vonmanuelschubert 22.02.2025

Filmanzeiger

Texte, Töne und Schnipsel aus dem kinematografischen Raum auf der Leinwand und davor. Kinoverliebt. Filmkritisch. Festivalaffin. | Alle wichtigen Links: linktr.ee/filmanzeiger

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22. Februar 2025, 10:28 Uhr: Teddy-Problem (Update)

Es wurde dann doch nicht QUEERPANORAMA, immerhin. Aber dieser Filmpreis bleibt sich treu darin, mit großer Präzision die schlechteren Arbeiten auszuzeichnen. Der Dokumentarfilmpreis für DIE SATANISCHE SAU ist eine deutliche Fehlentscheidung. Zum Glück entschied sich die Jury dafür, LESBIAN SPACE PRINCESS als besten Spielfilm auszuzeichnen. Alles andere wäre auch komplett unentschuldbar gewesen.

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21. Februar 2025, 16:33 Uhr: Eingebettet in die Zukunft

Wenn der Kongo heute in den Nachrichten auftaucht, dann meistens wegen Kriegen, Konflikten und Gräueltaten. Dabei ist das Land reich an Kultur – und an wertvollen Rohstoffen. Der überwiegende Teil der kongolesischen Bevölkerung kann von diesem Reichtum nicht profitieren, denn westliche und chinesische Rohstoffkonzerne beuten das Land aus, als ob der belgische Kolonialismus nie zu einem Ende gekommen wäre.

Und doch gibt es auch kleine Zeichen der Hoffnung. Der Filmemacher Petna Ndaliko Katondolo führt uns in seiner dokumentarisch-experimentellen Arbeit MIKUBA in die Region Kolwezi und zu deren großen Kobaltvorkommen, die weltweit die grüne Transformation von Energie und Mobilität antreiben. Für einen Großteil der Einwohner dieser Region ist die Ausbeutung in den Minen der fremden Großkonzerne Alltag.

Dass es auch anders geht, zeigt eine große Gruppe von lokalen freien Minenarbeiter:innen, die eine einst aufgegebene Kobaltmine im großen Kollektiv bearbeiten. Die Männer organisieren Abbau und Transport, die Frauen waschen und verkaufen die wertvollen Rohstoffe. Fast die gesamte Abbaukette haben sie als große Gemeinschaft unter ihrer Kontrolle – nur den Ankauf, den übernehmen die Chinesen. Die Chinesen zahlen schlecht, und doch ist der Verdienst immer noch besser als in den Minen der Konzerne.

Filmemacher Petna Ndaliko Katondolo führt uns mitten hinein in den ungemein wuseligen Alltag der Menschen. Seine Kamera ist förmlich eingebettet in das staubige Treiben, fängt resolute Frauen ein, die sich so schnell nicht über den Tisch ziehen lassen, und Bergarbeiter, die mit großer Disziplin Frieden, Sicherheit und Produktivität in ihrer Mine sicherstellen. Stück für Stück schält sich hier ein Mikrokosmos heraus, der dem räuberischen Extraktivismus der Welt eine gleichermaßen widerständige wie spirituell geleitete Form der Rohstoffwirtschaft entgegenstellt. Denn den Reichtum ihrer Mutter Erde wissen die Menschen an diesem Ort seit vielen Generationen zu respektieren und zu ehren. Sie nehmen, und sie geben. Und nicht weniger erwarten sie auch von Petna Ndaliko Katondolo und seiner Kamera. Eine faszinierende Arbeit, die Zukunft in der Gegenwart und Vergangenheit findet.

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21. Februar 2025, 15:28 Uhr: Teddy-Problem

Ich wette, dass QUEERPANORAMA heute Abend beim Teddy Award abräumt – und das nicht unbedingt, weil es ein preiswürdiger Film ist. Diese Jury hat ein Talent für miese Entscheidungen.

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21. Februar 2025, 14:14 Uhr: Das Massengrab nebenan

Eine Autobahnbaustelle irgendwo in Polen: Große Erdmassen werden bewegt, das Fundament der zukünftigen Fahrbahn planiert. Mittendrin steht ein hochgewachsener, stämmiger Mann. Er instruiert die Baggerfahrer, bei den Erdarbeiten besonders aufmerksam zu sein, denn an diesem Ort wird ein Massengrab vermutet. Der Mann ist Mitglied der jüdischen Gemeinde Polens. Er und einige weitere Aktive der Gemeinde haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Gebeine ihrer ermordeten jüdischen Vorfahren zu bewahren.

