vonSabine Schiffner 17.03.2024

fremdeln

Sabine Schiffner dichtet und denkt über sich und andere nach.

Mehr über diesen Blog

Heute ist mein letzter Tag in Istanbul. Ich habe mich deshalb wie noch bei jedem letzten Tag meiner vorherigen Istanbulaufenthalte mit Freundinnen zum Frühstück verabredet. Lale, die Medizinstudentin, ist eine sehr kleine und sehr schmale Frau, die zur Volksgruppe der Zaza gehört und ein wenig so aussieht, als würde sie aus Indien kommen, was sie mir gestern noch sagte. Die Zaza sind eine verfolgte Minderheit mit einer eigenen Sprache im kurdischen Gebiet der Türkei. Ich kann leider heute nicht zum Frühstück kommen. Ich fühle mich so schwindlig. Ich habe die letzten Tage gefastet, schreibt sie mir heute Morgen per WhatsApp. Diese WhatsApp hat sie um fünf Uhr morgens abgeschickt. Wahrscheinlich ist sie gerade nochmal aufgestanden, um etwas zu sich zu nehmen. Vielleicht traute sie sich nicht, uns zu sagen, dass sie fastet. Wir Türken wollen immer einen guten Eindruck machen, hatte mir Zeynep noch vor ein paar Tagen erzählt, erst recht vor Ausländern. Vorgestern hatte Lale doch noch einen Apfel gegessen, als wir mit ihr zu einem Museum gegangen sind.

abo

Zeiten wie diese brauchen Seiten wie diese. 10 Ausgaben wochentaz für 10 Euro im Probeabo. Jetzt die linke Wochenzeitung testen!

Den Apfel hatte sie an einem Stand erworben, dessen Besitzer sie sehr streng fragte, ob sie denn etwa essen wolle. Aber sie hatte hineingebissen. Ich habe es gesehen. Und nun fastet sie doch. An dem Stand mit dem Apfel lagen die Pläne für Ramadan aus. Auf ihnen stand die genaue Zeit für Sonnenauf- und untergang, an die sich die Fastenden hier halten. Von dem Moment an, wo die Sonne aufgeht, dürfen sie weder mehr etwas essen noch etwas trinken. So hält es auch  Aziz, der Sohn meiner Freundin Gül, der 13jährige, der jeden Morgen um 5 Uhr aufsteht, um noch schnell etwas zu essen. In seiner Schule fasten alle Lehrer und alle Schüler, was eigentlich erstaunlich ist, denn es ist eine von den teuren Privatschulen. Seine Mutter Gül, die erst um 2 Uhr schlafen geht, weil sie als selbständige Schmuckstandbesitzerin bis 1 Uhr nachts arbeitet und dann noch warten muss, bis ihr Mann mit dem Auto vom Zentrum aus mit ihr nach Hause fährt, steht dann natürlich auf und bereitet das Essen für ihren Sohn. Da das Frühstück immer reichhaltig ist, wird sie ordentlich zu tun haben. Da sie also kaum geschlafen hat, kann sie leider auch nicht zum Abschiedsfrühstück kommen, das wir in einem Lokal am Bosporus einnehmen.

Dieses Lokal meidet Zeynep, weil dort kein Alkohol serviert wird. Sie geht nicht in Restaurants, wo Frauen mit Tuch sitzen, was immer ein Hinweis darauf ist, dass es dort alkolsüz (alkoholfrei) zugeht. Streunende Katzen gehen hier heute morgen von Tisch zu Tisch, aber an vielen Tischen werden sie vertrieben. Das ist nicht die feine Istanbuler Art, aber die Bevölkerungszusammensetzung ändert sich immer mal wieder, hat Zeynep mir erklärt und schon lange gibt es immer mehr Araber und religiöse Kurden hier, sagt auch Hülya, die uns zum Frühstück eingeladen hat, und die bringen Geld mit, aber sie haben auch andere Sitten und sind nicht wie die alteingesessenen türkischen Istanbuler, die die überall präsenten Katzen lieben und nie vertreiben würden.

Der Busfahrer, der uns am Morgen zu dem Frühstückslokal am Bosporus bringt, hat irgendwie heute ein Problem. Er regt sich furchtbar über jedes Auto auf, das ihm im Weg steht, hält dreimal an, fängt an zu hupen und schreit sich  mit den Autofahrern an. Wir sitzen erstarrt in dem für heutige Verhältnisse sehr leeren Bus und da er wie ein Berserker fährt, schlage ich vor, dass wir uns besser gegen die Fahrtrichtung hinsetzen. Das erscheint mir sicherer, für den Fall, dass er schon wieder plötzlich bremsen muss, weil ihn ein Autofahrer aufregt. Ob das Fasten schuld an seiner schlechten Laune ist? Mir fällt wieder ein, dass Lale mich, als wir vor ein paar Tagen zum Museum unterwegs waren, noch gefragt hatte, ob ich schlechte Laune hätte, als ich ihr sagte, ich habe Hunger. Das hatte mich erstaunt, jetzt meine ich es zu verstehen. Die schlechte Laune lässt sich seit Beginn vom Ramazan, wie der Ramadan in der Türkei heißt, mit Händen fassen, insbesondere am späten Nachmittag, wenn es gegen Sonnenuntergang geht, aber noch nicht so weit ist, dass das Fasten mit dem Verspeisen einer Dattel gebrochen werden kann. Eine Dattel habe ich heute gegessen, sagt meine völlig nichtreligiöse Freundin Nur, als wir uns abends mit ihr zum Pizzaessen treffen. Sie isst am liebsten Pizza mit Schweineschinken, den man in den Lokalen hier in dem Viertel Nisantasi auch allerorten bekommt. Hier wohnen und gehen die Reichen und Schönen aus, sie kaufen bei Louis Vuitton ein und essen in Lokalen, die Sterne haben oder mindestens einen Eintrag im Gault Millau. Diese Reichen und Schönen essen Schweinefleisch und trinken viel Alkohol, auch wenn das Glas Wein mindestens 15 Euro kostet. Sie haben immer noch genug. Und hier wird nicht gefastet. Aber sehr viel los ist hier in Nisantasi am Abend auch nicht. Das liegt am schlechten Wetter, sagt der aufmerksame Kellner, der hier „Garson“ und nicht „Abi“ genannt wird, als er uns die Pizza und die Burrata bringt, auf die ich viel Lust habe; nach drei Wochen türkischem Essen schmeckt mir das italienische Essen sehr gut. Die Katzen am Nebentisch werden gehätschelt und getätschelt, hier sind die Katzen groß und dick, es scheint ihnen gut zu gehen. Die Leute hier werden auch nicht seltsam angeguckt und ermahnt, wenn sie tagsüber essen.

