Andreas Müller ist seit 1994 Richter. Er argumentiert schon lange für eine Veränderung der „gescheiterten Drogenpolitik“ und setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein. Am 4. März 2021 sagte er in der sehr hörenswerten Sendung Richter Andreas Müller – „Gericht hat auch ein bisschen was mit gutem Schauspiel zu tun“ im Deutschlandfunk Kultur: „Es ist nicht das Gift, was uns jahrelang haben Politiker einreden wollen.“ Die Gefahren von übermäßigem Konsum will er dabei keinesfalls kleinreden: „Jedes Maß im Übermaß genossen, ist schädlich. Überall. Egal, was Sie machen.“
Seit dem 4. März 2021 ist Andreas Müller auf Twitter aktiv. Innerhalb von drei Tagen hat er schon mehr als 30.000 Follower. Zum Vergleich: Die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig ist seit Juli 2018 bei Twitter aktiv und hat etwa 7.000 Follower. In drei Tagen hat der Richter Müller mehr als viermal so viele Follower bekommen wie die Drogenbeauftragte in anderthalb Jahren. Viele Leute wissen offenbar, wo man sich schlau machen kann.
Der Richter und Autor Andreas Müller
Andreas Müller, geboren 1961 in Meppen im Emsland, ist Jugendrichter in Bernau bei Berlin. Müller studierte Jura an der Freien Universität (FU) Berlin. Seine Lehrerin an der FU war Jutta Limbach, die spätere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes. Nach dem Jurastudium und anschließenden Referendariat in Berlin wurde Andreas Müller 1994 Richter im Land Brandenburg, zunächst als abgeordneter Richter aus Münster (NRW) in Frankfurt an der Oder und in Strausberg. Seit 1997 ist Müller am Amtsgericht in Bernau bei Berlin als Richter tätig, die meiste Zeit davon ausschließlich als Jugendrichter.
Bundesweites Aufsehen erregte er, als im Jahr 2000 bekannt wurde, dass er neben harten Arreststrafen Neonazis als Bewährungsauflage das Tragen von Springerstiefeln, die er als Waffen einstufte, untersagte. Müller ist bekannt für seine Härte. Er verurteilte weit mehr als 100 Neonazis, teilweise zu mehrjähriger Haft ohne Bewährung. Jugendliche Skinheads ließ er in Handschellen aus dem Gerichtssaal abführen. 2010 berichtete die Die Welt unter dem Titel „Jugendrichter Müller verteidigt Kirsten Heisigs Erbe“, dass in Bernau – früher einer der Neonazi-Hochburgen Brandenburgs – seit Jahren kein Verbrechen mit rechtsextremem Hintergrund mehr verübt worden sei und bringt diesen Umstand in direkten Zusammenhang mit Müllers Urteilen.
Im September 2015 veröffentlichte Müller im Herder Verlag sein Buch Kiffen und Kriminalität, in dem er sich einem seiner großen Themen, der Legalisierung von Cannabis, widmet. In dem Buch zeigt Andreas Müller deutlich auf, welche Auswirkungen das Verbot von Cannabis auf die Gesellschaft und einzelne Menschen hat. Dabei lässt er auch seine persönlichen sowie beruflichen Erfahrungen mit einfließen und fordert ganz klar eine Legalisierung der weit verbreiteten Substanz. Wer Jugendrichter Andreas Müller noch nicht kennt, kann sich in diesem DHV-Video einen ersten Eindruck von seiner Meinung und seinen Argumenten machen.
Der Aktivist Andreas Müller
Andreas Müller ist Mitglied von Law Enforcement Against Prohibition Deutschland (LEAP Deutschland). LEAP (Law Enforcement Against Prohibition, Gesetzeshüter gegen Prohibition) ist ein Verein, der sich für die Entkriminalisierung des Drogenkonsums einsetzt und niemand kennt die Folgen einer allein auf Kriminalisierung und Repression setzenden Drogenpolitik besser als diejenigen, die sie durchsetzen müssen. LEAP stellt sich eine Gesellschaft vor, in der die Drogenpolitik positiv wirkt und unsere Gemeinden sicherer macht. LEAP hat sich als Ziel gesetzt die Öffentlichkeit, die Medien und die Politik über das Versagen der bisherigen Drogenpolitik aufzuklären.
Seit vielen Jahren tritt Andreas Müller auch als Redner auf der Hanfparade auf, mehrere Reden von ihm sind auf der Website der Hanfparade verfügbar. Auch auf den jährlich stattfindenden Demonstrationen Global Marijuana March (GMM) in Berlin war Andreas Müller schon mehrmals als Aktivist zu hören.
Vorlagebeschluss für das Bundesverfassungsgericht
Der Jugendrichter Andreas Müller vom Amtsgericht Bernau hatte im September 2019 angekündigt, sich in zwei von ihm ausgesetzten Verfahren an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu wenden, um das aus seiner Sicht verfassungswidrige Verbot von Cannabis prüfen zu lassen. Müller hat den Normenkontrollantrag mit ausführlicher Begründung an das höchste deutsche Gericht am 20. April 2020 übermittelt.