Das besetzte Polen wurde von den deutschen Faschisten als Standort ihres industriellen Massenmords an den europäischen Juden missbraucht. Das ganze Land ist daher mit Tatorten und Gräbern übersät. Viele dieser Orte sind längst wortwörtlich überwuchert, umgewidmet oder überbaut.

Die Filmemacherin Kinga Michalska bringt uns diesen beinahe schizophrenen Zustand der polnischen Realität in ihrer dokumentarischen Arbeit BEDROCK näher. Sie folgt nicht nur den Aktivisten der jüdischen Gemeinde bei ihren Recherchen und Ausgrabungen, sondern besucht auch Familien, die seit Generationen an Orten polnisch-deutscher Pogrome gegen ihre jüdischen Nachbarn leben. Sie besucht eine Kinderklinik, in der – so erzählen es sich heutige Anwohner – einst sogar der berüchtigte Todesarzt Mengele wütete, und beobachtet nationalistische Fan-Ultras des lokalen Fußballklubs von Birkenau.

In den 102 Minuten Laufzeit ihrer Arbeit gelingen Michalska einige frappierende Beobachtungen. Doch ihr Konzept funktioniert nur bedingt, da wichtige Einordnungen zu den Orten und den Menschen, die wir dort sehen, fehlen. Dass sie ihren Film im Finale auf eine faktische Gleichsetzung der systematischen Auslöschung der Juden mit den Abgründen des europäischen Frontex-Systems an der polnischen Ostgrenze zuspitzt, lässt diese im Kern interessante dokumentarische Arbeit schlussendlich vollends scheitern.

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20. Februar 2025, 18:54 Uhr: Kinoproblem

Okay, um das zu verstehen: Die Berlinale hat angeblich Kinomangel. Sie zwingt ihr Publikum deshalb in diese höllischen Buden à la Bluemax Theater, Urania oder U.E. Music Hall – und dann bucht sie den Zoo Palast nur zur Hälfte, den Titania-Palast gar nicht und gibt das CinemaxX schon am zweiten Donnerstag zurück? Von der Nichtbeachtung früherer Berlinale-Spielstätten wie dem Cinema Paris oder dem Filmpalast (heute Astor Filmlounge) ganz zu schweigen.

Ernsthaft, was soll das? Auch wenn das CinemaxX durch den Umbau pro Saal viele Plätze verloren hat, wäre es immer noch groß genug, um die besonders publikumsstarken Sektionen wie Panorama oder Wettbewerb zu beherbergen – und den Zuschauer:innen, die inzwischen satte 15 Euro für ein Ticket hinlegen müssen, ein angemessenes Kinoerlebnis zu bieten. Stattdessen werden sie in Veranstaltungshallen gequetscht, die von einem Kino kaum weiter entfernt sein könnten.

So kann es nicht weitergehen, Tricia Tuttle.

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20. Februar 2025, 13:45 Uhr: Clitopolis needs you

Selbstliebe als Schlüssel zur Überwindung des Bösen – für Prinzessin Saira, Tochter des egozentrischen lesbischen Königinnenpaares vom Planeten Clitopolis, ist das eine Lektion, die sie erst noch lernen muss. Denn in der jungen Frau steckt keinerlei Selbstvertrauen; die höhnische Missachtung durch ihre Mütter ist dabei auch nicht sonderlich hilfreich. Schlimmer noch: Als sie von ihrem großen Schwarm, der rebellischen Kopfgeldjägerin Kiki, nach nur zwei Wochen abserviert wird, scheint die Lage endgültig aussichtslos – und das Tal der Tränen wieder einmal tief.

