vonfini 25.09.2023

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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(Erster Teil: Hurra, die Welt geht unter!)

1. Inflation und Wirtschaftskrise:

Seit der großen Wirtschaftskrise von 2008 wurde der Kapitalismus nur noch durch die immer höhere Verschuldung von Privatleuten und Staaten, billige fossile Brennstoffe und die extreme Ausbeutung der ärmsten Menschen der Welt zusammengehalten. Die Corona-Krise hat dafür gesorgt, dass die Lieferketten zusammengebrochen sind. Plötzlich konnten deutsche Autokonzerne keine Teile mehr aus der Region Xinjang in China mehr beziehen, in der eine Million Menschen in Umerziehungslager eingesperrt sind, weshalb die Arbeitskräfte dort besonders billig sind. Technologiekonzerne kamen nicht mehr an seltene Metalle aus den Bürgerkriegsminen des Kongo und Modeketten nicht mehr an Lieferungen mit Kleidung, die unter der faschistischen Junta in Myanmar produziert werden. Eine Weile wurden diese Verluste durch staatliche Gelder (also Steuern) ausgeglichen. Es war also ohnehin klar, dass es zu einer Inflation – das Umlegen der Kosten auf den Rest der Gesellschaft – kommen wird, sobald die staatlichen Hilfen auslaufen. Dann kam der Ukrainekrieg dazu. Jetzt ist sind auch die Lieferketten für billigen Treibstoff zerrissen, was die ohnehin bestehende Krise verschärft. Es wird versucht, diese Krise mit denselben Mitteln zu lösen, die man schon 2008 angewendet hat: Gewinne privatisieren, Verluste vergemeinschaften. Da der Kapitalismus in seiner Dauerkrise bereits seit Jahrzehnten durch Lohnstagnation, Wohlstandseinschränkungen, Sozialabbau und die Verschuldung von Staaten und Privatpersonen gestützt wird, sind in der Breite der Gesellschaft keine Reserven mehr vorhanden. Es ist bei vielen schlicht nichts mehr zu holen, was man sich durch Preiserhöhungen noch aneignen kann. Daher wird der Kampf gegen Inflation schnell zum Überlebenskampf.

2. Krieg:

Dass der Kapitalismus immer weniger Menschen braucht/will, bedeutet auch, dass immer größere Weltregionen von Wirtschaftskreisläufen abgeschnitten werden. Das betraf beispielsweise Nordafrika und Syrien schon vor über 10 Jahren. Wenn es keine Jobs mehr gibt, haben die Leute immer weniger Geld in der Tasche. Das bedeutet aber auch, dass immer weniger Steuern erhoben werden können. Die Reichen entziehen sich weltweit ihrer Steuerpflicht. In das Gap zwischen globalisierter Wirtschaft und weiterhin nationaler Rechtssprechung flüchten sich internationale Unternehmen ohne große Probleme und zahlen niemals irgendwo Steuern, ohne dafür nachhaltig belangt werden zu können. Auch das ist eine Methode in der systemischen Stagnation des Kapitalismus Gewinne abzusichern. Wenn die Reichen sich drücken und die Armen und Mittleren, die sich weniger gut drücken können, selbst immer weniger haben, haben am Ende auch die Staaten immer weniger Geld in der Tasche. Das bedeutet einerseits, dass grundlegende soziale Funktionen, die heute noch über die Staaten organisiert werden, nicht mehr bereitgestellt werden können. Dadurch werden Bürgerkriege immer wahrscheinlicher. Das bedeutet andererseits, dass Staaten, bei denen dieser Prozess schneller abläuft, gegenüber anderen Staaten an wirtschaftlicher Macht verlieren. Um ihren Status und sich neues Einkommen durch Eroberung und Imperialismus zu sichern, greifen die Staaten zu kriegerischen Mitteln. Russland beispielsweise befand sich bereits, bevor es die Ukraine angegriffen hat, auf dem wirtschaftlichen Abstieg. Auch der Wiederaufbau nach einem Krieg kann ein gutes Geschäft sein. Ein Beispiel ist der Überfall der USA auf den Irak zu Anfang des Jahrtausends. Nach der Eroberung wurden Verträge zum Wiederaufbau an US-Konzerne vergeben. In der Situation der verstetigten Überproduktionskrise ist Krieg auf perverse Weise etwas wirtschaftlich Gutes: wenn nach dem Krieg eine wirtschaftliche Erholung und ein Wiederaufbau kommt, gibt es eine Zeitlang wieder gute Absatzmärkte.

