vonSabine Schiffner 10.06.2025

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Vom Flughafen auf der Insel Penang kommend fährt man in Penangs Hauptstadt „George Town“, benannt nach dem englischen König George II., die von den Einheimischen allerdings Penang genannt wird, erst einmal endlos durch hässlichste Gewerbegebiete, die voller deutscher Firmen sind. Eine der größten Industrieanlagen ist die von Bosch, minutenlang fahren wir daran vorüber und unser Taxifahrer erzählt uns, dass es die schon 50 Jahre gibt. Er ist Malaie, hier geboren, wohnt in der Nähe vom Flughafen und bringt uns in die Altstadt und zu unserem Hotel, dem Blue Mansion;

Das Blue Mansion war einst das Herrenhaus eines der mächtigsten Chinesen seiner Zeit, der Cheong Fatt Ze (1840-1916) genannt wurde. Er ist als 16jähriger Wasserträger aus kleinsten Verhältnissen von Guangdong nach Jakarta gekommen, um den politischen Unruhen in seiner Heimat zu entkommen. In Jakarta arbeitete er sich hoch, heiratete vermögend und wurde bald zu einem superreichen Handelsmann und Bankier, den man den „Rockefeller des Ostens“ nannte.

Er hatte sechs Frauen und heiratete 1910 eine siebte, Tan Tay Po, die zwanzigjährige Tochter eines Goldschmieds aus Penang, die seine bevorzugte Frau wurde und der er sein 1898 in Penang erbautes Lieblingshaus „Blue Mansion“ überschrieb. Diese Liebesgeschichte berührt mich sehr. Sie lässt mich sofort an zwei andere meiner absoluten Lieblingshäuser denken. Als erstes an das Jacquemart-André-Museum in Paris, das ein reicher Bankier für seine unstandesgemäße Frau, eine Künstlerin aus kleinen Verhältnissen, erbauen ließ.

Und dann denke ich natürlich auch an das Hidiv Kasri in Istanbul, das der letzte ägyptische Khedive Hassan II. für seine Geliebte, die ungarische Gräfin May Török von Szendrö, bauen ließ. Zur gleichen Zeit ließ er auch ein baugleiches Haus am Nil errichten.

Häuser mit Liebesgeschichten im Hintergrund sind etwas wunderbares! Aber es ist auch vorstellbar, dass es in diesem Haus hier ordentlich Stress gab mit den sechs ersten Frauen, die nicht mehr Fatt Zhes Favoritinnen waren, aber trotzdem hier wohnten. Das Blue Mansion hatte Fatt Ze, anders als andere reiche Exilchinesen seiner Zeit es taten, die sich dem westlichen Stil zuwandten, ganz im chinesischen Stil erbauen lassen und dabei insbesondere die Prinzipien von Feng Shui beim Bau berücksichtigt. Feng Shui bedeutet nämlich übersetzt Wasser und Wind. Und Wasser und Wind sind in diesem Haus besonders bedacht und gut ausbalanciert.

In Punkto Materialien war Fatt Zhe das teuerste nicht teuer genug. Die Fenster wurden von französischen Jugendstilkünstlern gestaltet, eine Wendeltreppe aus Metall ließ er von Schottland hierher verschiffen und schuf so zwar ein traditionelles riesengroßes chinesisches Herrenhaus, das aber doch auch ekklektizistische Merkmale seiner Zeit aufweist, in der ja auch im Westen die Orientsehnsucht groß war. Die Wände des Hauses ließ er mit echtem Indigo bemalen, was dem Haus Kühle gab und seinen Namen, den man bis heute kennt: The blue mansion.

Fatt Zhe starb recht überraschend im Jahr 1916. An seinem Todestag flaggten die britischen und niederländischen Gebäude in Malaysia halbmast. Er hinterließ das Haus seinem jüngsten und zweitjüngsten Sohn, die ihm Tan Tay Po geboren hatte, samt der Auflage, dass es erst nach deren Tode veräußert werden durfte. Der jüngste Sohn lebte bis 1989, allerdings in Australien, während das Haus von unzähligen chinesischen Familien be- und verwohnt wurde. 1990 kaufte es dann eine Gruppe von engagierten Bürgern aus Penang. Federführend war der Architekt Laurence Cho, der es gemeinsam mit seiner Frau ausbaute und sechs Jahre lang aufwendig renovierte, mit dem Ziel, es in seinen Ursprungszustand zu versetzen. Was dem Haus geblüht hätte, wenn das nicht geschehen wäre, kann man ringsum sehen: Hochhäuser mit schmutzigen Wänden und seelenlosen winzigen Wohnungen, von deren Balkonen Wäsche flattert, blicken auf seine einmalige Schönheit hinunter.

