vonmanuelschubert 11.02.2019

Filmanzeiger

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In der deutschen (Feuilleton-)Sprache gibt es das schöne und gleichsam staubige Wort „holzschnittartig“. Der Duden findet für diesen Begriff die Synonyme grob, rudimentär, undifferenziert und ungefähr. Adjektive, die im Bezug auf Film von Geschichten und Charakteren ohne Lebendigkeit, ohne Komplexität berichten.

Man könnte auch von zweckdienlichen Funktionselementen sprechen, in Filmen, deren Macher*innen wenig Interesse daran zu haben scheinen, dass wir als Zuschauende eigenständige Gedanken entwickeln. Die Filmemacher*innen sind die Sender, wir haben zu empfangen, was uns gesendet wird. Oder auch: Betreutes Filmegucken.

BAIT von Mark Jenkin und TEMBLORES von Jayro Bustamante sind zwei Spielfilmen im Berlinale-Programm, die sich prinzipiell zwar fundamental voneinander unterscheiden, dabei jedoch eine Gemeinsamkeit teilen: sie sind ziemlich holzschnittartig.

Längst verschlucktes Filmhandwerk

In BAIT wird vom Fischer Martin erzählt, der in einem pittoresken Küstenkaff in Cornwall gegen die Verdrängung seines Gewerbes durch reiche Städter und den Tourismus kämpft. In TEMBLORES liegt wiederum Pablo in Guatemala City im Clinch mit sich selbst und seiner Homosexualität, angefeuert von seiner Ehefrau, seiner evangelikalen Familie und deren Pastorin.

Gedreht auf grobkörnigem, von Hand entwickeltem 16mm-Film und in Schwarz-Weiß, ist BAIT ob der Materialität der Kinobilder ein besonderes visuelles Ereignis. Mark Jenkin versetzt sein Publikum zurück in eine Epoche des Filmemachens und -erlebens, die nicht erst gestern untergegangen ist. Auch die Gestaltung der Tonspur, der Schnitt, die Dramaturgie, die Rahmung der Filmbilder, all das setzt Rückverweise auf vom Fortschritt längst verschlucktes Filmhandwerk. Reenactment hinter der Kamera und am Produktionstisch – während sich vor der Kamera Heute und Gestern zoffen als ginge es um Leben und Tod.

Was treiben die Städter schon wieder? Die Figur des Mar (li.) und die Figur des Neffen | Bild: Early Day Films Limited/IFB 2019

Letztendlich geht es darum dann auch – in diesem unterkomplexen Kampf zwischen dem im Dialekt nuschelnden Mar, der für das authentische, das ehrliche, das redliche Handwerk steht. Und den Oxfordenglisch sprechenden Touristen aus der Großstadt, die im Oberklasse-SUV anreisen, mit Biolebensmitteln, Champagner und ihren verzogenen Nachkommen im Gepäck. Die Frontverläufe sind in BAIT sehr rasch etabliert und werden sich bis zuletzt kaum mehr verschieben.

Die nützlichen Idioten

Wem als Publikum unsere Sympathien gelten sollen, steht außer frage: Mar, der einsame Ritter der zerschlissenen Fischernetze. Die reichen Leute aus der Großstadt sind in diesem Spiel nur die nützlichen Idioten. Ihr Job ist es, alles schlimmer zu machen und zu verkennen, was sie zerstören. Diese Figuren haben, so werden sie uns vorgeführt, nur Reichtum und Eigeninteressen im Kopf.

Allerdings: die Figur des Mar ist genauso ein nützlicher Idiot. Ein Fossil seines Handwerks, dem Richtungswechsel und Weiterentwicklung nicht vergönnt werden. Gebrochen wird diese Anordnung an keiner Stelle, vielmehr treibt Mark Jenkin seine Geschichte zu einem todbringenden Finale. Als Zuschauer dieser schlechten Kopie einer antiken Tragödie fühlt man sich irgendwann genauso mies behandelt wie die Figuren dieses Films.

