vonfini 25.09.2023

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

Mehr über diesen Blog

(Erster Teil: Hurra, die Welt geht unter!)
(Zweiter Teil: Der Zusammenhang zwischen den Krisen)
(Dritter Teil: Etwas besseres als den Tod finden wir überall)

Verteidigung

Es wird leider nicht so sein, dass einfach aus den Nischen heraus friedlich eine neue Welt erwächst, wenn die Reproduktion von Staat und Kapital in die Krise gerät. Wir leben in einer Zeit brutaler Kämpfe um die Zukunft. Diese werden sich in den nächsten Jahrzehnten ausweiten und intensivieren. Je mehr ins Rutschen gerät und je offener die Situation wird, umso brutaler. Unsere Gegner*innen sind dabei zum einen diejenigen, die bis in den Untergang an der alten Ordnung festhalten wollen. Diese konservativen Bewegungen können viel Schaden anrichten. Da Konservative aber mittlerweile im offenen Widerspruch zur physischen Realität leben, werden sie sich irgendwann selbst besiegen. Der größte Feind wird insofern eine neue Form von Faschismus sein, der in den letzten Jahrzehnten entstanden ist. Es ist der Faschismus der Banden, der in vielen Regionen auf den Staatszerfall folgt. Wenn die Staaten sich nicht mehr reproduzieren können, weil die Ökonomie nicht mehr funktioniert, verschwinden ihre Gewaltapparate nicht einfach. Die Pistolen, Gewehre und Panzer, die die staatliche Ordnung verteidigen sollten, sind dann immer noch da. Ebenso wie die Einheiten und Verbände von Polizei und Armee – letztendlich also auch Menschen, die ihr Leben lang gemeinsam gewaltsam eine bestimmte Eigentumsordnung verteidigt haben. Die bezahlt dann nur niemand mehr. Aus den staatlichen Gewaltapparaten kann dann die Keimzelle eines Mafia-Faschismus werden, der die Gewaltmittel dazu nutzt, sich möglichst viele Ressourcen der zerfallenden Gesellschaft anzueignen. Die laufend verschwindenden Waffen und Ressourcen von Bundeswehr und Polizei in die Hände von NSU, Reichsbürger*innen oder ähnliche Strukturen sind auch in Deutschland erste Ansätze davon. Dieser neue Faschismus ist hypermaskulin und richtet sich insbesondere gegen Frauen, die zu einer Beute werden, mit denen die Führer der Banden ihre Soldaten belohnen. Queers und anderen Minderheiten werden ermordet. Da dieser neue Faschismus keinen funktionierenden Staatsapparat mehr besetzen kann, um seine Macht abzusichern, setzt er auf exemplarische Grausamkeit. Dafür werden Folter und Hinrichtungsvideos über das Internet zu verbreiten. Die Entwicklung dieses neuen Faschismus zeigt sich in vielen Regionen der Welt. In einigen südamerikanischen Ländern haben Kartelle, die nach diesem Prinzip funktionieren, den Staat zurückgedrängt, ganze Verbände von Polizei und Militär sind übergelaufen. In Afghanistan haben die Taliban die Macht übernommen und errichten eine gegen Frauen gerichtete Terrorherrschaft. In Libyen herrschen Banden, die von der EU zynisch als „lybische Küstenwache“ bezeichnet werden. Sie werden mit Geld, Waffen und Schiffen versorgt, um Geflüchtete auf dem Mittelmeer abzufangen und in Folterlager zu verschleppen. Das drastischste Beispiel für den neuen Faschismus ist aber der Daesh, der rasant weite Teile des Iraks und Syriens erobern konnte, nachdem er sich die irakische Armee fast kampflos zusammengebrochen ist. Daesh behauptet, das wahre Kalifat der Muslime zu sein und begann eine Terrorkampagne gegen alle, die als Ungläubige definiert wurden, darunter ein versuchter Völkermord an den Eziden.