Oh nein, pinker Schleim: Saira hat wieder Ärger | Foto: We Made A Thing Studios

Aber dann entführen die „Straight White Malians“ ihre Ex Kiki und drohen, sie zu töten, falls Saira ihnen nicht die Labrys, die machtvolle Superwaffe der lesbischen Welt, aushändigt. Doch der Plan der Straight White Malians hat einen Haken: Saira besitzt die Waffe gar nicht, denn die Labrys erscheint nur jenen Mitgliedern der Königinnenfamilie, die ihre Widersacherinnen im Inneren bezwingen können. Und davon ist Saira noch weiter entfernt als von jener sinisteren Drag Queen Blade (hinreißend synchronisiert von der australischen Drag-Ikone Kween Kong), die ihr Hilfe verspricht.

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Umgesetzt als schreiend bunter Animationsfilm, gelingt den australischen Filmemacherinnen Emma Hough Hobbs und Leela Varghese ein ungemein anspielungsreiches und vergnügliches lesbisches Coming-of-Age-Weltraummärchen, bei dem selbst Straight White Malians ihr toxisches Incel-Dasein vergessen. LESBIAN SPACE PRINCESS ist insofern auch eine furiose visuelle Übersetzung von RuPauls berühmtem Credo: „If you can’t love yourself, how in the hell you gonna love somebody else?“ Amen!

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19. Februar 2025, 20:01 Uhr: (Keine) Angst vor dem Tod

Es gibt diese Projekte, die man im Kern nur alleine machen kann. Für Philipp Döring muss sein dokumentarischer Film PALLIATIVSTATION (zu sehen im Berlinale Forum) genau so ein Projekt gewesen sein: Regie, Kamera, Schnitt, Produktion – hinter allem steht sein Name. Diese intime Form des Filmemachens erweist sich im Verlauf der überraschend kurzweiligen 245 (!) Minuten als essentiell, ja nahezu unabdingbar. Döring begleitet einen Sommer lang das Arbeiten, Leben und auch Sterben auf der palliativmedizinischen Station des Berliner Franziskus-Krankenhauses.Er beobachtet die Ärzt:innen, Pfleger:innen und Sozialarbeiter:innen in ihrem Alltag, in ihrem faszinierend einfühlsamen Umgang mit den Patient:innen wie auch mit deren Angehörigen. Und er dokumentiert ihr Ringen mit den Zwängen des deutschen Gesundheitssystems, das selbst einer palliativmedizinischen Station Kopfzerbrechen bereitet. Denn Menschen, für die das System keine Heilung mehr bereithält, werden offenbar nicht selten von eben diesem System im Stich gelassen – nachdem man sie zuvor aus therapeutischen Gründen nicht selten auf grausame Weise zugerichtet hat.

Es sind Orte wie die Station 5 des Franziskus-Spitals und sein engagiertes Team, die diese Menschen auffangen. Obwohl – oder gerade weil – die Prognosen klar sind, versuchen sie, ihre Patient:innen zu stärken und zu stabilisieren, damit sie nicht in einem Krankenhaus sterben, sondern ihr Lebensende idealerweise in einem Hospiz oder gar Zuhause verbringen können. Und wenn das nicht mehr möglich ist, ihnen zumindest den konkreten Sterbeprozess so angenehm, würdevoll und leicht wie möglich zu gestalten.

Döring bleibt dabei stets diskret, aber präzise in seiner Beobachtung. Er stellt keine Fragen, lenkt nicht, konzentriert sich ganz auf die Interaktion zwischen den Menschen. Palliativstation ist insofern auch eine zutiefst humanistische Arbeit – und eine lehrreiche Lektion über den Prozess des Sterbens. Ein Prozess voller überraschend komplexer, oft trauriger, aber auch unerwartet fröhlicher Momente. Und ein Prozess, das zeigt der Film eindringlich, der mit Bedacht und Einfühlsamkeit gestaltet werden muss, um Leiden bestmöglich zu vermeiden.

Philipp Döring stellt seinem Film ein Zitat von Simone de Beauvoir voran: „Alle Menschen müssen sterben; aber für jeden Menschen ist sein Tod ein Unfall und, selbst wenn er es weiß und ihm zustimmt, eine unverschuldete Gewalttat.“ Orte wie die Station 5 sind in diesem Kontext Refugien, die die Menschen vor der Gewalt des Todes zu schützen versuchen. Dank Philipp Dörings einzigartigem Film erhalten wir Einblick in diese oft angstbesetzten Orte, die im Kern aber vor allem eines sind: Inseln der Zärtlichkeit, Wärme und Liebe zum Menschen. PALLIATIVSTATION ist ein Glücksfall für das Kino.

