vonFred Hüning 28.02.2023

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

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Neulich habe ich nach langer Zeit mal wieder eine winterliche Reise zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück unternommen. Es waren drei eiskalte Tage voller Sonnenschein. Immer wenn ich um die Gedenkstätte herum lange Spaziergänge unternehme in dieser schönen Wald- und Seenlandschaft muss ich unwillkürlich an die Anfangssätze von NACHT UND NEBEL denken, dem filmischen Gedicht von Alain Resnais, die da aus dem Off gesprochen werden, während die Kamera über Wiesen und Feldwege am Lagerzaun von Auschwitz entlang fährt:

Auch ruhiges Land, auch ein Feld mit ein paar Raben drüber, mit Getreidehaufen und Erntefeuern, auch eine Straße für Fuhrwerke, Bauern und Liebespaare, auch ein kleiner Ferienort mit Jahrmarkt und Kirchturm kann zu einem Konzentrationslager hinführen.

Struthof, Oranienburg, Auschwitz, Ravensbrück, Dachau, Neuengamme, Bergen-Belsen: das waren einmal Namen wie andre, Namen auf Landkarten und in Reiseführern.

Das Blut ist geronnen, die Münder sind verstummt, es ist nur eine Kamera, die jetzt diese Blocks besichtigen kommt. Ein eigentümliches Grün bedeckt die müdegetretene Erde.
Die Drähte sind nicht mehr elektrisch geladen. Kein Schritt mehr, nur der unsre.

Mit diesem Blog-Beitrag möchte ich jeder/jedem Alain Resnais’ filmisches Gedicht NACHT UND NEBEL wärmstens empfehlen. Für mich persönlich ist dieser Film ein großes Meisterwerk – geschaffen von den Besten ihres Fachs: Regisseur Alain Resnais, Kameramann Sacha Vierny, den Schriftstellern Jean Cayrol (französischer Originaltext) und Paul Celan (deutsche literarische Übersetzung) und dem Komponist Hanns Eisler. “Nacht und Nebel” ist Teil des Filmkanons der Bundeszentrale für politische Bildung und kann dort für 7 Euro bestellt werden – inklusive Booklet mit einem Text von Volker Schlöndorff und dem kompletten Filmkommentar von Cayrol / Celan.

Hier ein Ausschnitt aus dem erklärenden Text von Schlöndorff:

Alain Resnais fuhr mit seinem Kameramann Sacha Vierny nach Auschwitz, um eigene Bilder in Farbe herzustellen, als Kontrast zu den Wochenschaudokumenten von 1945. Sie filmten das Gras, das nun zwischen den Gleisen wuchs, den verrosteten Stacheldraht der Elektrozäune, die Risse in den Betonmauern der Gaskammern und vor allem die zu regelrechten Bergen aufgehäuften Schuhe und Brillen der Ermordeten – darunter auch die Berge der Haare, die man ihnen abgeschnitten hatte, um Filzdecken daraus zu fertigen. Diese Bilder machten möglich, was keiner Einbildungskraft vorher gelungen war: sich den Tod von Millionen Menschen vorzustellen. Die Bilder der Leichenberge hatten die Zuschauer sprach- und fassungslos gemacht, die Bilder der Berge von Brillengestellen dagegen berührten sie.

Mit den langsamen Kamerafahrten am Lagerzaun entlang hatte der Regisseur zunächst einmal einen Zugang zum Holocaust geschaffen. Die eigentlichen Dokumente des Grauens wirkten in diesem Rahmen umso stärker. Vor allem genügten kurze Blicke darauf, denn es ist nur natürlich, dass man sich abwenden will von solchen Bildern. Niemand will einem Toten in die Augen schauen noch einen Sterbenden in Großaufnahme sehen. Es ist Anstand, was uns wegschauen lässt.