3. Klimakatastrophe:

Mehr Effizienz heißt nicht nur, dass weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird, es bedeutet auch, dass immer mehr Natur schneller zu Waren für den Konsum und dann zu Müll wird. Die Zeit, in der eine Ware gebraucht werden kann, wird immer weiter verkürzt, weil immer schon neue Waren produziert wurden, die verkauft werden müssen. Um die wirtschaftliche Maschine des Kapitalismus irgendwie am Laufen zu halten, ist billige Energie nötig. Die kann nur produziert werden, wenn Kohle, Öl und Gas verbrannt werden. Wir könnten zwar mit ausschließlich erneuerbaren Energien eine Gesellschaft aufbauen, in der für alle genug zum Leben da ist. Aber eben keine, in der auf möglichst schnelle Weise möglichst viel natürliche Rohstoffe in Waren und dann in Müll verwandelt werden, um aus Kapital mehr Kapital zu machen. Die Krisendynamik des Kapitals verschärft also die Klimakatastrophe. Die Klimakatastrophe verschärft aber wiederum die Krisendynamik, indem sie Rohstoffe verknappt und verteuert. Dürresommer sorgen beispielsweise dafür, dass Flüsse austrocknen und Lieferketten immer wieder zusammenbrechen, Waren langsamer und aufwendiger transportiert werden müssen und dabei noch mehr Treibstoff genutzt wird. Beispiele dafür lieferten in den letzten Jahren der Suezkanal oder der Rhein. Nahrungsmittel werden teurer, weil die Ernten kaputtgehen, Waldbrände vernichten Wälder, die der Kapitalismus als Holzressource braucht und vieles mehr. Die kapitalistische Krise und die Klimakatastrophe werden sich gegenseitig weiter beschleunigen. Gegenwärtig sind wir auf einem Entwicklungskurs, bei dem Teile der Welt gegen Ende dieses Jahrhunderts unbewohnbar werden. Es ist natürlich die Frage, ob diese Entwicklung wirklich bis ans Ende des Jahrhunderts anhält oder ob der Kapitalismus vorher zusammenbricht. Und ob wir ihn vielleicht ein bisschen schubsen können.

4. Seuchen:

Der Kapitalismus muss immer mehr Dinge aus der Natur zu Waren machen. Das gilt auch für die Körper von wilden Tieren, die in den letzten Urwäldern leben und mit bisher unbekannten Viren infiziert sind. Gleichzeitig werden Wildgebiete immer intensiver genutzt, zum Beispiel für Holzeinschlag oder Plantagen. In den Tieren, die in diesen Wildgebieten leben, gibt es eine Vielzahl neuer Krankheiten, die auf den Menschen überspringen können. Früher taten sie das nur selten, weil Menschen und Tiere wenig Kontakt hatten. Durch die Fleischmärkte, Pelzfarmen und Plantagen schafft der Kapitalismus ideale Labore, in denen neue Krankheiten entstehen und direkt auf Menschen übergehen können. Da die Ausbeutung der Wildtiere oft in Ländern mit schlechter Infrastruktur passiert, in denen nur wenige Menschen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben, finden die Krankheiten ideale Bedingungen, um sich an den Menschen anzupassen und zu verbreiten. Die Konzerne lassen ihre Waren in Ländern produzieren, in denen sie ihren Arbeiter*innen nicht viel bezahlen müssen und verkaufen sie in reichen Ländern, in denen sie möglichst viel Gewinn erzielen können. Transportiert werden die Waren durch weltweite Logistiknetzwerke. Dazu kommt der weltweite Tourismus, sowohl für Urlaube als auch für das Geschäft. Durch diese Netzwerke von Menschen und Waren können sich die neuen Krankheiten in rasender Geschwindigkeit auf der ganzen Welt verbreiten. Dabei mutieren sie, wenn sie in neue Umgebungen vordringen, verlieren ihre Spezialisierung auf Tiere und passen sich an den Menschen als Wirt an. Der Kapitalismus kocht also ständig neue Krankheiten. Corona wird also nicht die letzte große Seuche unserer Zeit bleiben.