PS: Wenn die ökumenische Jury auf der Berlinale diese Arbeit nicht mit dem Hauptpreis auszeichnet, gehört sie abgeschafft.

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19. Februar 2025, 14:11 Uhr: Der wichtigste Film

Mir ist bewusst, dass 95% meiner Pressekolleg:innen und 99% des Berlinale-Publikums nicht wissen, von welchem Film ich hier schreibe, aber Lee Anne Schmitts filmischer Essay EVIDENCE im Berlinale-Forum ist der wichtigste (ich gebrauche dieses Adjektiv mit Vorsicht) Film nicht nur des Festivals, sondern dieser Zeit. Wer wissen möchte, warum die USA (und damit der gesamte Westen) heute dort stehen wo sie stehen, kommt um diese Arbeit nicht herum.

Trump und die Seinen sind kein Unfall, sie sind das Ergebnis eines Prozesses, der seit über 50 Jahren im Gange ist. Angestoßen von den größten der US-Industriekonzernen, aber vor allem ihren Eigentümern und deren politischen Stiftungen. Hier wurde eine Nation über Jahrzehnte in kleinsten, jeder für sich unauffälligen Schritten gezielt umgedreht. Die Beweisführung, Lee Anne Schmitt legt sie in EVIDENCE mit schockierender Ruhe und Präzision vor. Hoffnungsvoll verlässt mensch diese Arbeit keinesfalls. Aber wenigstens ist jetzt klar, womit es die Welt nun zu tun hat.

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18. Februar 2025, 13:12 Uhr: BDSM als Heilung

Paul ist ein jüngerer Kerl in einer größeren Stadt in Kanada und hat ein Problem: Seit Jahren kapselt er sich ab. Er bewirtet seine Depression, kämpft mit Angststörungen und starkem Übergewicht. Er lebt in Games und im Netz, baut sich dort eine sichere Welt. Doch genau dieses Netz wird zum Werkzeug seines Ausbruchs: „Cleaning saved my life.“ – so beginnt er jedes seiner Instagram-Videos. Was nichts anderes bedeutet, als dass er Frauen unentgeltlich Putzdienste anbietet. Und wie alles andere filmt er diese Arbeiten mit seinem Smartphone und stellt sie online.

Der kanadische Filmemacher Denis Côté begleitet Paul für seine gleichnamige Dokumentation PAUL eine Zeit lang mit der Kamera. Er trifft auf einen jungen Mann, der sich mühsam, aber entschlossen aus seiner Misere kämpft. Die Putzdienste sind längst mehr als eine Beschäftigung – sie sind zu einem Rahmen geworden, in dem er gefordert und auch aufgefangen wird. Seine Dominatrixes lassen ihn nicht nur putzen, sondern sie kontrollieren auch sein Workout, sprechen mit ihm über sein Essverhalten, bringen ihm Yoga bei. Mal ist es eine Strafe, mal ein Ansporn – immer aber ein Spiel mit Kontrolle und Hingabe.

BDSM als Mittel gegen Angststörungen – das klingt ungewöhnlich, ergibt aber Sinn. Kein anderer Bereich der sexuellen Interaktion ist so stark an den Kopf gebunden, verlangt so viel Arbeit am Ich, um auf die nächste Stufe zu kommen. Was in einer Session funktioniert, strahlt in den Alltag aus.

Paul, dessen Insta-Name schlicht Cleaning Simp Paul lautet (also ungefähr Putzknecht Paul), ist noch mitten im Prozess. Aber so ist das eben mit Heilung – sie dauert. Côtés Dokumentation zeigt, wie gut ihm die Arbeit für und mit seinen Dominatrixes tut und wie sehr sie ihm hilft, seine Ängste Stück für Stück zu überwinden. Mit einem fast beiläufigen Flow zieht Côté uns in diesen Prozess hinein. Sein Film verweilt nie zu lange an einem Punkt, sondern bleibt in Bewegung – genau wie Paul selbst. So macht er eine zutiefst persönliche Reise nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar – und zeigt dabei, wie sehr BDSM einem Menschen helfen kann.

