania-anilor-80

1 Nicolae Ceaușescu (1918-1989), neostalinistische Diktator von Rumänien von 1965 bis 1989

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