Der Staat schützt das Kapital

Der Kapitalismus kann nicht langsamer werden, nicht herunterfahren, da er ja eigentlich ein System ist, in dem verschiedene Konzerne und Unternehmen konkurrieren. Sobald eines langsamer macht, wird es von den anderen aufgefressen und ersetzt. Ebenso wenig können Einzelpersonen im größeren Stil „aussteigen“ und ihren Konsument*innen-Status aufgeben, außer sie haben vorher selbst Kapital und/oder Boden angehäuft. Das System macht es seinen Bewohner*innen unmöglich, im Kleinen vernünftig zu sein und eben deshalb kann es auch im Großen keine Vernunft geben. Deshalb reagiert der Kapitalismus auf jede Krise, in dem er für einige die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft weiter verschärft, andere aus dem Produktionsprozess ausstößt und ihnen die Lebensgrundlage entzieht, noch mehr Natur zerstört und verwertet, und noch mehr Wohlstand aus der Gesellschaft zu den Unternehmen zieht. Letzteres ist die Preissteigerung, die wir gerade erleben. Dabei zerstört er aber zunehmend die Gesellschaften und weiterhin die Natur. Wenn diese Dynamik nicht aufgehalten wird, werden wir an einen Punkt kommen, an dem auf großen Teilen der Welt die Voraussetzungen für komplexe Gesellschaften zusammenbrechen und die Natur weitgehend zerstört ist.

Viele Menschen leben bereits in Angst vor den großen Katastrophen unserer Zeit. Auch Dinge wie „Selfcare“ und „Stressreduktion“ sind insofern nur temporäre und privilegierte Illusionen, tatsächlich möglich sind sie eigentlich nicht und führen auch nirgendwohin. Dazu kommt Hoffnungslosigkeit: Viele können sich nicht vorstellen, wie eine Veränderung hin zu einer Welt, in der man langfristig leben kann, möglich ist. Welchen Weg gibt es, die nötigen gesellschaftlichen Veränderungen einzuleiten? Viele Versuche führten in eine Sackgasse. Ein Beispiel ist die Klimabewegung, die im Jahr 2021 sehr hart gekämpft hat, um die Grünen an die Macht zu bringen. Fridays for Future wurde von einer massenhaften Streikbewegung zu einer Wahlveranstaltung, weil man hoffte, mit einem Regierungswechsel schnell Veränderungen zu erreichen. Jetzt wird die Klimabewegung von den Grünen mit neuen Flüssiggasterminals und Sondergenehmigungen für Kohlekraftwerke verarscht. Im Schlamm vor Lützerath hat eine menschenverachtende Polizei-Soldateska (dt. zügelloser Soldatenhaufen) auf Geheiß einer grünen Regierung und geführt von einem grünen Polizeipräsidenten Jugendlichen die Schädel eingeschlagen. Neu ausgestattet, mit den sogenannten „modernen Versammlungsgesetzen“, die von schwarz-grünen Regierungen derzeit nach und nach in Deutschland eingeführt werden (NRW und Hessen sind schon durch), ist es für Polizeistrukturen auf politischen Versammlungen inzwischen außerdem möglich, selbst Recht zu setzen – also vor Ort zu entscheiden, was Recht und Unrecht im Sinne der politischen Meinungsäußerung ist, ohne, dass ein Gericht hinzugezogen werden muss. Eine solche grundlegende Veränderung der Beziehung zwischen Judikative und Exekutive weg von der Idee des Rechtstaats macht einen Staat noch handlungsfähiger, um das Kapital und die Maschine vor streikenden oder anderweitig kämpfenden Menschen zu schützen.

Staatsorientierte, linke Ansätze sind gescheitert und scheitern weiterhin

Der Grund für die Hoffnungslosigkeit ist das historische Scheitern der staatsorientierten Linken. Zwei Sorten staatsorientierter linker Strömungen und ihr spezifisches Scheitern sind zu unterscheiden: Sozialdemokratie und Staatskommunismus.
Die Sozialdemokratie sucht, wenn sie an der Macht ist, immer den Kompromiss mit dem Kapital und wird so zur Agentin, die die Interessen des Kapitals gegen die Menschen durchsetzt. Und wenn kein Kompromiss zwischen Menschen und Kapital möglich ist, wie eben in der Klimafrage, greift sie auf die Knüppel und Gewehre der staatlichen Zwangsapparate zurück, um Scheinkompromisse durchzusetzen. Historische Beispiele sind die Kriegskredite für den Ersten Weltkrieg und die Niederschlagung der Novemberrevolution. Aktuelle Beispiele sind die Harz Gesetze, die Zeitenwende zur Aufrüstung und die Klimapolitik der Ampel. Denn auch die Grünen folgen dieser Logik.