Das Beispiel Daesh zeigt aber auch, dass solidarische, freiheitliche und konkrete Bewegungen den neuen Faschismus besiegen können, wenn sie auf militärische Konflikte vorbereitet sind und sich Verbündete suchen. Mit kaum verdeckter Unterstützung durch den türkischen Staat gelang es Daesh, einen großen Teil von Syrien zu erobern. Darunter ein Teil der Region Rojava. In Rojava versucht die kurdische Bewegung eine post-staatliche Gesellschaft zu errichten, basierend auf den Prinzipien des demokratischen Konföderalismus. Zu diesen Prinzipien gehören Selbstverwaltung, Gleichberechtigung zwischen den Ethnien und Geschlechtern und Ökologie. Daesh eroberte ein ganzes Kanton, bis auf die Stadt Kobane. In einem monatelangen Gefecht schafften es die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) die Stadt zu halten und Daesh schließlich zurückzudrängen. Um den Krieg gegen die djihadistischen Banden-Faschismus führen zu können, verbündeten sich die kurdische Bewegung mit anderen Gruppierung zu den demokratischen Kräften Syriens (SDF), die für ein demokratisches, säkulares und föderales System in Syrien kämpfen. Die SDF konnten in einem jahrelangen Krieg einen großen Teil Syriens von den djihadistischen Banden zurückerobern. Sie haben aber noch keineswegs gewonnen. Die USA, die die SDF zunächst unterstützt hatten, haben sie verraten, nachdem der Faschist Trump einen Deal mit dem Faschisten Erdogan ausgehandelt hat. Bevor die djihadistischen Banden endgültig besiegt werden konnten, griff die türkische Armee die Gebiete der SDF offen an und besetzte das Kanton Efrin. Die Einheiten der YPG und YPJ standen vor der schwierigen Entscheidung, entweder im Süden den Krieg gegen Daesh zuende zu führen oder im Osten Städte und Dörfer gegen die türkische Armee zu verteidigen. Die kurdische Bewegung braucht also weiterhin jede Unterstützung, die sie kriegen kann. Auf dieser Seite gibt es aktuelle Nachrichten und Informationen über Unterstützungskampagnen.

Die kapitalistische Weltordnung zerfällt von ihren Peripherien her. Auch wenn wir in den imperialen Zentren noch etwas Zeit haben, sollten wir diejenigen, die schon jetzt mit dem Faschismus der Banden konfrontiert sind, so gut unterstützen, wie wir können. Und wir sollten uns nicht zu sicher sein. In einigen Gebieten Deutschlands gibt es starke Nazigruppierungen, die bereits jetzt in einigen Dörfern und Kleinstädten eine gewaltbasierte Hegemonie erreicht haben. Wenn die Dynamik des Staatszerfalls die Bundesrepublik erreicht, wird daraus schnell die Keimzelle eines deutschen Banden-Faschismus.

Schon jetzt muss uns klar sein, dass wir uns vor Nazis und anderen reaktionären, gewaltbereiten Akteur*innen im Zweifelsfall nur selbst schützen können. Ob die Polizei gewalttätige Nazis strafrechtlich verfolgt, ist schon jetzt von der politischen Lage abhängig und unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland erheblich. Das wird sich wahrscheinlich verschlimmern, da die Unionsparteien nach rechts rücken und Regierungskoalitionen mit der AfD in einigen Ländern und möglicherweise auch im Bund wahrscheinlicher werden. Das wird zu einer erheblichen Steigerung der Nazi-Straßengewalt führen. Einerseits, weil Nazis sich dann durch die politische Lage ermächtigt fühlen, andererseits weil sie wissen, dass sie dann von den Staatsorganen nichts mehr zu befürchten haben. Deshalb sollte jede einzelne Antifaschist*in, jede*r einzelne Punk, jede einzelne Feminist*in, jede einzelne queere Person und jede einzelne Klimaaktivist*in Kampfsport oder Kampfkunst betreiben. Denn am Ende wird es darauf ankommen, ob du und die Personen neben dir wissen, wie man eine Faust ballt und halbwegs geradeaus schlägt. Wenn du in einer Großstadt wohnst, gibt es da vielleicht schon feministische oder solidarische Kampfsportgruppen, bei denen du trainieren kannst. Aber auch außerhalb von Großstädten wirst du bei normalen Turn- und Sportvereinen ein brauchbares Angebot finden. Gut sind Sportarten, in denen es Wettkämpfe gibt, die wenig stilisiert sind. Zum Beispiel Boxen, Thaiboxen, Judo, Grappling oder MMA. Wenn du eher nicht zu den Leuten gehörst, die große Oberkörpermuskeln entwickeln, kannst du dir die Philippinischen Kampfkünste (FMA) angucken. Hier trainiert man mit Stöcken und anderen Waffen, das kann Kraftnachteile ausgleichen. Generell solltest du natürlich auf ein angenehmes Vereinsklima achten und schauen, dass du nicht gerade da trainierst, wo auch die örtlichen Nazis hingehen.

Wohnraum

Zu den großen Problemen unserer Zeit gehört die Knappheit von Wohnraum. Die Mittelklasse rennt in den Großstädten von Besichtigung zu Besichtigung, während andere schon lange obdachlos sind oder in gesundheitsgefährdendem Wohnraum leben müssen. Auch das hängt mit dem langsamen Verenden des Kapitalismus zusammen. Der Wohnungsmarkt wurde liberalisiert und die Wohnungen der Menschen zu einem Spekulationsobjekt. Erst die Liberalisierung hat dafür gesorgt, dass Investmentfonds große kommunale Wohnungsbestände aufkaufen konnten, um diese als Renditequelle auszubeuten. Auch das ist eine der Arten, wie der sterbende Kapitalismus beginnt, die Gesellschaft zu verdauen, weil das in den einzelnen unternehmerischen Bilanzen wie Wachstum aussieht. Die Preise für den Bestandswohnraum werden immer höher getrieben, während in den günstigen Segmenten kaum neuer Wohnraum geschaffen wird. Dazu kommen Familienmodelle, die dafür sorgen, dass viele Menschen am Ende ihres Lebens in leeren großen Wohnungen leben und die Herausforderungen, die Migration aus Katastrophenregionen in die nördlichen Regionen der Welt zu organisieren. Gerade jetzt müsste es also eine dynamische Wohnungsentwicklung geben. Nicht zuletzt, um die Häuser für die veränderte Wettersituation fit zu machen und den Energieverbrauch zu senken. Gerade jetzt wird die Situation aber durch Märkte eingefroren und nur noch zum Auslaugen von Wohlstand aus der Gesellschaft genutzt. Was es jetzt bräuchte, wäre eine Methode, die Häuser dem Markt zu entziehen, dafür zu sorgen, dass sie denen gehören, die sie bewohnen und eine Methode, klimageeignete Bausubstanz und neue Häuser zu organisieren und zu finanzieren.

Zum Glück gibt es das – diesmal sogar in Deutschland. Das Mietshäusersyndikat ist ein Verbund von 186 Hausprojekten und 18 Projektinitiativen, der Wohnraum in der Hand der Bewohner*innen organisiert. Die einzelnen Projekte sind sehr unterschiedlich, was sie verbindet, ist der Gedanke der Solidarität und eine besondere Rechtsform. Denn so etwas wie einen unverkäuflichen Gemeinschaftsbesitz gibt es im Recht des heutigen, kapitalistischen Deutschlands eigentlich nicht. Das Mietshäusersyndikat hat es geschafft, durch eine kluge Kombination der Rechtsformen der GmbH und des Vereins eine Struktur aufzubauen, in der die einzelnen Hausprojekte autonom sind und von ihren Bewohner*innen bestimmt werden, gleichzeitig aber sichergestellt ist, dass die Häuser niemals für unsoziale Zwecke verkauft werden können. Die Solidarität wird dadurch gelebt, dass die schon lange etablierten Hausgemeinschaften neue Initiativen finanziell und mit Know-How unterstützen. Dadurch wird es für Gruppen möglich, ein Haus zu kaufen, selbst wenn sie selbst nicht viel Eigenkapital mitbringen. Eines der Häuser im Syndikat, das Projekt Tuchmacher*innen in Potsdam beschreibt sich selbst so:

„Ein bisschen fühlte sich unser Kampf an wie der Aufruhr eines kleinen gallischen Dorfes im Römischen Imperium. Doch wir konnten bleiben! Im Mai 2017 eroberten wir das Mietshaus in der Tuchmacherstraße 8 in Potsdam-Babelsberg. Wir sind keine Gruppe, die für die Umsetzung ihrer gemeinsamen Pläne ein Haus gesucht hat, sondern unser Projekt setzt sich aus Mieter*innen eines ehemals städtischen Wohnhauses zusammen, das plötzlich zum Verkauf stand. Noch im Kaufjahr 2017 bekamen wir Verstärkung und inzwischen sind wir eine stabile Gruppe von 17 Leuten in 10 Wohnungen. Wir leben bewusster und selbstbestimmter in unserem Haus, als die meisten von uns es vor dem Kauf taten. Und es macht Spaß“
(zitiert nach Mietsyndikatbroschüre)

Wenn du dir das Syndikat mal anschauen willst, oder vielleicht selbst ein Haus im Auge hast und Unterstützung dabei brauchst dort ein Projekt zu realisieren, findest du das Syndikat hier.

Technologie

Auf den ersten Blick ist nichts kapitalistischer als die Digitalisierung. Jede weiß heutzutage, dass Youtube, Instagram, TikTok und Twitter uns überwachen. Dass sie versuchen uns zu durch gezielte, auf uns angepasste Werbung beeinflussen und unser Kaufverhalten zu steuern. Jede weiß, dass die Konzernplattformen uns traurig, ängstlich und psychisch krank machen. Dass alle Informationen, mit denen wir unsere Profile füttern, um unsere Identität dort möglich sichtbar zu machen, für den Verkauf an andere Unternehmen und dann für weitere Werbung genutzt werden. Jede weiß, dass ihre Algorithmen faschistische Propaganda bevorzugt verbreiten: Der Faschismus von Trump oder der AFD wäre niemals so erfolgreich ohne die Bevorzugung durch diese Plattformen, Verschwörungsbewegungen wie die Querdenker*innen würden nicht in dieser Form existieren, wenn nicht Facebook die Boomer-Generationen völlig verwirren würde. Jede weiß das, aber die wenigsten schaffen es, sich von diesen Plattformen zu lösen. Selbst die nicht, die sich Links nennen. Meta und Alphabet, die Konzerne hinter den Instagram, Facebook und Google, zählen heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Das ist so, weil sie dem Kapital in der Absatzkrise ein unwiderstehliches Versprechen machen konnten: das Versprechen, eure Aufmerksamkeit und eure Beziehungen zu überwachen und zu kontrollieren und damit dafür zu sorgen, dass ihr möglichst viel Scheiß kauft. In der allgemeinen Überproduktionskrise ist schon das Versprechen sehr viel Wert. In der großen kapitalistischen Weltzerstörungsmaschine agieren die Digitalkonzerne wie eine Art Turbolader, der die Verwertungsprozesse noch einmal so richtig anheizt, bevor die Maschine auseinanderfliegt. Das sieht man auch daran, dass die Branche der digitalen Werbeausgaben in den letzten Jahren stark gewachsen ist und immer noch Wachstumspotential aufweist – im Gegensatz zu nahezu jedem anderen Markt: 2023 wurden weltweit über 600 Milliarden Euro für digitale Werbung ausgegeben, 2017 waren es noch knapp 200 Milliarden Euro.

Aber die Digitalisierung hat auch noch eine andere Geschichte. Es ist die Geschichte von Hacker*innen, Freier Software und digitalen Commons, die für alle da sind. Denn mit Computern, Internet und Software hat der Kapitalismus etwas erfunden, das sein Ende praktisch erfahrbar macht. Egal ob Musik, Filme, Textverarbeitung, Modelle für 3D-Drucker oder jede andere Art von Programm: von den Bedingungen der Technologie her, kann jedes Programm mit minimalen Stromkosten vervielfältigt werden und mit jedem Menschen, der einen Computer hat, geteilt werden. Das bricht mit der zentralen Grundlage des Kapitalismus: der Ware. Der ganze Zyklus aus Produktion, Verkauf und Reinvestition, der heute die Welt in Richtung Katastrophe treibt, kann für digitale Güter ganz einfach durchbrochen werden. Sie können halt einfach ohne Beschränkung für alle da sein. Deshalb hat sich ein ganzes Konglomerat an Regulationsmechanismen entwickelt, die dafür sorgen sollen, dass digitale Dinge doch irgendwie in Warenform gepresst werden und Geld abwerfen. Von den Zugangsbeschränkungen auf Plattformen wie Instagram, die dafür sorgen, dass du deine Freund*innen nur online sehen kannst, wenn du akzeptierst, dass du überwacht und von Nazis bedroht wirst. Über die Musik, Spiele, Serien und Programme, die du niemals speichern, sondern nur mieten und streamen darfst. Bis zu den Apps, die du nur benutzen darfst, wenn du dein Telefonbuch, Standort und andere Metadaten teilst (wiederum für Marketing verwertbare Kund*innendaten).

