vonFred Hüning 28.02.2023

FKK – Foto, Kunst & Kapriolen

Fred Hüning, Fotograf & Tagedieb, sitzt in einer einsamen Blog-Hütte im Brandenburgischen und schreibt und fotografiert für sein Blog-Buch.

Mehr über diesen Blog

Neulich habe ich nach langer Zeit mal wieder eine winterliche Reise zur Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück unternommen. Es waren drei eiskalte Tage voller Sonnenschein.

Auf dem Gelände der Gedenkstätte gibt es seit einigen Jahren den sogenannten Gedenkort “Platz des Zeltes”: Vier in den Beton eingelassene Eisenstangen mit nach innen gebogener Spitze markieren die äußeren Umrisse des Zeltes, in dem Tausende zu Tode kamen. Minimalistischer kann man einen Gedenkort kaum gestalten und das hat natürlich auch damit zu tun, dass die initiierende LAGERGEMEINSCHAFT RAVENSBRÜCK / FREUNDESKREIS E.V. nicht genügend Geldmittel hat für mehr. Mir gefällt aber gerade das Wenige, das mehr ist.

Zunächst ein paar Informationen zum Zelt – zitiert aus dem Standardwerk von Bernhard Strebl “Das KZ Ravensbrück: Geschichte eines Lagerkomplexes”:

Das „Zelt” wurde im ehemaligen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück wohl Mitte August 1944 errichtet, als das Lager aufgrund der vielen eintreffenden Transporte hoffnungslos überfüllt war. In ihm wurden
zeitweise bis zu 4000 Frauen und Kinder untergebracht: deportierte Jüdinnen aus Auschwitz und dem aufständigen Warschau sowie direkt aus Ungarn deportierte Jüdinnen und Romnja.

Das vermutlich 50 Meter lange graugrüne Zelt befand sich zwischen den Blöcken 24 und 26 auf einer morastigen Senke. Im ganzen Zelt gabe es keinerlei Mobilar. Die Frauen und Kinder mussten auf dem nackten oder nur mit einer dünnen Strohschicht bedeckten Steinfußboden in der Regel ohne wärmende Decken schlafen. Es gab keinerlei sanitären Anlagen, der Boden war mit Kot bedeckt und die Exkremente quollen aus dem Zelt heraus. Es herrschten extreme Enge, Kälte und ein chronischer Mangel an
Lebensmitteln.

Das „Zelt“ entwickelte sich zum Zentrum „systematischer Verelendung“, zu einer Region des Sterbens im Lager. Bis zu 40 Frauen erlagen pro Tag dem Hunger, der Kälte und der Erschöpfung. Nach Ankunft im „Zelt“ warteten sie auf die Zuteilung zu einem anderen Block, zu einem Arbeitseinsatz in den Außenlagern oder auf den Tod. Der Kontakt zu anderen Inhaftierten war nicht gestattet.

Diejenigen, die nicht nach einer Weile in Blocks des Hauptlagers und in Außenlager verlegt wurden und den Aufenthalt im Zelt überlebt hatten, wurden ins KZ Bergen-Belsen deportiert und dort vergast.

Das Zelt bestand bis etwa Ende Februar 1945. Am 30. April 1945 wurde das KZ Ravensbrück von der Roten Armee befreit.

 

Ich habe am und um den Gedenkort fotografiert. Meinen Fotos stelle ich hier Zitate von Zeitzeuginnen gegenüber:

