vonSabine Schiffner 11.06.2025

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Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

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Wir gehen am Morgen los und halten schon nach wenigen hundert Metern an einem seltsamen dreidimensionalen Bild an. Ein Auto ragt aus einer Mauer, darüber sind Fotos von Priestern.

Neben diesem Bild befindet sich eine weiß gestrichene Kirche. Sie  wirkt wie neu, ist aber schon 150 Jahre alt, erzählt uns ein chinesisch aussehender älterer Mann auf englisch vor der Tür. Er führt uns hinein.  Als er hört, dass wir Deutsche sind, erfahren wir, dass seine Mutter auch Deutsche sei, sein Vater hingegen Chinese. Aber aufgewachsen ist er hier in Penang. Er spricht fünf Sprachen, Malaiisch, Chinesisch, Hindu, eine lokale Sprache und Englisch, aber kein Deutsch und sagt uns, dass hier in Penang jeder Mensch mindestens drei Sprachen sprechen müsse, um zurecht zu kommen. Als wir wieder gehen, stellt er sich noch mit Namen vor. James Jefferson Chatley. Am selben Nachmittag findet ein Gottesdienst zu seinen Ehren statt, er ist als Vorstand neu in der Gemeinde. Kommt doch auch vorbei, fordert er uns auf und will uns dann auch noch das nebenan gelegene Diözesanmuseum zeigen. Aber wir wollen weiter und die Stadt sehen und nicht Bilder von katholischen Priestern betrachten, was wir ihm natürlich nicht sagen. Wir verabschieden uns höflich und als wir gehen und uns umdrehen, spricht er schon die nächsten Leute an und führt sie in seine Kirche hinein. Er wäre als Missionar prima geeignet.

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Es fängt an, ein wenig zu tröpfeln, was uns aber nicht stört, die Luft ist so warm, dass die Kleider sofort wieder trocknen. Wir überqueren eine große Straße, was nicht einfach ist, hier in Malaysia hält nämlich wegen Fußgängern niemand an und Ampeln sind kaum zu finden. Wir gehen, als wir endlich drüben sind, weiter in Richtung des Meeres. Penang hat den größten Hafen von Malaysia, entsprechend schmutzig ist das Meer hier und heute auch wildbewegt. Am Hauptplatz mit dem Cornwall-Fort der Engländer und dem Queen Victoria gewidmeten Uhrenturm schwappen die Wellen immer wieder über den Kai. Ein paar junge Leute fotografieren sich, während das Wasser hinter ihnen hochspritzt. Wir schauen hinüber ans Ufer der Hauptinsel Malaysia

Ein kurzer Fußweg führt uns dann von dort ins chinesische Viertel. Das hat Karl May während seines Aufenthaltes Anfang November 1894 bestimmt auch besucht und es half ihm vielleicht beim Verfassen seines Buches „Und Friede auf Erden“, in dem Penang eine recht große Rolle spielt. Der Autor hatte den Auftrag zu diesem Buch von einem Verleger bekommen, der einen Band mit Texten herausgeben wollte, die die damalige Hetze Deutschlands gegen China unterstützen sollten. Deutschland wollte seine Kolonialbestrebungen ausbauen und versuchte, Gebiete auf chinesischem Grund als Kolonialbesitz zu bekommen. Mit Tsingtao war es ihm schon gelungen, einen Teil Chinas zu kolonialisieren. May, der damit nicht einverstanden war, reichte extra einen Text ein, der sich entschieden gegen einen Feldzug gegen China aussprach. Denn May war schon damals überzeugter Pazifist und trat für Völkerverständigung und Frieden zwischen den Religionen ein.

Die Perle des Orients wurde Penang früher von Reisenden genant. Als wir durch Penang gehen und sehen, was dort für eine Mischung aus Kulturen und Menschen verschiedenster Religionen und Länder friedlich nebeneinander leben, verstehe ich, warum es May nach seinem Besuch in Penang besonders wichtig war, darauf hinzuweisen, wie wichtig der Friede (n) zwischen den Menschen ist. Tempel der chinesischen Buddhisten stehen neben farbenfrohen Hindutempeln. An einem großen Platz ist die prächtige Kapitan Keling Moschee, als wir dort ankommen, ruft der Imam zum Gebet.