Dass Leute wegen des Fastens oder Nichtfastens seltsam angeguckt werden, davon konnte ich mir schon am Vortag ein Bild machen. Die Frau des Professors, den wir gestern in Üsküdar besuchten und die selber eine Professur für Geschichte innehatte, tischte reichlich auf. Der Hauptgang war Kartoffelpüree mit einer Art Gulasch, was hier als eine besonders kostbare Speise gilt. Über das Fasten machten sich in diesem Haushalt wie auch in vielen anderen nichtreligiösen Haushalten, alle lustig. Immer wieder war es Thema und kam die Frage danach auf, warum die Frauen ihr Haar verdecken und ob das denn nun wirklich von Allah gewollt sei, was in den gebildeten nichtreligiösen Haushalten, in denen ich an den letzten Tagen war, niemand glauben mag. Auf dem Rückweg von dem Professorenhaushalt in Üsküdar gingen wir gestern durch die Altstadt, am Goldenen Horn gelegen, unterhalt der Süleymanyemoschee, wo gerade zum Gebet gerufen wurde. Das sieht hier ja aus wie in Bombay, sagte mein Bekannter, dem ich das Viertel direkt neben dem Altstadtmarkt zeigte. Und ich konnte ihm nicht widersprechen. Verrottete jahrhundertealte Häuser, daneben wieder schmutzige Kinder mit nackten Füßen. Blinde kaputte Fenster, Wäscheleinen über die Straße gehängt, an denen bunte Wäsche hängt, was hier das einzig Bunte ist. Als wir am selben Abend in Nisantasi die wunderbar renovierten ekklektizistischen Wohnfassaden sahen, in denen unten Luxusboutiquen sind und auf einem Pflaster gingen, das an die schönsten Straßen in Paris St. Germain erinnert, konnte er es nicht fassen, wie nah Luxus und Elend hier in Istanbul nebeneinander liegen. Und es wird immer extremer mit den Preisen, sagte Nur uns auch noch. Richtig schlimm wird es, wenn hier Ende März die Bürgermeisterwahlen vorbei sind. Dann müssen sie keine Versprechen machen, dann gehen die Preise erst richtig hoch!!

Meine Freundin Gül, deren Söhne auf Privatschulen gehen und hervorragend Englisch sprechen, kommt aus einem sehr religiösen Haushalt und hat zehn Geschwister. Weder sie noch eines ihrer Geschwister wissen, wann sie Geburtstag haben, bei Hausgeburten wurde das in Anatolien, von wo sie kommt, vor dreißig Jahren nicht notiert.  Als ich sie am Ende meines letzten Tages in Istanbul an ihrem Schmuckstand besuche, fragt sie mich, ob ich Güllac probieren wolle. Das sei eine Fastenspeise, ein osmanisches Dessert, man würde sie abends essen, wenn man wieder essen dürfe. Natürlich erst nachdem man die obligatorische Dattel gegessen habe, die es hier auch wunderbar verziert und sehr teuer als eine Art Pralinen gibt. Gerne sage ich, da nimmt sie ihr Telefon und ruft in der Konditorei Saray (Palast) an. Wenig später schon kommt ein junger Mann und bringt zwei Portionen Güllac für fünf Euro das Stück und für den Teekocher in ihrer Passage hat Gül auch noch eine Portion bestellt, die sie ihm erst noch gibt, bevor wir unsere Plastikbehältnisse öffnen. In der Fastenzeit soll man großzügig mit ärmeren Menschen sein. Güllac sind mit Milch und Rosenwasser (Rose-Gül) getunkte Yufkablätter, zwischen denen Walnüsse und Mandeln und Pistazien liegen, obendrauf mit Granatäpfelkernen und Pistazien bestreut. Das sieht aus wie sein Name, als hätte man weiße Rosenblätter ineinander gelegt, ist süß und weich und köstlich und mundet uns gut. Möchtest Du noch einen Schluck Wein, fragt sie, die unter ihrem Verkaufstresen immer eine Flasche bereit hält. Sehr gerne, sage ich. Dann hören wir unsere Lieblingsmusik, den kurdischen Sänger kerim_musicc, der so oft mit seiner Gitarre am Ufer des Bosporus sitzt und traurige kurdische Liebeslieder singt und prosten uns zu: Serefe! Prost!!

https://www.youtube.com/shorts/86IQR9ApJaI

 

 

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/fremdeln/fremdeln-in-der-fremde-7/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert