Die Legalisierung von Cannabis hat keine Auswirkungen auf die Zahl der Konsumenten. Die stellten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in ihrer Analyse vom 21. November 2019 (Aktenzeichen WD 9-3000-072/19) fest. Untersucht wurden die Entwicklungen in Ländern, in denen Cannabis entkriminalisiert und/oder völlig legalisiert wurde. In der Analyse wurde die Entwicklung in den Ländern Belgien, den Niederlanden, Kanada, Portugal, Uruguay sowie in diversen Bundesstaaten in den USA beschrieben.
Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages
Der wissenschaftliche Dienst kommt zu dem Schluss, „dass die Verfolgung einer strikten Drogenpolitik wenig bis keinen Einfluss auf das Konsumverhalten hat“. Zudem
„wiesen einige der Länder mit den strengsten gesetzlichen Regelungen einige der höchsten Prävalenzraten im Hinblick auf den Drogenkonsum auf, während Länder, die eine Liberalisierungspolitik verfolgen, einige der niedrigsten Prävalenzraten aufwiesen.“
Die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes weisen darauf hin, dass
„die Bereitschaft zur Angabe eines Drogenkonsums möglicherweise größer, wenn es sich um legale Drogen statt illegaler Drogen handelt. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass ein Anstieg der Konsumraten nach einer Legalisierung zum Teil auf ein verändertes Antwortverhalten der Befragten zurückzuführen ist. Zu berücksichtigen ist dieser Aspekt auch beim Vergleich von Prävalenzraten in Ländern, die den Konsum legalisiert haben, mit Ländern, in denen dieser strafrechtlich verfolgt wird.“
Im Rahmen einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2019 (Mark D. Anderson, et.al) heißt es gemäß den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages, dass
„sowohl Bundesstaaten betrachtet wurden, in denen Cannabis zu medizinischen Zwecken legalisiert wurde (medicinal marijuana laws – MML), als auch Bundesstaaten, die Cannabis unabhängig von einer medizinischen Anwendung auch als Freizeitdroge legalisiert haben (recreational marijuana laws – RML): Für die Auswertung wurden umfangreiche Daten aus dem Youth Risk Behavior Surveys (YRBS) für die Jahre 1993 bis 2017 von fast 1,5 Millionen Schülern der neunten bis zwölften Klasse herangezogen. Ausgewertet wurden sie im Hinblick auf den Konsum von Cannabis während der letzten 30 Tage sowie auf regelmäßigen Konsum von Cannabis an mindestens zehn der vergangenen 30 Tage. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass sich durch die Legalisierung von Cannabis (zur nicht-medizinischen Verwendung) die Wahrscheinlichkeit eines Cannabiskonsums um acht Prozent reduzierte, die Wahrscheinlichkeit eines regelmäßigen Konsums von Cannabis um 9 Prozent sank. Nach Ansicht der Autoren könne die Freigabe von Cannabis zur nicht-medizinischen Verwendung zu einer Verringerung der Konsumprävalenz bei Jugendlichen führen. Dies stimme mit den Ergebnissen anderer Studien überein und passe zu dem Argument, dass durch die Legalisierung Dealer durch lizenzierte Ausgabestellen ersetzt würden und Jugendlichen dadurch der Zugang zu Cannabis erschwert würde.“
Auf der Website des Deutschen Hanfverbandes (DHV) findet man unter dem Titel „Legalisierung von Cannabis – keine Auswirkungen auf die Zahl der Konsumenten in ausgewählten Ländern“ eine übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse aus dem Gutachten.
Haufenweise Fake News zu Cannabis
In der ARD (Report München, Hessenschau, Tagesschau) und diversen Printmedien war in letzter Zeit eine Häufung von falschen Angaben betreffend Cannabis und die Folgen des Konsums zu beobachten. Da auch sich in den letzten Wochen weiterhin diverse Medien auf den tendenziösen Bericht von Report München beziehen und, ebenso wie die Tagesschau, diesen ohne einer weiteren Prüfung verbreiten, hat Sascha Waterkotte vom DHV am 23. Januar 2020 für weitere Klarheit zu gesorgt. In seinem Beitrag „Sucht in Deutschland – das sagen die offiziellen Zahlen“ stellt er fest:
„Geht es um Fragen zu stationären und ambulanten Patientenzahlen, empfiehlt sich die Lektüre der jährlich erscheinenden Deutschen Suchthilfestatistik. Diese vom Bundesgesundheitsministerium unterstützte Statistik schlüsselt detailliert auf, aufgrund welcher Substanzen Menschen in Deutschland Suchthilfeeinrichtungen aufsuchen. Es werden auch Komorbiditäten (weitere, diagnostisch abgrenzbare Krankheitsbilder) oder polyvalente Konsummuster abgebildet. Ein Blick auf S. 69 des Berichts des letzten Jahres zeigt die Gesamtzahl aller wegen der Hauptdiagnose Cannabis stationär behandelten Menschen. Diese beläuft sich auf insgesamt 3.195 Personen (10,7%) und nicht, wie in den Artikeln behauptet, auf rund 19.000 Menschen im Jahr.“
Laut Tagesschau haben „zwei Drittel, die sich erstmals wegen Drogenproblemen ambulant behandeln lassen, […] inzwischen Probleme mit Cannabis.“ Alle ambulant Erstbehandelten der verschiedenen Drogenkategorien gemäß Jahresbericht 2018 der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) sind zusammen 41.757 Personen. Davon haben 13.853 die Hauptdiagnose Cannabis, also nicht zwei, sondern mit 33% nur ein Drittel. Um ein wenig Perspektive hineinzubringen: Laut der Suchthilfestatistik 2018 wurden insgesamt 28.717 Menschen wegen Cannabis ambulant behandelt, was bei einem Blick auf die konservativ geschätzte Gesamtzahl von 4 Millionen Cannabiskonsumenten knapp 0,7% aller Cannabiskonsumenten ausmacht. Was generell bei der Betrachtung von Menschen, die wegen Cannabis ambulante Einrichtungen aufsuchen, ebenfalls nicht vergessen werden darf: 23% der ambulant behandelten Personen waren aufgrund von Polizei, Justiz oder ihrer Bewährungsauflagen dort.
In diesem Kontext wurde auch häufiger der Hamburger „Suchtexperte“ Rainer Thomasius zitiert. Thomasius bezieht sich wieder auf den Cannabisgegner Thomas Gorman und die von ihm betriebene Seite „Rocky Mountain High Intensity Drug Trafficking Area“ als Quelle – ein Vorgehen, welches der DHV bereits 2017 bei der damaligen Drogenbeauftragten Marlene Mortler inhaltlich kritisierte. Der pensionierte Drogenfahnder Thomas Gorman fiel wiederholt wegen der Verbreitung falscher und tendenziöser Zahlen auf und gilt in den USA seit 10 Jahren als unseriöse Quelle. Rainer Thomasius gilt seit vielen Jahren nicht nur als unseriöse Quelle, sondern auch als Mietmaul der CDU und der Bundeskanzlerin. Anfragen bei der Bundeskanzlerin bezüglich der Legalisierung von Cannabis wurden schon im September 2013 vor der Bundestagswahl in den Antworten mit Zitaten von Thomasius begründet (sonst wurde niemand zitiert). Aufgrund der exklusiven Zitierweise kamen dann Schlussfolgerungen wie:
„Die CDU Deutschlands ist sich der eindeutig sehr gefährlichen Wirkungen von Cannabis bewusst und ist klar gegen eine Legalisierung von Cannabis. Ein solches Handeln würde jeglicher Verantwortung gegenüber der Gesellschaft entbehren.“
Auch die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig verbreitet Fake News. So schrieb sie am 12. Februar 2020 auf Twitter:
„Portugal, Belgien und Niederlande verfolgen ab 3g. Wir in der Regel erst ab 6g. aufwärts. Das steht auch im Gutachten.“
In dem Gutachten heiß es jedoch:
„Rein formal unterliegt der Besitz und Verkauf von Drogen in den Niederlanden weiterhin den strafrechtlichen Vorschriften des Opiumgesetzes. Allerdings wird bei einem Besitz von bis zu fünf Gramm Cannabis und maximal fünf Cannabispflanzen von einer Strafverfolgung abgesehen.“
Und Portugal betreffend heißt es in dem Gutachten:
In Portugal „wird der Besitz von bis zu fünf Gramm Cannabisharz oder 25 Gramm Cannabis (herbal cannabis), ein Gramm Ecstasy, ein Gramm Heroin oder zwei Gramm Kokain nicht mehr strafrechtlich geahndet.“
Was nicht in der Übersicht steht, die die Wissenschaftlichen Dienste zusammengestellt haben, ist die Tatsache, dass der Besitz von bis zu 10 Gramm Marihuana oder Haschisch in der Schweiz seit Oktober 2013 straffrei ist. Am 6. September 2017 stellte das Schweizerische Bundesgericht in einem Urteil zudem fest, dass Personen, die nicht direkt beim Kiffen, jedoch mit bis zu zehn Gramm Cannabis erwischt wurden, nicht gebüßt werden dürfen.