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18. Februar 2025, 00:35 Uhr: Crazy people

Ein Regisseur verliest Zeilen eines Darstellers, der in seinem Film einen schwulen Perser spielt. Im Film macht dessen Figur klar, dass er als Männer fickender Mann wohl kaum aus dem Iran kommen kann. Und dann wird ein Text verlesen, den das Regime kaum besser schreiben kann? Ok … WTF!

Nachtrag: Weil das gerade durch die Gegend raunt: QUEERPANORAMA ist kein Skandal – außer vielleicht für Peking. Die Handlungen eines Darstellers und seines Regisseurs auf der Berlinale sind das Problem. Die Arbeit ist insofern auch eine Echtzeitstudie über die Beschädigung eines Films durch seine Macher.

Hier der ntv-Beitrag: https://www.n-tv.de/leute/Regisseur-skandiert-umstrittene-Parole-auf-Berlinale-article25569650.html

Nachtrag:

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17. Februar 2025, 21:35 Uhr: Mad decisions to make

Das ganze Auswahlkomitee war sich sofort einig, dass dieser Film ins Festival muss, sagt die Moderatorin vor Beginn des (Sundance-)Beitrags MAD BILLS TO PAY. Das heißt also, dass man sich einig war, eine ernüchternd lauwarme Coming-of-Age-Story mit dysfunktionalem Cast ins Programm zu packen. Ja, nun …

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17. Februar 2025, 10:52 Uhr: Eitles Kokettieren

Mit DIE SATANISCHE SAU – in gewisser Weise eine Art autobiografischer Nachruf auf sich selbst zu Lebzeiten – zeigt Rosa von Praunheim vor allem, dass sein kühler Intellekt und seine wunderbar schamlose wie messerscharfe Beobachtungsgabe für das (nicht nur eigene, sondern auch) schwule Ich im Gestern, Heute und Morgen verloren gegangen scheint.

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Was bleibt, ist zermürbend eitles Kokettieren mit (Selbst-)Erkenntnissen auf Abrisskalenderphrasen-Niveau und eine erschreckend beliebige Verwursten des eigenen Œuvres. Praunheim führt uns damit vor allem vor, dass er als Nachlassverwalter in eigener Sache definitiv nicht taugt. Wenn alles nur noch überhöht, „satanisch“ und sowieso versaut ist – wird dann dieses Alles nicht völlig egal?

Der einzig wahrhaftige Moment im Angesicht von Tod findet in diesen 85 Minuten Film nicht im Hause Praunheim statt, sondern bei seinen schwulen* Nachbarn nebenan: Gerd & Conny, die nach 53 Jahren Partnerschaft vom Krebs auseinandergerissen wurden und die Praunheim mehrfach filmisch besuchte. Hier tobt das wahre Leben in all seinem Schmerz über schrecklichen Verlust. Während gegenüber, bei Praunheims, nur plattes Theater aufgeführt wird – Theater als Trauerspiel.

Ach, Rosa.

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16. Februar 2025, 23:55 Uhr: Film als Mission

Klar, irgendwie entzieht sich SHOAH einer filmkritischen Betrachtung. Zu singulär ist diese Arbeit auf allen Ebenen. Trotzdem sind Claude Lanzmanns inszenatorische Entscheidungen bemerkenswert, vor allem in der Begegnung mit den Tatorten Treblinka und Auschwitz. Er nimmt sie in stetig wiederkehrenden, sich wiederholenden Einstellungen ins Bild, brennt sie förmlich in das visuelle Gedächtnis seines Publikums ein.

Aber auch sein im Grunde grenzwertiges Insistieren auf Zeugnis bei seinen Protagonisten sticht hervor – selbst wenn diese, wie etwa Jan Karski, wortwörtlich aus dem Bild gehen, weil sie die eigene Erinnerung kaum selbst ertragen, geschweige denn wiedergeben können.

Tor zur Hölle | Foto: Les Films Aleph

Film als Mission, bei der Widerstände so weit wie möglich zurückgestellt werden müssen – dürfen doch die dunkelsten Stunden der modernen Menschheitsgeschichte, hervorgebracht durch das deutsche Tätervolk, nicht einfach der Verdrängung anheimfallen. Erinnerung als Waffe gegen das Schweigen, gegen das Vergessen. Denn dieses „Nie wieder“ ist ein arg fragiles Ding – dies war Lanzmann und seinem Team schon damals mit großer Sicherheit bewusst. Die Geschichte gab ihnen recht.