Endlich durften wir anhalten. Vor uns eine mit Stroh bedeckte Fläche, darüber ein gewaltiges Zeltdach ohne Seitenwände. Betsie und ich fanden einen Platz an der Zeltseite und setzten uns dankbar. Doch sofort sprangen wir wieder hoch: Flöhe! Das Stroh lebte förmlich. […] Gegen Abend entstand Bewegung an der einen Zeltseite. SS-Leute liefen quer durch und trieben Frauen aus dem Zelt hinaus. Wir schnappten unsere Decken, als sie in unsere Nähe kamen. Ungefähr 100 Meter von unserem Platz entfernt hörte die Jagd auf. Wir standen, da wir nicht wußten, was wir tun sollten, ziellos herum und warteten. […] Langsam begriffen Betsie und ich, daß wir die Nacht an der Stelle verbringen müßten, auf der wir gerade standen. Wir legten meine Decke auf den Boden, uns nebeneinander darauf, und deckten uns mit Betsies Decke zu. […] Mitten in der Nacht weckte uns ein Donnerschlag, gefolgt von einem Schauer. Die Decken waren bald durchweicht, und unter uns bildeten sich Pfützen. Gegen Morgen war das ganze Gelände eine ausgedehnte Matschfläche. Hände, Kleider und Gesichter waren schwarz vom Modder. 

Zitat von Corrie ten Boom

Jetzt erst sahen wir das Zelt in seinen ganzen Ausmaßen. Es war in zwei Teile geteilt, in einem waren wir, etwa 800 Jüdinnen und 200 Romnja, im anderen genauso viele Unglückliche aus Frankfurt und Auschwitz. Sie glichen schon keinen menschlichen Gestalten mehr, sie waren nur noch in Lumpen gehüllte barfüßige Phantome, die umfielen wie Fliegen. Wenn sie krank waren, kümmerte sich niemand um sie, und wenn sie starben, wurden sie von ihren Gefährtinnen hinausgetragen.“

Zitat von Katò Gyulai

Am Abend, wenn wir zu zweit in einer Koje lagen, konnten wir die Schreie hören, die die ganze Nacht über aus dem Zelt drangen. Wir empfanden eine unbenennbare Scham bei dem Gedanken, daß wir nichts unternehmen konnten, um den armen Teufeln zu helfen, die in unserer unmittelbaren Nähe in einer Not und einem Unglück lebten, wenn man das noch so nennen kann, im Vergleich zu dem unser Block, unsere Betten und Decken äußerster Luxus waren.

Zitat von Denise Dufournier

Die ersten am Boden kauernd, frierend, aneinandergepresst, nackte Füße, zerissene, fleckige Seidenkleider, dahinterstehend die anderen, immer mehr nach vorn drängend, mit Bechern, Flaschen, Schüsseln, Näpfen in den Händen, eine unzählbare Masse, jetzt unheimlich ruhig. Sie warten auf das Essen! 

Zitat von Ilse Hunger

Im Februar 1945 bezieht ein Kordon SS-Leute mit der Maschinenpistole in der Faust rund um das Zelt Stellung, Tag und Nacht und unter starker Scheinwerferbeleuchtung. Eine Französin berichtet, wie die SS-Leute in einer Februarnacht plötzlich in das Zelt eindrangen und die Romnja [1] herausholten – zuerst die Kinder, die ihren schreienden Müttern entrissen wurden, dann die Erwachsenen. Wie viele es genau waren, ist nicht bekannt, […]. Ende Februar oder Anfang März wird innerhalb von zwei Tagen das Zelt abgebaut und der angefallene Berg Unrat fortgeschafft. Der Platz sieht so sauber und ordentlich aus, als ob hier nie etwas gewesen wäre. Das von den Alliierten am 23. März 1945 aufgenommene Luftbild zeigt deutlich diesen leeren, unbebauten Raum zwischen den Blocks 24 und 26. keinerlei Spuren sind von dieser Untat zurückgeblieben, keine Liste, kein ausgeschriebener Befehl. Einzig Kommandant Suhren bekundete bei seinem Prozeß einen gewissen Stolz darauf, daß es ihm gelungen war, zu seiner Zeit, wo es nirgendwo mehr irgend etwas gab, zwei Zelte aufgetrieben zu haben.

Zitat von Anise Postel-Vinay

© alle Fotos: Fred Hüning

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/fkk/winterliche-reise-nach-ravensbrueck/

aktuell auf taz.de

kommentare