vonfini 26.07.2021

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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Der deutsch-französische Spielfilm „Und morgen die ganze Welt“ von Julia von Heinz feierte im September 2020 auf den internationalen Filmfestspielen in Venedig Premiere. Die Süddeutsche schrieb in sattem Nationalstolz: „Der deutsche Wettbewerbsbeitrag „Und morgen die ganze Welt“ ist eine Antifa-Milieustudie voller Dringlichkeit“. Der Großteil der Presse und auch der Stimmen rund um die Filmfestspiele waren sich einig, dass der Film eine authentische und bewegende Darstellung der antifaschistischen Bewegung in Deutschland ist. Der Film ging für Deutschland bei den Oscars ins Rennen und ist aktuell weltweit auf Netflix zu sehen. (Im Folgenden wird es einige Spoiler geben.)

Worum geht’s?

Luisa, eine Jurastudentin aus gutem Hause, kommt mit dem Widerstandsrecht im deutschen Grundgesetz nicht klar: Bezieht sich das jetzt auf den Kampf gegen Rechtsradikale oder doch nicht? Sie ist scheinbar zu Beginn des Filmes schon Teil einer „linken“ Szene, geht containern und zieht in ein besetztes Haus. Dann bekommt sie auf einer Demo gegen eine AfD-lookalike rechtsextreme Partei ein Handy von einem Rechten in die Finger und kommt dadurch in Kontakt mit den „radikaleren“ Leuten in der Szene – den Rest des Films kann Mensch sich denken: Eine Auseinandersetzung darüber, ob Nazis nun Gewalt angetan werden darf oder nicht, im kartoffeligen Tatortstil und mit teilweise wirklich sinnlosem Plot (Schon klar, jemand ist militant trainiert und steigt bei Nazis ein, trägt dabei aber keine Handschuhe…).

Once upon a time

Von Heinz hatte das Drehbuch 2000 schon stehen – sie gibt an, selbst einmal Teil der Antifa Bonn gewesen zu sein. Das wäre dementsprechend dann irgendwann in den 1990ern gewesen, also 20 Jahre bevor der Film spielt. Das erklärt dann vielleicht auch, weswegen hier völlig antiquierte Geschlechternormen ausgeführt werden: Die „radikaleren“ Leute sind größtenteils Männer und der Anführer in Luisas eigener Gruppe heißt dann auch noch „Alfa“. Und nein, es gibt keinerlei ironische Brechnung dieses Namens, er wird ganz selbstverständlich so genannt. Alfa tritt übertrieben mackerig auf, trainiert die Boxgruppe, lebt promiskuitiv und sieht heteronormativ gut aus. Und nur weil Alfa es so will, wird dann eine heikle Aktion mit 15 Leuten verlängert und zu einem deutlichen Risiko für alle Beteiligten – Luisa wird dabei eine Flasche in den Oberschenkel gerammt. Das ändert aber nichts an ihrer naiven Begeisterung für den Mann. Das bürgerliche Narrativ, dass weibliche Radikalisierung entweder über einen Mann oder ein Kind vermittelt passiert, wird hier glänzend befriedigt.
Luisas eigene Handlungsmotivation wird darauf reduziert, dass sie als Jurastudentin die Paradoxien des Widerstandsrechts nicht fassen kann. Hier wäre es dann naheliegender gewesen, einige Kurse in Rechtsphilosophie zu besuchen, anstatt sich der Antifa anzuschließen. Denn das Widerstandsrecht zielt nicht auf einzelne Rechtsverstöße, sondern ist auf die Verfassung im Ganzen gerichtet und ist in sich ein komplexes, durchaus paradoxes Gebilde. Warum sie dann also die regelmäßigen Demütigungen durch Alfa, den Siff in einem Besetzen Haus, massive Verletzungen wie eine Flasche in ihrem Bein und Besuche bei leicht übergriffigen ehemaligen RAF-Aktivisten aushält, wird nicht so richtig deutlich. Die einzige andere Motivation, die thematisiert wird, ist eben ihre Faszination von Alfa (und ja, natürlich steht sie auf Männer, sonst hätte die Komponente „Liebe“ in dem Film ja auch einfach weggelassen werden können). Sie bleibt als Protagonistin insofern wahnsinnig eindimensional und entspricht mit der Fokussierung auf „Liebe“ und „Demokratie“ genau dem, was der*die Zuschauer*in im öffentlich-rechtlichen gern abends nach der Lohnarbeit sehen will.