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16. Februar 2025, 09:52 Uhr: Claude

Dann gehen wir es mal an. 566 Minuten. Immerhin gibt es eine Pause.

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15. Februar 2025, 20:11 Uhr: Driften jenseits der Träume

Ein Mann will irgendwo im Nirgendwo einen Brunnen bohren, doch die Dörfler sehen in ihm einen Feind – und erschießen ihn. Um die gerade so erwachsene Tochter vor dem Schock zu schützen, schickt die Mutter sie mit einem wortkargen jungen Soldaten auf einen Roadtrip.

Die beiden haben sich wenig zu sagen, aber Begehren und Liebe brauchen hier nicht viele Worte, um zu wachsen. Nur: In diesem Land, in dieser Gesellschaft, in diesem Staat – Armenien nach dem Krieg – sind alle kaputt. Zukunft? Unklar. Wie eigentlich alles in diesem Film.

Es ist nicht wirklich eine durchgehende Handlung, die Christine Haroutounian in AFTER DREAMING entfaltet. Eher ein Driften, ein Taumeln durch Orte, Gefühle und Klänge. Getragen vor allem vom faszinierenden Hauptdarsteller Davit Beybutyan – und einer Kamera, die klar konturierte Kinobilder konsequent verweigert. Ein visuelles Spiegelbild einer Welt, in der alles haltlos ist, nichts zuverlässig, nichts sicher. Kinofilm als Bewusstseinszustand. Herausfordernd und visuell betörend zugleich.

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15. Februar 2025, 19:00 Uhr: Kopiermaschine

Die Erde im Jahr 2054: Verfolgt von einem mörderischen Kredithai, flüchtet Mickey mit seinem besten Freund und Kompagnon auf eine mehrjährige Raumfahrtmission zu einem neuen Planeten.

Für die Mission meldet er sich als „Expandable“ – als jemand, dessen Körper nach Bedarf für definitiv tödliche Aufgaben verbraucht und anschließend neu gedruckt werden kann, während seine Persönlichkeit und seine Erinnerungen gespeichert und stets in den neuen Körper übertragen werden.

Der Filmtitel MICKEY17 spielt auf diesen Umstand an, denn die 17. (!) Version von Mickey steht im Zentrum von Bong Joon Hos 137-minütiger, aber überaus kurzweiliger Sci-Fi-Geschichte. Was bleibt vom Menschsein, wenn der Körper nach Belieben reproduziert oder recycelt werden kann? Ist das noch ein Mensch – oder nur ein Wegwerfobjekt? Und kann man so etwas eigentlich lieben?

Robert Pattinson als Mickey Nr. 17 und Mickey Nr. 18 | Bild: Warner Bros. Entertainment Inc.

Ausgestattet mit allerlei virtuosen Plottwists und gespielt von einem bestens aufgelegten Ensemble (u. a. Robert Pattinson, Naomi Ackie, Mark Ruffalo), bietet Bong Joon Ho erstklassiges und de facto existenzialistisches Popcorn-Kino, das keine Wünsche offenlässt. Und uns außerdem lehrt, dass wir fremde Spezies niemals unterschätzen sollten – schon gar nicht in ihrer Fähigkeit zum Bluff. Was für ein Hit!

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15. Februar 2025, 11:53 Uhr: Klappe halten

Ich gucke jetzt MICKEY 17 von Bong Joon Ho, aber ich darf darüber bis heute 19 Uhr nichts sagen, ermahnt uns das Saalpersonal im Berlinale Palast. Embargo oder besser: Veröffentlichungssperre, der Fluch auf jedem Filmfestival.

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14. Februar 2025, 20:15 Uhr: Patriarchat 1978 & 2025

Eine junge Filmemacherin hält anderen Filmemacherinnen das Mikro vors Gesicht, stellt insistierend Fragen zu den Bedingungen ihres Arbeitens in einer männerdominierten Welt – Vibeke Løkkeberg auf dem ersten Frauenfilm-Seminar 1973 im Kino Arsenal in Westberlin. Die Filmbilder reißen immer wieder ab, denn die 16-mm-Schwarz-Weiß-Filmrollen sind kurz, aber der Ton läuft weiter. Wir hören die angeregten Diskussionen – heute, in Vibeke Løkkebergs THE LONG ROAD TO THE DIRECTOR’S CHAIR.

Damals verschwanden diese Aufnahmen im Archiv, weil sich kein Sender fand, der das Material bringen wollte. Das Schicksal des Materials und vor allem die damaligen Debatten zeigen indes, wie wenig sich geändert hat – oder eher, wie viel längst wieder rückwärts läuft. Aber wo sind sie heute, die Frauen, die das patriarchale System und all seine toxischen Auswüchse aus den Angeln heben und überwinden wollen? Auf Instagram? Auf TikTok? Wohl kaum.

1978: Vibeke Løkkeberg (mitte) und ihre Protagonistinnen | Foto: bpk/Abisag Tüllmann

Die Trumps, Putins, Musks, Orbáns, Mileis und Merz’ unserer Zeit lassen sich nicht mit Hashtags und Videofiltern bekämpfen. Klartext, während dieser unbestritten instruktiven und auch kurzweiligen 70 Minuten des Eintauchens in eine allzu gegenwärtige Vergangenheit wird ein Gedanke immer lauter: dass hier eigentlich gerade die falsche Generation im Kino sitzt.

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14. Februar 2025, 23:22 Uhr: Wien // Berlin

Ich wage die These, dass Wien das neue Herz des deutschsprachigen Films ist. Vergesst Berlin, vergesst den Deutschen Film. Wobei, das mit dem Neu könnte man noch diskutieren. Eigentlich ist das eine schon länger andauernde Entwicklung.

tl;dr: Danke, Florian Pochlatko für HOW TO BE NORMAL AND THE ODDNESS OF THE OTHER WORLD

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14. Februar 2025, 15:16 Uhr: Behördenrassismus

Visuell und formal reichlich schlicht inszeniert, um nicht zu sagen so, dass sie den Kinoraum glattweg zu ignorieren scheint, reiht sich Martina Priessner mit ihrer dokumentarischen Arbeit DIE MÖLLNER BRIEFE in eine zum Glück wachsende Familie deutscher Filme ein, die den deutschen Rassismus ins grelle Scheinwerferlicht zerren und entblößen.

Aufgehängt an den hinterbliebenen türkischstämmigen Familien der tödlichen Brandanschläge von Mölln 1992, denen die Kommune über rund 30 Jahre die zahllosen im Stadtarchiv lagernden Beileidsbekundungen der damaligen Zeit vorenthielt, beleuchtet Priessner den individuellen Umgang mit Trauer und Trauma.

Folgerichtig lässt sie vor allem die Betroffenen sprechen und schafft damit nicht nur nebenbei einen Raum, der ihnen die Hoheit über ihr eigenes Narrativ ermöglicht. Nicht nur nebenbei dokumentiert sie, wie vollkommen blind deutsche Behörden für den Alltagsrassismus sind, den sie selber gegenüber nicht-weißen Deutschen ausüben.

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14. Februar 2025 um 12:22 Uhr: Neue Kinos bitte!

Wer glaubte, nach dem Berlinale Palast und der Konzerthalle im Gewerbegebiet am Ostbahnhof könnte es kinotechnisch nicht mehr schlimmer kommen – nun ja, wappnen Sie sich (und ihre Knie) für das „Stage Bluemax Theater“ im Gewerbegebiet Potsdamer Platz.

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14. Februar 2025, 07:42 Uhr: Storno bitte!

Storys vom fragilen Hetero-Mann mit der Klampfe um 09.30 Uhr? I’d rather not. Ticket storniert. Da leg ich mich lieber nochmal hin …

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13. Februar 2025, 21:44 Uhr: Ruhe bitte!

Tag 1, vier von fünf Filmen sind durch, einmal Hit (wenn auch niederschmetternd in der Thematik), einmal faszinös (faszinierend & mysteriös), eine Niete, einmal leider verschenkt – solider Berlinale-Schnitt also. Wer und was kann ich dank Embargo-Regelung noch nicht schreiben.

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https://blogs.taz.de/filmanzeiger/2025/02/22/berlinale2025/

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