Die Neue Nationalgalerie zeigt seit dem 18.11.2023 und noch bis zum 28.09.2025(!) die Ausstellung „Zerreißprobe. Kunst zwischen Politik und Gesellschaft. Sammlung der Nationalgalerie 1945 – 2000“ und so ist in diesem Rahmen auch endlich mal wieder das wohl umstrittenste Kunstwerk aus dem Besitz zu sehen: Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue IV von Barnett Newman!
Das Bild
2020/2021 habe ich an meiner Stillleben-Farbfeldforschung KEINE ANGST VOR ROT, GELB UND BLAU gearbeitet (und in diesem Blog darüber berichtet). Bei dem Titel habe ich mich natürlich explizit auf den Gemäldezyklus „Who‘s Afraid of Red, Yellow and Blue I-IV“ von Barnett Newman bezogen – ohne das Werk bzw. die vier Bilder jemals in Echt gesehen zu haben. Mir war vielmehr der deutsche Film „Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?“ geläufig – 1990/1991 in Berlin gedreht, was den schönen, aber eher mittelmäßigen Film (voller Künstlerklischees und nackter Haut) zu einem interessanten Zeitdokument macht.
Und natürlich der große Kunstskandal, den dieser Film nachstellt und der diesem seinen Titel gab:
Am 13. April 1982 schlich sich der Student Josef Nikolaus Kleer als Handwerker „verkleidet“ während der Aufbauarbeiten in die Neue Nationalgalerie und beschädigte mit einer der Absperrstangen vor Ort das Bild in allen drei Farbfeldern. Vor Gericht erklärte er später: „Ich habe es zerstört, weil ich schreckliche Angst vor dem Bild hatte“.
Der eigentliche Skandal begann aber schon ein paar Monate früher mit dem Ankauf des Gemäldes durch die Nationalgalerie mit Unterstützung des Freundeskreises für 1,2 Millionen Dollar (damals rund 2,7 Millionen Mark). Angeführt und angestachelt durch die BILD-Zeitung erfolgte ein Sturm der Entrüstung in der Berliner Öffentlichkeit. So viel Geld für ein abstraktes Gemälde auszugeben, dass – so die BILD – jeder Anstreicherlehrling genauso hätte hinbekommen können – stieß auf komplettes Unverständnis. Der damalige Direktor Dieter Honisch erhielt sogar Morddrohungen.
Der Student Kleer kam finanziell kaum über die Runden und fand es eine große Ungerechtigkeit, dass er so wenig Geld vom Staat bekam, die Stadt Berlin aber so ein teures Gemälde kaufen konnte. Er setzte sich intensiv mit den Presseveröffentlichungen zu dem Bild auseinander und wollte für sich ergründen, was es mit Rot, Gelb und Blau auf sich hatte. Deshalb dachte er sich zu jeder Farbe eine kleine Installation aus, die er dann zu seinem Attentat mitbrachte und passend zu den Farbfeldern platzierte. Er sah sich selbst in dieser Aktion als Künstler. Für seine „Installation“ zur Farbe Blau (er legte eine Ausgabe des „DER SPIEGEL“, den er für eine Art „Lügenpresse“ hielt, vor die blaue Farbfläche. Der Spiegel stand für ihn für Spiegelung und Spiegelung setzte er mit Wasser gleich, daher also der Bezug zur Farbe Blau, puh!?) hatte er sogar einen handschriftlichen Zettel vorbereitet mit dem er ein Honorar für sein „Werk“ einforderte von demjenigen, der dessen künstlerischen Wert erkennen würde und daher eine Entlohnung Kleers für angebracht hielte.
Die Restaurierung dauerte zwei Jahre. Die planen Farbflächen der monochromen Felder erschwerten die Rettung des Werkes und noch heute sind Spuren der Dellen in den Feldern zu erkennen.
Der Selbstversuch
Wie auch immer: Endlich wollte ich das berühmt-berüchtigte Bild live und in Farbe sehen – gleich am ersten Ausstellungstag.
Und: da hing es nun, 6,04 Meter breit und 2,70 Meter hoch, nur 23 Zentimeter über den Sockelleisten und in einem relativ schmalen Gang, damit der Besucher (also ich) direkt in die Farben eintauchen kann und am besten – so wünschte sich das Barnett Newman – nichts mehr von dem übrigen Raum sieht außer dem Bild. Wegen der natürlich jetzt strengeren Sicherheitsbedenken ist ein Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten. Das machte es für mich etwas schwierig, ganz in das Bild einzutauchen. Die Ausstellung war zu diesem Zeitpunkt gut besucht. Das Bild schien aber kaum jemanden zu interessieren. So konnte ich gefühlt drei Minuten ungestört davor stehen, so nah wie erlaubt und genau auf Höhe der blauen Fläche (die der Schulterbreite eines Erwachsenen entspricht).
Ist in diesen drei Minuten etwas passiert mit mir, mit dem Bild, hatte ich eine quasireligiöse Erfahrung oder den unbändigen Wunsch, dem Gemälde weh zu tun??? Das Erhabene als Erfahrung, als Gegenwart gespürt („The sublime is now“, Newmans Leitspruch)??
Leider: nein! Schade auch!
Woran lag es? Dass ich die anderen Leute und auch den ganzen Raum einfach nicht ausblenden kann, mich nicht fallen lassen, nicht loslassen in der Öffentlichkeit. Oder weil ich als Mensch des 21. Jahrhunderts schon alles gesehen habe, auch in der Kunst, und so gar nicht mehr in der Lage bin, so zu empfinden, wie das Kunstpublikum zur Zeit ihrer Entstehung die vier Bilder empfunden hat, als absolut neu, absolut ungesehen.
Fazit: Auch wenn die ersehnte Wirkung ausblieb (Lieber Herr BIESENBACH, ich wäre zu Studienzwecken gerne mal über Nacht alleine mit dem Bild … no touch, only look!) – kalt lässt es mich nicht.