Befriedigung der eigenen Untätigkeit

Zur Rettung einer eigenständigen Weiblichkeit hilft es dann leider auch nicht, dass Alfa nach erfolgter Strafanzeige den Schwanz einzieht und Luisa sich alleine mit einem Gewehr auf die Lauer legt, um Nazis zu erschießen. Sie macht es eben doch nicht, die Zuschauenden werden nicht mit ihrer Konsequenz konfrontiert. Stattdessen geht sie zurück zu dem seltsamen alten Mann, der einsam in einem Haus wohnt und Luisas Bein nach dem Flaschenangriff zusammenflickte. Dieser Mann ist scheinbar aus der RAF-Zeit übriggeblieben, war im Gefängnis und „muss“ seitdem als Krankenpfleger arbeiten. Sein Leben wird als verwirkt, traurig und verlassen dargestellt. Er wird als Sinnbild dessen vorgestellt, was eine*n erwartet, wenn mensch zu radikal wird. Auch in einem Streitgespräch zwischen Alfa und Beta „Lenor“ (einem weniger attraktiven Recherche-Aktivisten) kommt zum Ausdruck, dass es diejenigen gibt, die radikal bleiben und diejenigen, die dann irgendwann doch Karriere machen und ihr politisches Engagement an den Nagel hängen. Auch hier trifft Regisseurin von Heinz wieder Mitten ins Herz der kartoffeligen Zuschauenden: Denn ja, politisches Engagement ist ja löblich, aber die Kosten für das eigene Leben sind wirklich nicht tragbar – traurig sowas. Dass ganz am Ende des Films das Nazi-Versteck in die Luft fliegt, macht diese Schlussfolgerung leider auch nicht mehr wett, weil das völlig ohne jeglichen Zusammenhang und Nachvollziehbarkeit passiert.

Von gestern

An diesen Dingen sieht mensch deutlich, dass die Autorin in den 90er Jahre in der Antifa aktiv war und sich danach offensichtlich nicht mehr in linken Räumen bewegt hat: Insbesondere für junge Frauen ist heute einer der Gründe, weswegen es sich lohnt in einer linken Szene aktiv zu sein, dass sie dort wenigstens teilweise als Menschen wahrgenommen werden – was in jeder Form von etablierter Gesellschaft weiterhin nicht der Fall ist. In diesen Räumen gibt es Diskurse über dominantes Verhalten sowie Grenzen dessen, was in einem solchen Raum an Mackertum geduldet wird. Ein Auftreten, wie das von Alfa wäre in kaum einem linken Raum in dieser Form dauerhaft möglich. Auch von einer politisch aktiven Frau wäre das Verhalten von Alfa vermutlich in den seltensten Fällen irgendwie als attraktiv bewertet worden, sondern eher als unangenehm und patriarchal.
Auch die Diskrepanz zwischen „bürgerlichem Leben“ und „radikalem Leben“ ist ein Relikt der 90er und geprägt von der RAF-Ära. Von der sind wir aber in zwischen 50 Jahre weit weg, inklusive verschärften Polizei- und Versammlungsgesetzen mit Videoauswertungen, individualisierten Zugriffen oder Vorratsdatenspeicherung. Wer heute politisch aktiv sein will, hat gelernt damit umzugehen, dass das nicht auffällt und kann deswegen auch ein bürgerliches Leben führen. Abgesehen von ein paar losten Boys muss sich heute auch niemand mehr gegen bürgerliche Familiennormen mit Verwahrlosungsromantik wehren. Dementsprechend ist es für linke Szenen auch kein Tabu mehr, klarzukommen und seinen*ihren Lebensunterhalt irgendwie zu gestalten oder sogar „Karriere zu machen“. Insbesondere für politisch aktive Frauen ist es weiterhin notwendig und sinnvoll die Abhängigkeiten von Vater, Staat oder Mann so gering wie möglich zu halten. Insbesondere der feministische Diskurs hat zu einer Aufhebung des Narrativs der verlotterten „Radikalen“ geführt – denn das war offensichtlich politisch wenig zielführend und für Frauenleben in den meisten Fällen vernichtend.