In einer Woche am 23. Februar 2020 wird in Hamburg gewählt, so ist es nicht ungewöhnlich, dass unseriöse und irreführende Berichte in den großen Massenmedien kolportiert werden. Doch das massenhafte Erscheinen solcher Berichte zum Thema Cannabis in so kurzer Zeit vor der Wahl in Hamburg scheint eine konzertierte Aktion mit dem versteckten Ziel einer Wahlmanipulation zu sein.
SPD zu Cannabis: Neue Wege gehen
Gemäß Pressemitteilung der SPD vom 11. Februar 2020 hat die SPD-Bundestagsfraktion eine Abkehr von der bisherigen Cannabis-Verbotspolitik in Deutschland beschlossen. In einem Positionspapier fordert die SPD-Bundestagsfraktion, dass künftig der Besitz kleiner Mengen Cannabis zum Eigengebrauch nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern nur noch als Ordnungswidrigkeit behandelt werden soll. Damit wird letztlich auch der Konsum entkriminalisiert. Zudem sollen Modellprojekte ermöglicht werden, in denen die legale und regulierte Abgabe von Cannabis an Konsumentinnen und Konsumenten erprobt werden soll.
Am 13. Februar 2020 berichtete dann die Deutsche Apotheker Zeitung unter dem Titel „Großer Koalition droht Konflikt über Cannabis-Legalisierung“ und einem Bild einer verbissen schauende Drogenbeauftragten, dass von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung Daniela Ludwig (CSU) prompte Kritik gekommen sei. Das Positionspapier biete laut ihr keine Lösungsansätze, dem Cannabiskonsum entgegenzuwirken. Die Behauptung, nur eine Entkriminalisierung führe zu weniger Konsum, entbehre jeder Grundlage, erklärte Ludwig am Mittwoch in Berlin. Dirk Heidenblut (SPD), drogenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zeigte Unverständnis für die Reaktion der Drogenbeauftragten und fand dafür in einer Pressemitteilung deutliche Worte:
„Besser Lesen und Verstehen, nicht nur ins Blaue rein kommentieren. An keiner Stelle wird in unserem Fraktionspapier behauptet, dass durch Entkriminalisierung der Konsum sinkt. Wir stellen fest, dass trotz Verbot der Konsum weiterhin steigt und im Gegenteil Vorbeugung sogar behindert.
Wir wollen Gesundheitsschäden durch unkontrollierten Konsum, womöglich von verunreinigten Produkten, vermeiden. Wir wollen einen regulierten und kontrollierten Markt, der den Zugang zu harten Drogen abschneidet. Wir wollen Prävention und Jugendschutz stärken. Wir wollen, dass unbescholtene Bürger nicht länger kriminalisiert werden.“
Im Hanf-Magazin fragt sich Dieter Klaus Glasmann am 15. Februar 2020 zurecht, wie ernst ist es den Sozialdemokraten mit dem neuen Weg in der Cannabispolitik meinen. Wörtlich schreibt er:
„Nun, mit der neu festgelegten Position der SPD-Fraktion hat die Legalisierung von Cannabis eine rechnerische Mehrheit im Bundestag. Nun gilt es der SPD klarzumachen, dass das Thema jetzt zügig auf die Tagesordnung der Debatten gehört. Und vor allem, dass man diese Position der Vernunft auch gegen den Koalitionspartner durchsetzen möchte. Dann könnten Entscheidungen über die Anträge der Oppositionsparteien hinsichtlich der künftigen Cannabispolitik, sowie auch über die Cannabispetition des Deutschen Hanfverbandes DHV, durchaus positiv ausfallen. So nah war Deutschland der Legalisierung noch nie.“