Ein Stück weiter gibt es eine protestantische Kirche; alle Gotteshäuser stehen auf engem Raum, quasi Tür an Tür. Mittags essen wir in einem chinesisch-muslimischen Restaurant. Sehr viele Chinesen hier sind Muslime. Die buddhistisch-chinesischen Tempel, von denen es im Stadtzentrum einige gibt, finde ich besonders beeindruckend. Man geht hinein und ist von der feierlichen ehrwürdigen Atmosphäre sehr bezaubert.

Uralte Bonsaibäume stehen in großen Töpfen im Eingang und die dunklen Räume sind voller liebevoll geschmückter Altäre mit Opfergaben. In einem Nebenraum schwimmen Kois in einem großen Becken. Auch an vielen Häusern im Zentrum haben wir auf dem Weg kleine Altäre gesehen, mit Kerzen und Opfergaben versehen. Touristen sind in Penang nur wenig unterwegs, aber einige der einheimischen Menschen, mit denen wir sehr leicht ins Gespräch kommen, erzählen uns, als sie erfahren, dass wir Deutsche sind, dass es hier in Penang nicht nur um die Jahrhundertwende eine aktive deutsche Gemeinde gab, sondern dass immer noch einige Deutsche hier leben, die auch in der „Deutsch-malaiischen Gesellschaft“ aktiv sind. 1914 wurden die in Penang lebenden Deutschen Kaufleute und ihre Familien arrestiert, nachdem das deutsche Kriegsschiff „Emden`“, das bis nach Malaysia vorgedrungen war, den Hafen und die Stadt, die zu dieser Zeit britische Kronkolonie war, beschossen hatte.  Die „Emden“ war mit deutschen Truppen in Tsingtao/China stationiert und sollte sich nach Ausbruch des 1. WK, als die Engländer und die verbündeten Japaner China von den Deutschen befreiten, eigentlich auf den Weg nach Hause machen. Im 2. WK gab es dann sogar einen wichtigen U-Bootstützpunkt der Deutschen in Penang, von wo aus sie die Boote ins südostasiatische Meer schickten, aber auch „kriegswichtige“ Güter wie ‚Zinn und Opium nach Deutschland transportieren. Es gab damals wohl sogar Überlegungen, die U-Boote vor allem als Transportboote für Waren nach Deutschland zu verwenden.

Karl May, der schon lange bevor er hierher kam, eine besonders große Wertschätzung für die Kultur Chinas hatte, fuhr mit einem Dampfer von Colombo aus los Richtung Malaysia. „Mit der Vindobona vom Triester Lloyd  ab von Colombo.“  stand im Tagebuch. Vom 29. Oktober bis 1. November war er an Bord dieses Schiffes. „Der österreichische Dampfer kam ohne Verspätung; er hatte wenig Fracht und wenig Passagiere und sich also nicht durch aufhaltende Hafenarbeiten verspäten können … Mir war es sehr lieb, daß es so viel Platz gab, denn ich gehe gern ungestört spazieren, auch auf – – der See …“

Am 2. November legte er mit seiner kleinen Reisegesellschaft in Penang an. „An Penang. East and Oriental Hotel.“ Das Eastern Oriental Hotel, in dem er sich einquartierte, war ein von den armenischen Sarkies-Brüdern erbautes großes Hotel im britischen Kolonialstil der Zeit und ist noch heute das größte und prächtigste Luxushotel in Penang. Hier nächtigten vor hundert Jahren auch noch andere Schriftsteller wie Rudyard Kipling, William Somerset Maugham und Hermann Hesse, der es in seinem Tagebuch „Das schönste Hotel für Europäer in Südostasien“ nannte. Die Autoren der damaligen Zeit müssen Geld gehabt haben…

Vielleicht ist Karl May auch wie wir heute am Schluss unseres Spazierganges im alten multikulturellen Stadtzentrum von Penang – George Town mit der (Fahrrad-) Rikscha zurück in sein Hotel gefahren. Das war unsere Rettung, denn kaum kamen wir im Blue Mansion an, fiel ein gewaltiger tropischer Regen. Wir setzten uns in den überdachten Teil des Innenhofes, hörten dem Prasseln des Regens zu und ließen die vergangenen Stunden Revue passieren. Und ich fing an, diesen Blog zu schreiben. Ich kann es so gut verstehen, dass es die Schriftsteller schon vor hundert Jahren hierhergezogen hat. Penang ist der bisher magischste und interessanteste und inspirierendste Ort, den wir in Malaysia besucht haben.

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