Gegen diese Einschränkungen kämpft die Hacker*innenbewegung und die Bewegung für Free and Open Source Software (FOSS). Politische Hacker*innen knacken kommerzielle und staatliche Systeme und drehen die Dynamik des Datenstehlens um. FOSS Programierer*innen entwickeln Systeme, die dasselbe können wie die kommerziellen und teilen sie mit jeder, die sie braucht. Ein Ort, an dem man dieser Bewegungen geballt erleben konnte, war der jährliche Chaos Communication Congress (C3) des Chaos Computer Clubs. Hier gab es jedes Jahr an 4 Tagen an dichtes Programm an wissenschaftlichen, politischen und technischen Vorträgen oder Workshops, in denen man alles Mögliche andere lernen konnte, Präsentationen von Systemen und Kunst. Viel davon funktionierte nach den Prinzipien kollektiver Selbstorganisation. Es gab zum Beispiel ein „anarchist village“ in dem jede niedrigschwellig Workshops anbieten konnte. Fast am beeindruckendsten war die technische Infrastruktur, die jedes Mal hochgezogen wurde, um das alles zu stemmen. Hier wurde jedes Mal erfahrbar, dass es in solidarischen, freiheitlichen und konkret kämpfenden Bewegungen schon jetzt das Know-How gibt, um das Leben in offenen Netzwerken abseits der zerfallenden Strukturen von Staat und Kapital zu organisieren.

Leider hat die Pandemie dafür gesorgt, dass der C3 seit 2019 nicht mehr in Präsenz stattgefunden hat. Es gab dezentrale und digitale Events und 2023 wieder ein Sommercamp. Der CCC ist jedoch auch abseits des Events eine durchaus interessante Organisationsstruktur.

Die Dokumentation All creatures Welcome gibt einen Eindruck davon, was für ein außergewöhnlicher Ort die Kongresse und Camps sind.

Im Medienarchiv des CCC gibt es die Aufzeichnungen vieler spannender Vorträge beim C3 und bei anderen Events.

…und wenn wir zusammen musizieren, so wäre dies wohl fantastisch.

Diese kleine Auswahl soll zeigen, dass an vielen Orten und in vielen Sektoren der Gesellschaft schon jetzt solidarisch, freiheitlich und konkret um die Zukunft gekämpft wird. Die Auswahl ist unvollständig, weil in diesem Zine nicht viel Platz ist und sie ist subjektiv. Ich habe nichts über die Bewegung der Zapatistas in Mexiko geschrieben, obwohl sie für meine eigene Geschichte sehr wichtig war. Ich habe nichts über die Leute geschrieben, die eine zivile Seenotrettung organisiert haben, als die Staaten beschlossen, das Leben auf dem Mittelmeer nicht mehr zu schützen. In den letzten Jahren ist so viel passiert, dass man es nur noch schwer verfolgen kann. Ich habe nichts über die Anarchist*innen geschrieben, die in Russland Züge in die Luft sprengen, um den russischen Imperialismus zu bremsen. Ich habe nichts über die ukrainischen und belarussischen Genoss*innen geschrieben, die entschieden haben, sich der ukrainischen Armee anzuschließen, um den russischen Krieg zu bekämpfen, obwohl man von ihnen wohl viel über die Widersprüche des Kampfes in unserer Zeit lernen kann. Ich habe auch nichts über die deutsche Klimabewegung geschrieben, weil ich wenige Beispiele kenne, an denen sie wirklich konkret kämpft. Ich habe nichts über den Aufstand in Chile geschrieben, obwohl er solidarisch, freiheitlich und konkret war. Ich habe nichts über die andauernden Revolutionsversuche im Iran und im Sudan geschrieben, weil ich darüber zu wenig weiß. Bestimmt gibt es noch sehr viele andere Dinge, von denen ich nichts weiß.

Denn so wie die kapitalistische Weltordnung von den alten Kolonien her zerfällt, so wird wohl auch die Grundlagen einer neuen Welt von dort aus wachsen. Das imperiale Zentrum Deutschland ist eine eingefrorene Gesellschaft, die verzweifelt versucht so zu tun, als könnte die Situation der frühen Nullerjahre für immer andauern. Das hat sich auch auf die Linken hier ausgewirkt. Sie haben sich in die Virtualität der digitalen Konzernplattformen zurückgezogen und spielen dort Spiele um Identität und Sprache, weil sich draußen seit zwanzig Jahren nichts bewegt. Das kann einen manchmal wahnsinnig machen und man hört von vielem nicht, weil sich die Leute hier nicht mehr für die Welt interessieren. Es gibt sicherlich viele Erfahrungen und Wissen aus konkreten Kämpfen, die hier noch gar nicht angekommen sind.

Eine Sache, über die ich mir allerdings doch oft Gedanken mache, ist, wie man das alles zusammenbringen kann. Denn es entwickelt sich viel in den Nischen und Rissen, aber erst, wenn die Risse zusammenlaufen, platzt die Mauer. Im Moment sieht es so aus, dass jede in ihrer Nische kämpft, aber drumherum laufen wie gehabt die Reproduktionsprozesse des Kapitals. Die Ärzt*in in der solidarischen Krankenstation macht ihre Arbeit unbezahlt in ihrer Freizeit, die Arbeiter*innen der besetzten Fabrik verkaufen ihre Kacheln trotzdem auf dem Markt, das Gemüse der SoLaWi kann nur innerhalb des Vereins abgegeben werden, die FOSS-Programmierer*in muss was anderes arbeiten, um ihre Projekte zu finanzieren. Und wenn ihr Code gut ist, wird er oft einfach von Unternehmen angeeignet, die damit Gewinn machen, ohne wieder zur FOSS-Community beizutragen. Die große Frage ist, wie man das alles verknüpfen kann, ohne auf Waren, Wert und Geld zurückgreifen zu müssen. Wie kann die Programmierer*in für ihre Arbeit für die Gemeinschaft einen Anteil von der SoLaWi bekommen, die Ernter*in der SoLaWi Kacheln aus der besetzten Fabrik, die Fabrikarbeiter*in eine Behandlung in der Krankenstation und die Ärzt*in freie Programme, ohne dass sie im Austausch doch wieder den Kapitalismus füttern?

Den anarchistischen Bewegungen fällt meist nichts anderes ein, als es ganz ohne organisierten Austausch zu versuchen. Jede macht einfach so viel, wie sie motiviert ist, und am Ende soll es irgendwie passen. Das endet dann in Selbstausbeutung derjenigen, denen die Sache am meisten am Herzen liegt. Einige wenige reißen sich den Arsch auf, damit die Projekte funktionieren und bekommen dafür nichts zurück. Oft kommen diese Projekte nicht weiter als bis zum Burnout der zentralen Personen. Dem Staatskommunismus ist nichts Besseres eingefallen, als das Generalkartell. Also aus der ganzen Wirtschaft einen Staatskonzern zu machen, der alles zentralbürokratisch regeln soll. Lenin schrieb einmal, dass einfach die ganze Wirtschaft so funktionieren sollte wie die Deutsche Post. Auch das ist historisch gescheitert.

In der wilden Teenagerzeit des Kommunismus, bevor das Wort Kommunismus ein Synonym für russischen Imperialismus geworden ist, gab es noch die Idee der dezentralen Planwirtschaft mit Arbeitszeitrechnung. Dabei soll das Geld als Austauschmedium abgeschafft werden, stattdessen soll in einer demokratischen Buchhaltung notiert werden, in was Menschen ihre Arbeitszeit gesteckt haben und für was in Zukunft gearbeitet werden soll. Gerade in unseren Zeiten ist das eine interessante Idee, da so ein planvolles Diskutieren an die Stelle der irren Dynamik treten würde, die gerade so viele Katastrophen produziert. Der Verein Initiative Demokratische Arbeitszeitrechnung aus Berlin versucht diese Idee für unsere Zeit umzusetzen und digitale Tools dafür zu entwickeln.

Wenn man es schafft, die ganzen Risse und Nischen in denen heute gekämpft wird, in einer Parallelstruktur zum Kapitalismus zu verbinden, würde das dem ganzen System wohl einen ordentlichen Tritt versetzen. Vielleicht hat eine der praktisch kämpfenden Bewegungen auf der Welt auch schon einen Weg gefunden und wir haben das hier einfach noch nicht mitgekriegt.

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https://blogs.taz.de/finiskleinerlieferservice/2023/09/25/und-wenn-wir-zusammen-musizieren-so-waere-dies-wohl-fantastisch/

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