In der Pressemitteilung des Amtsgerichts Bernau hieß es hierzu:
„Das Amtsgericht Bernau bei Berlin hat am 18. September 2019 zwei Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ausgesetzt und gemäß Artikel 100 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Der Strafrichter hat erklärt, dass er alle Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes für verfassungswidrig hält, soweit sie Cannabisprodukte nach der Anlage I zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtmG) mit der Folge aufführen, dass der unerlaubte Verkehr mit diesen Stoffen den Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterliegt. Hilfsweise hält er (zumindest) die Strafvorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtmG in der Alternative des Erwerbens i.V.m. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 BtmG für verfassungswidrig.“
Der Vorlagebeschluss des Amtsgerichtes Bernau als PDF-Datei (141 Seiten, 1,4 MB) ist online für jedermann verfügbar. Für drogenpolitisch interessierte Leute ist dieser Vorlagebeschluss eine absolut empfehlenswerte Lektüre, um sich schlau zu machen um das Motiv der Handlungsweise von Richter Müller zu verstehen.
26 Jahre nach der letzten Entscheidung zu Cannabis ist das Bundesverfassungsgericht nun erneut dazu aufgerufen, über die Verfassungskonformität des Cannabisverbots zu entscheiden. Der bekannte Richter hat sich damit gemäß Artikel 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) direkt an das Bundesverfassungsgericht gewandt, welches nun über den vorgelegten Normenkontrollantrag entscheiden muss. Mit den vorliegenden Fällen will Müller den Karlsruher Richtern aufzeigen, dass das Betäubungsmittelgesetz in Bezug auf Cannabis weder verhältnismäßig, noch geeignet, noch erforderlich ist.
Grundlage für den Normenkontrollantrag des Bernauer Richters ist eine Mustervorlage des Deutschen Hanfverbandes im Rahmen einer Justizoffensive. Der DHV fordert nun weitere Richter auf, sich der Initiative anzuschließen und das Cannabisverbot ebenfalls in Karlsruhe überprüfen zu lassen.
Befangenheitsantrag gegen Richter Müller
Ende November hatte die Staatsanwaltschaft Frankfurt an der Oder in einem Cannabisverfahren einen Befangenheitsantrag gegen Richter Andreas Müller in Bernau gestellt, weil dieser regelmäßig öffentlich das bestehende Cannabisverbot kritisiert und für verfassungswidrig erklärt. Der DHV hatte über das Verfahren in den DHV-News #272 berichtet und in einer Pressemitteilung den Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz angeprangert. Ziel der Staatsanwaltschaft Frankfurt an der Oder war es, dass Richter Müller das betreffende Verfahren gegen den Angeklagten nicht führen darf und ausgetauscht wird. Der Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt an der Oder gegen den Bernauer Jugendrichter Andreas Müller ist abgelehnt worden. Das bestätigte der Direktor des Amtsgerichtes Bernau, Thomas Melzer. Nachdem der Antrag vom Amtsgericht Bernau abgelehnt wurde, hat die Staatsanwaltschaft dagegen Beschwerde eingelegt.
Die Justizministerin des Landes Brandenburg, Susanne Hoffmann (CDU), sagte am 11. Februar 2021 im Rechtsausschuss, sie habe Kenntnis von dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt an der Oder gegen den Richter Müller gehabt, es geprüft und nicht für rechtlich unvertretbar gehalten. Die rechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion in Brandenburg, Marlen Block, erklärte hierzu: „Ich erwarte eine eindeutige Erklärung von Ministerin Hoffmann für eine unabhängige Justiz und gegen ein weiteres Vorgehen der Staatsanwaltschaft Frankfurt an der Oder in diesem Fall.“
Die Landesregierung müsse dem Eindruck entgegentreten, dass in Brandenburg seitens der Exekutive versucht werde, Einfluss auf die Zuständigkeit von Richtern für bestimmte Verfahren zu nehmen, betonte Marlen Block. Die Richtlinie für die Einstellungspraxis in Brandenburg ist aus dem Jahr 2006. Deshalb wird noch immer viel zu oft der Besitz von Kleinstmengen angeklagt und verurteilt, auch bei geringen Mengen unter sechs Gramm.
Repressionsbollwerk CDU/CSU
Wie der Richter Thomas Melzer unter dem Titel „Der Richter und das Kiffen“ in der Wochenzeitung Die Zeit vom 18. Februar 2021 (Printausgabe S. 18) schreibt, hatte der Richter Andreas Müller schon einmal im Jahr 2002 ein Cannabisverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Es ging um drei Gramm Haschisch. Zwei brandenburgische Landtagsabgeordnete der CDU forderten Müllers Amtsenthebung. Deshalb erstattete der Präsident des Landgerichts Frankfurt an der Oder Strafanzeige gegen die CDU-Abgeordneten. Das Verfahren gegen die zwei Politiker wurde, nachdem sie Geldbußen an eine gemeinnützige Organisation gezahlt und sich bei Müller entschuldigt hatten, eingestellt. Auf seine Verfahrensvorlage entschied das Verfassungsgericht 2004 gegen Müller. Müller hat das akzeptiert und in den folgenden 16 Jahren mit dem geltenden Recht gearbeitet.
Die Justizministerin des Landes Brandenburg, Susanne Hoffmann (CDU), ist eng mit den Staatsanwaltschaften in Berlin und Brandenburg verbunden. Auf der Website des Bundesrates heißt es zur Person Susanne Hoffmann:
„1987 Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Berlin, u.a. Zuständigkeit für umfangreiche Verfahren aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. 1993 Abordnung an die Staatsanwaltschaft beim Kammergericht. 1995 Oberstaatsanwältin. 2000 bis 2005 Referatsleiterin und stellvertretende Abteilungsleiterin in der Strafrechtsabteilung der Berliner Senatsverwaltung für Justiz. 2005 Wechsel zur Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg, Leitende Oberstaatsanwältin sowie Abteilungsleiterin und ständige Vertreterin des Generalstaatsanwaltes. [..] 06.2019 bis 11.2019 Generalstaatsanwältin des Landes Brandenburg.“
Es ist nicht überraschend, wenn jemand wie Susanne Hoffmann so lange für Staatsanwaltschaften in Berlin und Brandenburg gearbeitet hat, dass dann eine kollegiale Verbundenheit zu den früheren Kollegen gegeben ist. Die Haltung und Handlungsweise von Susanne Hoffmann ist aus der Perspektive des Korpsgeistes zwar nachvollziehbar, doch in den Medien werden Handlungsweisen aufgrund eines Korpsgeistes gemäß Wortschatz Uni Leipzig oft äußerst kritisch abgehandelt.
Weitere Beispiele
Der Rechtsausschuss des Bundesrates, bei dem Susanne Hoffmann Mitglied ist, empfahl im November 2020 dem Bundesrat, den Gesetzentwurf des Landes Hessen zur Durchführung von Drug-Checking gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag nicht einzubringen. Deshalb wurde die Sache nicht weiter verfolgt. Es sei hier angemerkt, dass die Mitglieder/innen der Unionsparteien CDU und CSU hier 10 von 16 Stimmen haben, also 62,5 Prozent. Die Grünen kommen hier auf 4 Stimmen, SPD und FDP je auf eine Stimme. Mit dem Beschluss des Rechtsausschusses des Bundesrates wurde eine weitere Chance für die Einführung eines Schrittes für mehr Prävention und Gesundheitsschutz vertan. Solche Vorgänge kennt man leider schon seit langer Zeit in der Drogenpolitik. So wurde erst 1992 in § 29 Absatz 1 BtMG der folgende Satz 2 eingefügt:
„Die Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäubungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber sind kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11.“
In den Jahren zuvor wurden Spritzenautomaten von der Polizei abmontiert und beschlagnahmt. Man wusste damals schon sehr genau, dass durch den gemeinsamen Gebrauch einer Spritze von mehreren Personen die Verbreitung von Krankheiten wie Hepatitis oder AIDS begünstigt wird, dennoch lehnten seinerzeit viele konservative Politiker vor allem aus der CDU und CSU die legale Abgabe von sterilen Spritzen aus rechtlichen Gründen ab. Eine ähnliche Konstellation zeigte sich paar Jahrzehnte später, wo Politiker aus der CDU und CSU die Einführung von Fixerstuben über viele Jahre hinweg bekämpften, bis solche Einrichtung dann nach der Abwahl der Regierung von Helmut Kohl nach der Jahrtausendwende mit dem dritten Gesetz zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 28. März 2000 durch Einführung des § 10a BtMG rechtlich legal betrieben werden konnten.
Fazit
Der Schutz von Leib und Leben spielte und spielt für sture fundamentalistische Politiker/innen nur eine untergeordnete Rolle. In den Unionsparteien wird zwar viel über Prävention geredet, doch in der Praxis haben vor allem Politiker/innen aus der CDU und CSU präventive Maßnahmen verhindert. Und wie es scheint, wollen sie das auch weiterhin tun. Und es ist bekannt, dass natürliches Cannabis nicht tödlich ist, doch der Konsum von Schwarzmarktware, die mit synthetischen Cannabinoiden angereichert ist, kann sehr wohl tödlich sein. Eine Regulierung des Cannabismarktes mit Qualitätskontrollen ist in jedem Fall besser für den Gesundheitsschutz als ein Schwarzmarkt ohne Qualitätskontrollen.
Vergleiche hierzu in diesem Blog
[23.04.2020] Cannabisverbot verfassungswidrig?