Die staatskommunistischen Bewegungen haben es geschafft „Revolutionen“ durchzuführen, auf diese folgte aber nicht eine freie Gesellschaft, sondern die Wiedereinführung des Absolutismus in Form des politischen Totalitarismus. Damit waren die leninistischen Revolutionen ein Rückschritt gegenüber den bürgerlichen Revolutionen des neunzehnten Jahrhunderts. Die Gesellschaften, die die kommunistischen Parteien in Russland und Osteuropa aufgebaut haben, konnten sich zwar gegen die kapitalistischen Staaten erfolgreich verteidigen, aber sie waren für die Menschen so unerträglich, dass sie schlussendlich einfach zusammengebrochen sind, weil niemand mehr bereit war, für sie zu kämpfen. China hat sich zu einem autoritären Staatskapitalismus entwickelt, in dem die Kommunistische Partei die Interessen der Konzerne durchsetzt. Positive Beispiele findet man in der Geschichte des Staatskommunismus historisch nur da, wo es gelungen ist, Kommunismus und Demokratie zumindest in einigen Bereichen der Gesellschaft zu verknüpfen, beispielsweise in der Arbeiter*innenselbstverwaltung in Jugoslawien. Dennoch bestimmen Sozialdemokratie und Staatskommunismus bis heute den Horizont, wenn sich Menschen gesellschaftliche Veränderungen vorstellen. Da die sozialdemokratischen Ansätze in ihrer neuesten Form als Klimabewegung gerade wieder einmal gescheitert sind, macht sich Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit breit.

Aus der Hoffnungslosigkeit folgt Resignation, aber gerade die können wir am allerwenigsten gebrauchen. Denn auch wenn recht klar ist, dass sich unsere alte Weltordnung in einer langsamen zerstörerischen Agonie befindet, ist nicht ausgemacht, was danach kommt:

  • Sterben Millionen, die vor den Katastrophen fliehen, an den Grenzen des globalen Nordens, oder finden sie eine neue Heimat in den Regionen, in denen die Bevölkerung schrumpft?
  • Breiten sich Wüsten und zerstörtes Land immer weiter aus oder wird es ein gesellschaftliches Projekt, neue Wälder zu pflanzen und Ökosysteme zu pflegen?
  • Werden immer größere Teile der Welt von Mafiagruppen und Warlords beherrscht oder bilden sich in den Regionen, die der Kapitalismus aufgibt, gleichberechtigte und solidarische Gemeinschaften, die sich verteidigen können?
  • Müssen wir unsere Städte irgendwann verlassen, weil sie autofixierte, von Lebensmitteleinfuhren abhängige Asphaltöfen bleiben, in denen bei Hitze und Überschwemmungen niemand mehr leben kann oder gestalten wir sie um für das, was kommt?
  • Legen wir uns deprimiert hin und warten wir ab, bis die Zerstörung auch uns trifft oder verteidigen wir jedes kleine bisschen Lebensperspektive mit Zähnen und Klauen?

Wahrscheinlich wird alles davon gleichzeitig passieren. Schon gerade jetzt, in diesem Moment passiert das alles gleichzeitig, denn das langgezogene qualvolle Ende der kapitalistischen Weltordnung begann schon vor fast 15 Jahren. Die staatsorientierte Linke lehrt uns, dass es nur den einen großen Kampf um die Macht gibt oder den einen großen Kompromiss, und wenn das nicht funktioniert, dann ist alles verloren. Aber so funktioniert die Geschichte nicht. Das Ende unserer Weltordnung ist ein offener Prozess, wie das Aufbrechen einer Mauer, in der sich an vielen Stellen plötzlich Risse bilden. Wir müssen nur hinsehen. Es kommt auf jeden einzelnen Menschen und auf jeden einzelnen Kampf an.

Dritter Teil: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall…

Vierter Teil: …und wenn wir zusammen musizieren, so wäre dies wohl fantastisch

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