Karriere auf wessen Kosten

Bemerkenswert in diesem Spannungsfeld ist noch ein weiterer eher Randaspekt des Films: Es gibt in Nürnberg ein selbstverwaltetes Jugend- und Kulturzentrum mit dem Namen „Projekt 31“ kurz „P 31“. Knapp zwei Jahre vor Veröffentlichung des Films stellte von Heinz bzw. Teile ihrer Crew das Filmkonzept auf dem Plenum des Zentrums vor, um in den Räumlichkeiten drehen zu können. Das Plenum entschied sich gegen eine Zusammenarbeit: „Aufgrund dieser stereotypen Rollenbeschreibungen sowie der nicht absehbaren Konsequenzen für unser real existierendes Projekt als Filmkulisse eines ausgedachten Filmes, entschieden wir uns, den Filmemacher*innen abzusagen.“ Im Juli erschien dann der Trailer des Films auf YouTube, es wurde zwar nicht im P 31 gedreht, dennoch wurde das linke Zentrum zu diesem Zeitpunkt im Film noch „P 31“ genannt. Inzwischen wurde dies im Film geändert in „P 91“. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack, da das Projekt zwangsweise seit 2020 auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten ist. 2021 muss eine neue Räumlichkeit gefunden werden, sonst wird das Projekt verschwinden. Die öffentliche Wahrnehmung bei Stadt und Behörden wurde durch den Film nicht gerade vorteilhaft beeinflusst, es ist außerdem zu befürchten, dass jede*r der*die das P 31 betritt, ob als Aktivist*in oder nur als Besucher*in nun besagten antiquarischen Stempel der Radikalität bekommt, den von Heinz mit ihrem Film inszeniert hat.

Was für morgen?

Weswegen es nun nötig war, einen real existierenden Freiraum mit einem fiktiven Film zu gefährden, anstatt sich einfach einen Namen auszudenken, ist für mich nicht verständlich. Genauso wenig, warum der Film nicht einfach auch ausgewiesen in den 90ern spielt, wo er doch offensichtlich mindestens von den 90ern inspiriert ist. Hier also auch als Journalist*in dauerhaft von einer zutreffenden und aktuellen Millieu-Studie zu sprechen, ist außerdem mäßig gut recherchiert und zementiert nur weiter rosarote Mitte-Mythen: Von „den Radikalen“, ihrer spannenden und reizvollen, aber gefährlichen Welt vor der uns glücklicherweise die schützende Scheibe des Fernsehers bewahrt. Dass sich die Welt seit den 90ern allerdings deutlich verändert hat, kann der Mitte-Mythos schwer integrieren. Es gibt zwar vielleicht dieses schummrige, gemütliche Gestern, aber ein Morgen haben wir nicht. Der Titel greift einen Teil des nationalsozialistischen Propaganda-Lieds „Es zittern die morschen Knochen“ auf, doch auch für Nazis gilt nicht mehr unbedingt „Und morgen die ganze Welt“, sondern „Wir haben heute schon einen guten Teil der Welt wieder“ – und da sind AfD, NSU, Nazi-Chatgruppen in der Polizei, Trump und Co nur die Spitze des strukturellen Eisbergs. Die Beweggründe und Realitäten zu politischem Engagement sind insofern deutlich andere als sie es gestern noch waren. Es macht auch keinen Sinn mehr, einzelne Nazis zu jagen, die in den Parlamenten, Behörden und der Wirtschaft haben deutlich mehr Einfluss und versammeln solide Mehrheiten hinter sich. Es gibt keine Hoffnung darauf, dass alles irgendwie gut und im Sinne eines Grundgesetzes wird – das wird es ohnehin nicht. Es ist eher die Frage, was mensch bis dahin mit der Zeit getan hat, die noch halbwegs gut war. Denn wer heute auf der Couch sitzen bleibt, wird morgen genauso mit ihr untergehen, als wenn sie*er sich gelegentlich mal von ihr entfernt hätte. Oder wie ich an anderer Stelle schon zum Ausdruck brachte: „Wir sind Blumen am Abgrund, wir rollen Sisyphos Steine.“

 

 

 

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