Denn einmalig schön ist dieses Haus, und der Geist und Wille  und Sinn für Schönheit seines Erbauers schwebt immer noch durch die altehrwürdigen Hallen und bezaubert mich seit der Hereinfahren durch das große Eingangstor und erst recht, als ich es betrete. Es ist irgendwie unglaublich, dass es etwas so Schönes hier noch gibt. Nach einer Woche Malaysia habe ich noch nichts vergleichbares gesehen, sondern nur schicke riesige Hotelneubauten, Hochhäuser und Slums mit Wellblechdächern. Kein Wunder, dass es in die Liste der Gebäude des Weltkulturerbes Penang aufgenommen wurde. Ich verliebe mich sofort in das Haus, das voller wunderbarer altchinesischer Gegenstände und Möbel ist, dessen viele Patios, Brunnen und Wasserbecken die Massen an Tropenregen auffangen und weiterleiten. Denn ein enorm ausgeklügeltes Wasserleitungssystem hat das Haus. Ausgehend vom Dach führen Leitungen durchs ganze Haus bis nach unten, wo der letzte Rest von den Becken nach draußen weitergeleitet wird. Die Mischung aus Wasserführung und Lüftung durch halboffene Fenster und die Höfe, schaffen das perfekte Innenraumklima entsprechend der architektonischen Prinzipien von Feng Shui, die entwickelt wurden, um in Räumen Glück, Harmonie und Wohlbefinden zu erschaffen, die Energie zu optimieren und eine positive Energie zu gestalten.

Wasser spielt hier, wo jeden Tag ein heftiger Tropenregen niedergehen kann, eine große Rolle, nicht zuletzt für das Becken mit Kois im chinesischen Garten neben dem Haus. Die vielen Innenhöfe, die nach oben hin offen sind, erlauben dem Regen, die Becken, in denen Palmen wachsen, immer wieder mit Wasser zu füllen. Abends tauchen rote Laternen das Innere des Hauses mit seinen großen Patios und hohen Räumen, seinen alten Seidentüchern und Teppichen und den vergilbten Fotos der ehemaligen Bewohner, in ein geheimnisvolles Licht, dazu rauscht immer das Wasser: Herrlich ist das! In unserem Zimmer, der ehemaligen Küche des Hauses, steht noch der alte Herd, der jetzt ein großer Tisch ist und auf uralte Granitblöcke muss man steigen, um in den Jacuzzi zu steigen, der 12 Stunden am Tag sprudelt. Als wir hineinsteigen, fühlen wir uns wie im Film „Der letzte Kaiser“. Und die Angestellten in diesem Hotel sind so kurios und skurril, ein jeder von ihnen so ein Original, als wären sie extra gecastet worden für dieses Hotel, das mehr einem Film aus einem China der Imperialzeit entsprungen zu sein scheint, als der Wirklichkeit. Ob es so etwas in China heute noch irgendwo gibt? Ich wage es zu bezweifeln! Später dann lese ich, dass das Blue Mansion Schauplatz mehrerer Filme war, der berühmteste davon ist „Indochina“ mit Catherine Deneuve, die ich mir hier, wo alles so sehr Schönheit atmet, sehr lebhaft vorstellen kann. Die Spatzen fliegen durch die offenen Patios, eine Perserkatze streicht um unsere Beine und ich schreibe und weiß doch, dass ich schreibend nicht fassen kann, was dieses Haus, das auch als Museum dient, in dem täglich nachmittags eine Führung stattfindet, wirklich ausmacht.

Später dann unterhalte ich mich mit einem der Angestellten, der auch ein wenig Deutsch spricht und der mir erzählt, dass Penang und Deutschland schon über hundert Jahre eng verbunden sind, vor allem über den Handel. Das habe allerdings nicht erst mit Nachkriegsfirmen wie Bosch begonnen. Es gäbe sogar eine alte deutsch-malaiische Gesellschaft hier in Penang. Diese Gesellschaft bietet sogar einen eigenen Stadtrundgang an, bei dem man die Zeugnisse von Deutschen, die für Penang prägend waren, entdecken kann. Damit sind Häuser und alte Handelsfirmen gemeint, aber auch Autoren wie Hermann Hesse und: Karl May!! Ich staune, als ich davon erfahre. Das ist ganz wunderbar und ich werde mich morgen gleich als erstes auf die Suche nach Spuren von ihnen machen!

 

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