Doch die SPD ist bezüglich Cannabis manchmal wie eine lahme Ente (was sich hoffentlich bald ändert). Vor einem Vierteljahrhundert gab die SPD ein Buch heraus, in dem eben solche neue Wege in der Drogenpolitik gefordert wurden. Das Buch heißt „Heraus aus der Sackgasse – Neue Wege in der Drogenpolitik“, Bd. IX Schriftenreihe Jugendpolitik der SPD; Bonn 1995. Titel und Struktur des Buches wurden in Anlehnung eines anderen Buches mit analogen Forderungen aus dem Jahr 1991 konzipiert und verfasst. Dabei handelt es sich um das Buch „Neue Wege in der Drogenpolitik“ von Roger Liggenstorfer (Hrsg.), das im Nachtschatten Verlag veröffentlicht wurde. Auf Seite 4 des Buches ist ein Artikel aus der Schweizer Illustrierten Nr. 35 vom 26. August 1991 abgedruckt, der unter dem Titel „Rose“ erschienen war:
„Eugen Thomann, Polizei-Offizier – Seit rund 20 Jahren führt die Schweiz einen Krieg gegen die Drogen. Nun hat ein hoher Polizeifunktionär zugegeben, was längst offensichtlich war: Eugen Thomann, Stabschef der Kantonspolizei Zürich, erklärte die repressive Drogenpolitik für gescheitert. Diese Kapitulationserklärung ist umso bemerkenswerter, als sie von einem Mann kommt, der bisher stets die harte Linie vertrat. Geradezu sensationell ist, dass Thomann auch die Konsequenzen aus seiner Einsicht zieht.Der Polizeioberstleutnant schlägt vor, den Drogenkonsum straffrei zu machen – und die staatlich kontrollierte Abgabe von Drogen an Süchtige einzuführen.Wenn einer derart über seinen eigenen Schatten springt, ist eine Ehrung fällig: Rose der Woche für Eugen Thomann.“
Stachelige Distel für Andy Grote
Hamburg hatte 2018 den höchsten Repressionskoeffizienten von allen Bundesländern. In Hamburg wurden 726 BtM-Delikte pro 100.000 Einwohner registriert, mehr als doppelt so viele wie in Sachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg oder im Saarland. Die Zahl der erfassten BtM-Delikte lag 2018 mehr als 25 Prozent über dem Vorjahresniveau. In keinem anderen Bundesland wurde eine so massive Zunahme festgestellt.
Und im Jahr 2019 nahm die Repression in Hamburg weiter zu. Im Vergleich zu Vorjahr wurde 2019 eine Zunahme von etwas mehr als 5 Prozent bei den BtM-Delikten registriert; diese Zunahme beruht auf einem Anstieg der Konsumentendelikte um 7,6 Prozent. Der Handel und Schmuggel hingegen verzeichnete einen Rückgang um 3,5 Prozent. In Hamburg wurden somit im letzten Jahr 757 BtM-Delikte pro 100.000 Einwohner festgestellt – ein bundesweiter Rekord. Quelle: PKS Hamburg 2019, S. 24. Und auch in Sachen Telekommunikationüberwachung (TKÜ) spielt Hamburg in der Oberliga mit. Mit über 50 Überwachungsanordnungern im Jahr 2018 wurden in Hamburg mehr als doppelt so viele Personen überwacht wie im Bundesdurchschnitt.
Andy Grote (SPD) hat den Posten des Innen- und Sportsenators seit Januar 2016 inne. Aufgrund der hier gezeigten Daten kann Andy Grote mit Fug und Recht als der aktivste Repressionist in Deutschland bezeichnet werden. Ob sein Aktionismus jedoch hilft, die akuten Probleme zu lösen, ist eine ganz große Frage für viele Hamburgerinnen und Hamburger – inzwischen auch für die SPD-Bundestagsfraktion. Vielleicht hilft ihm die vor bald 30 Jahren veröffentlichte Erkenntnis des Polizeioberstleutnant Eugen Thomann aus Zürich, neue Wege in der Drogenpolitik zu gehen. Die Rose der Woche hat er auf jeden Fall nicht verdient, um so mehr jedoch die gewöhnliche stachelige Kratzdistel (Cirsium vulgare) des Jahres 2019. Der botanische Gattungsname Cirsium leitet sich vom griechischen Wort kirsos für Krampfader her, verschiedene Arten wurden schon im Altertum dagegen benutzt.
Vergleiche hierzu in diesem Blog
[24.01.2020] Drogen im Fokus der Ermittler
[28.06.2013] Mietmaul Thomasius wieder hyperaktiv
Gut zu sehen, dass auch große Websites über Cannabis schreiben und sich nicht nur auf die schlechten Dinge konzentrieren.