In TEMBLORES ist die Hauptfigur zunächst weniger das Problem an der Geschichte: Pablo ist ein attraktiver Mann Anfang 40 und steckt mächtig in Schwierigkeiten. Auf der einen Seite steht sein körperliches Begehren für Männer, sein Wunsch endlich als schwuler Mann leben zu können. Auf der anderen Seite die Liebe zu seinen Kindern, welche ihm von seiner evangelikale Ehefrau und Familie weggenommen werden, weil Pablo sein Schwulsein leben möchte. Er wird gezwungen, sich zu entscheiden: Für die Selbstbefreiung und damit den Verlust von Tochter und Sohn. Oder für seine Kinder, die er nur um den Preis der Selbstverleugnung wiedergewinnen kann. Eine unmöglich zu treffende Entscheidung. Und doch muss die Figur, stellenweise sehr eindrücklich verkörpert von Hauptdarsteller Juan Pablo Olyslager, sie treffen.

Die Botschaft empfangen

So künstlich diese Anordnung zunächst erscheinen mag, erlangt sie vor dem Hintergrund der sich in Südamerika rasant ausbreitenden und akut homophoben evangelikalen Freikirchen durchaus Plastizität und Relevanz. Diese „Kirchen“, vielleicht sollte man sie eher Sekten nennen, haben christliches Heilsversprechen, Geldgier und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu einem lukrativen Geschäftsmodell entwickelt. Und sie sind mächtig, brachten jüngst sogar einen Ex-Militär mit faschistoiden Neigungen ins brasilianische Präsidentenamt. Die Geldgier und den wachsenden Einfluss der evangelikalen vermag auch Filmemacher Jayro Bustamante in TEMBLORES anklingen zu lassen.

Aber irgendwann läuft in TEMBLORES etwas schrecklich schief und gerinnt die Geschichte zur Groteske. Leider, ist der Film doch visuell und atmosphärisch durchaus gelungen. Unglücklicherweise reduziert Jayro Bustamante bei seiner Erzählung das Figurenensemble rund um Pablo auf Pappkameraden ohne Eigenleben, ohne Tiefgang. Wir bekommen Pablos Ehefrau vorgeführt – ein schöner und zorniger Racheengel aus dem Höllental der Heteronormativität. Pablos Mutter – Anwältin des guten Rufs der Familie. Pablos Liebhaber Francisco – ein schwuler Freigeist mit geradezu kindlicher Unschuld. Und die evangelikale Pastorin der Familie – eine Eiferin von Gottes Gnaden.

Pablo (mittig) und seine schrecklich nette Familie | Bild: Tu Vas Voir/IFB 2019

Die Aufgabe dieses Personals im Film ist es, sicherzustellen, dass Pablo seine Tour de force auch wirklich restlos erleidet, und das wir, die Zuschauenden, die Botschaft des Filmemachers zweifelsfrei verstehen. Dass wir korrekt (mit-)fühlen und auch definitiv abgestoßen sind von den Umtrieben der Evangelikalen. Jayro Bustamante misstraut uns, den Zuschauenden, unserem Einfühlungsvermögen, unserer Fähigkeit zur Erkenntnis. Er predigt lieber und wir haben gefälligst zu empfangen.

Geringschätzung

In der letzten Szene des Films sehen wir Pablo im Klo der Kirche stehen, er ist aus der Messe geflüchtet, wäscht sein Gesicht, blickt für längere Zeit in den Spiegel und sieht furchtbar mitgenommen aus. Schließlich dreht er sich um in die Kamera. Der Umschnitt offenbart seine junge Tochter, die am Eingang zum Klo steht und ihn mit forschendem Gesicht anguckt. Fast so als wollte sie fragen: Warum hast Du Dir das angetan? Eine Frage, die man sich nach den 107 Minuten von TEMBLORES ebenfalls stellen kann.

Um nicht missverstanden zu werden, Filmemacher*innen mit Botschaft und Haltung sind in unseren Zeiten vielleicht wichtiger als jemals zuvor. Doch sollten sie bei ihrer Arbeit niemals den Fehler begehen, ihr Publikum gering zu schätzen und dessen Urteilsvermögen infrage zu stellen. Niemand braucht Vorbeter im Regiestuhl. Und das Predigen übernehmen schon die Anderen, die Feinde des Kinos und der Kunstfreiheit.

TEMBLORES | GTM/FRA/LUX 2019 | 107′ | Jayro Bustamante | Panorama

BAIT | GBR 2019 | 88′ | Mark Jenkin | Forum


Erstveröffentlichung des Textes auf filmanzeiger.de am 11.02.2019


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