Ebenso behutsam behandelt der Kommentar des Schriftstellers und ehemaligen Lagerinsassen Jean Cayrol den Zuschauer, der emotional nicht in der Lage wäre, nun auch noch viele Informationen, Zahlen oder gar Anklagen zu verkraften. Der Text spricht zu uns in einer reflektierenden Form, mit vernünftigen Überlegungen, mit Fragen zur Natur des Menschen überhaupt. Er erklärt nichts und bezieht sich nur selten auf das Gezeigte, meist führt er ein Eigenleben, und man könnte auch einfach mit geschlossenen Augen zuhören. Die Ohren kann man ja im Kino nicht zumachen. Es ist eine Totenklage, ein Totenklagelied. Es hilft uns, einen gewissen Abstand zu dem Gesehenen herzustellen, macht Nachdenken erst möglich.

Ebenso wirkt die Filmmusik. Der große Komponist Hanns Eisler, der viel mit Bertolt Brecht gearbeitet hat, hätte das Grauen melodramatisch verstärken können, aber er weiß, dass dies kein Horrorfilm ist, genauer gesagt: dass die Mittel des Horrorfilms hier nicht erlaubt sind. Im Gegenteil: Seine Komposition wird umso “leichter”, je grausamer das Gezeigte ist, wie um uns etwas Hoffnung zu lassen. So schafft die Musik und manchmal die Stille die Zeit, die wir emotional brauchen, um das Gesehene in uns nachwirken zu lassen und die Dokumente irgendwie einzuordnen, wenn sie schon nicht zu “verkraften” sind.

Durch den Abstand zu den Bildern, den der Regisseur mit den Farbaufnahmen der Lagerruinen, mit dem literarischen Kommentar und dem spröden Einsatz der Musik herstellt, erlaubt er uns erst einen Zugang zu dem Geschehen, unterstreicht das Einmalige und Ungeheuerliche dabei umso mehr, als er keine filmischen Effekte benutzt. Und vor allem gibt er den Toten ihre Würde zurück. Sie sind in den Lagern wie Menschenmaterial, eigentlich nur wie Material betrachtet worden, nun sollen sie im Tod nicht auch noch zu “Bildmaterial” verkommen. Es ist eben nicht selbstverständlich, Tote überhaupt zu filmen, zu fotografieren und diese Bilder auszustellen – das weiß jeder, wenn es um Vater, Mutter, Bruder, Schwester oder einen anderen verstorbenen geliebten Menschen geht. Und ebensolche Menschen sind auf den Dokumenten abgebildet.

Die Wirkung von “Nacht und Nebel” ist deshalb heute noch stärker als die all der Dokumentationen und sogar Spielfilme, die dieselben Bilder wahllos und inflationär benutzen. Als Bildschnipsel werden die schrecklichsten “Höhepunkte” dieser Aufnahmen heute meist nur noch als Signale wahrgenommen, als eine Art Zeichensprache für den Holocaust.

 

© Bundeszentrale für politische Bildung / Volker Schlöndorff

 

Abschließend die Sätze am Ende diesen großen Werkes:

Während ich zu euch spreche, dringt das Wasser in die Totenkammern; es ist das Wasser der Sümpfe und Ruinen, es ist kalt und trübe – wie unser schlechtes Gedächtnis.

Der Krieg schlummert nur.  Auf den Appellplätzen und rings um die Blocks hat sich wieder das Gras angesiedelt.

Das Krematorium ist außer Gebrauch, die Nazimethoden sind aus der Mode.

Und es gibt uns, die wir beim Anblick dieser Trümmer aufrichtig glauben, der Rassenwahn sei für immer darunter begraben, uns, die wir dieses Bild entschwinden sehen und tun, als schöpften wir neue Hoffnung, als glaubten wir wirklich, daß all das nur einer Zeit und nur einem Lande angehört, uns, die wir vorbeisehen an den Dingen neben uns und nicht hören, daß der Schrei nicht verstummt.

© alle Fotos: Fred Hüning

© alle Zitate (kursiv): Jean Cayrol und Paul Celan (deutsche literarische Übersetzung) aus dem Film NACHT UND NEBEL von Alain Resnais

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