vonHans-Peter Martin 21.03.2020

Game Over

Hans-Peter Martin bloggt über die globale Titanic der Politik und Wirtschaft – und wie es doch ein „New Game“ geben kann. Krieg oder Frieden.

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21. März 2020:

Während der Nacht bin ich wieder einmal durch die Nachrichtenseiten verschiedenster Medien gesurft, die ich für weitgehend verlässlich halte – australische, chinesische (auf englisch), italienische, spanische, französische, portugiesische und natürlich englische und deutschsprachige, auch als Abonnent verschiedener internationaler Zeitschriften und Zeitungen. Außerdem war ich mit einigen Ärzten in Kontakt.

Mit dem Stand 21. März 2020, neun Uhr morgens, wage ich mich nun nach bestem Wissen an folgende Prognose:

Virus-Erkrankungsverlauf:

Österreich hat aufgrund der vergleichsweise umfassenden und vergleichsweise raschen Maßnahmen gute Chancen, den Corona-Krieg ähnlich wie Südkorea zu führen. Das bedeutet, ein Abflauen der Kurve vor dem Sommer oder währenddessen. Dennoch wird es auch in meinem Geburtsland zu sehr dramatischen Szenen rund um die medizinische Versorgung kommen, evt auch zur Triage. Sperren und massive Einschränkungen werden wohl bis in den Juni anhalten. Die gegenwärtigen Massnahmen werden über den 13. April hinaus anhalten, zumindest in modifizierter Form. Kaum vorstellbar, dass vor September wieder größere Veranstaltungen mit Publikum stattfinden werden.

Deutschland ist da schlechter dran. Bayern eher wie Österreich. Allerdings verfügt das Land über 24.000 Intensivbetten und weitere werden jetzt in Sonderschichten geschaffen.

Umrüstung in Textifabriken, Automobilwerken etc wie in Kriegszeiten. Aber das sind es ja auch. Sollte eine große Reduzierung der sozialen Kontakte schnell greifen, wird in Deutschland auch im Herbst und im kommenden Winter das Virus heftig wüten, wenngleich eindämmbar durch ausreichend Spitals(Intensiv)-betten.

In der Schweiz wird es zunächst noch sehr dramatisch, ehe die so viel gerühmten Zivilschutzmaßnahmen durch Reservisten und Militär greifen werden. Zunächst waren die Schweizer mit ihrer Beschränkung bei Veranstaltungen vorneweg, dann aber haben sie lange gezögert. Die Kantone waren sich uneins.

Italien wird Zigtausend Tote zu beklagen haben. Gestern waren es binnen 24 Stunden 627 Menschen. Immer häufiger befinden sich auch Menschen unter 50 Jahren darunter.

Spanien und Portugal: Das wird auch dort immer unkontrollierter. Ein Virus-Sommer steht bevor.

In Griechenland droht es zu Dramen zu kommen, gerade in den überfüllten Flüchtlingslagern.

Die USA wird sich zusehends militarisieren, über verschiedene Dekrete wird sich US-Präsident Donald Trump weitgehende Machtbefugnisse aneignen. Das kann ihm möglicherweise auch die Wiederwahl sichern. Vielleicht ist es auch seine einzige Chance.

Die USA werden coronakriegswichtige Firmen im Inland streng kontrollieren, zur Seuchenbekämpfung verpflichten. Im Ausland wird massiv Druck ausgeübt, wer Coronarelevantes produziert oder über Knowhow und irgendwelche US-Abhängigkeiten verfügt, wird in die Pflicht genommen. Ein Dank an Dietmar Hopp und seine CureVac in Tübingen, dass er nicht nachgab, nicht nachgeben mußte.

Im Iran wird ein Massensterben wohl nicht mehr zu verhindern sein.

Ähnliches droht den Slums rund um den Erdball, in Rio de Janeiro, in Sao Paulo, in Mexiko, etc, etc.

Außer: Es wird doch noch bis zum Herbst 2020 ein Medikament und/oder Impfstoff in großen Mengen zur Verfügung stehen. Das ist aber sehr unwahrscheinlich. Aber es lohnt sich fast jeder Aufwand. An Freiwilligen wird in den USA ja schon gegen Geld getestet, in China wohl auch schon an weniger Freiwilligen. In den USA ist auch im militärischen Bereich mit vorgezogenen, teils hochriskanten Menschentests zu rechnen. „Denk an Dein Vaterland“, das galt schon im Vietnamkrieg.

 

Kriegspräsident Trump

Donald Trump steht nach dem gestrigen Fall der Börsen auf ein Niveau vor seiner Amtszeit und den absehbaren wirtschaftlichen Konsequenzen nackt da. Er wird „um sein Leiberl kämpfen“, wie man in Wien sagt. Mit dem Rücken zur Wand, rücksichtslos, ohne Skrupel gegenüber Demokraten und der Demokratie und dem Rest der Welt. Man wird sehen, wie sehr der US-Kongress da mitzieht. Im medial wohl bald hochkommenden nationalen Rettungstaumel ist es zu befürchten. Fox-TV etc werden von der Beschwichtigung der Gefahr zur Dramatisierung wechseln.

Rückkehr zur bisherigen „Normalität“:

Sehr lange nicht. Wie soll es in diesem Frühjahr noch zu üblichen Schulabschlüssen und Semesterenden kommen? Denke, das wird ähnlich ablaufen wie während des Zweiten Wieltkrieges bei meiner Mutter etc: kriegsbedingte „Schnell“-Abschlüsse. In Italien wurde ja schon angekündigt, dass die Studenten trotz Schließungen kein Semester verlieren sollen.

Die Produktion in vielen Betrieben wird wohl nach zwei, drei Monaten wieder Schritt für Schritt hochgefahren werden (müssen) – wie gegenwärtig in China. Große gesundheitliche Risiken bleiben.

Der Sommerurlaub wird jetzt schon in vielen Betrieben durch die Betriebsruhen zwangsvorgezogen.

Resturlaub, Gleitzeit/Freischichten werden derzeit abgebaut, der Rest wird zum vorgezogenen Zwangsurlaub 2020.

In allen schon jetzt stärker betroffenen Staaten der nördlichen Hemisphere wird die Sommersaison im Tourismus sehr, sehr schwierig. Sollte es etwa in Österreich gelingen, die Seuche in den Griff zu bekommen, käme es durch ausländische Touristen und Touristinnen zum Re-Import des Virus – wie jetzt in der Volksrepublik China. Darum muss wohl die Einreisesperre bleiben (eine Art 1000-Mark-Sperre, nur umgekeht), jedenfalls eine Quarantäne. Und wer reist schon auf Urlaub, wenn er zunächst 14 Tage im Urlaubsquartier eingesperrt bleibt?

Wie viel Geld, Zeit und Lust den Österreichern in Österreich zum Urlaubmachen bleibt? Unterschiedlich. Die Rückzugsorte der Reichen werden wohl „boomen“.

Die Wintersaison ist noch völlig unklar. Vor allem Tirol wird  ein anhaltendes „Image“-Problem haben. Nach dem Lawinenunglück von Galtür 1999 dauerte es viele, viele Jahre, bis frühere Nächtigungszahlen erreicht wurden. Ischgl ist ein Nachbarort. Und auch St.Anton wird vermutlich auf die gesamte Arlbergregion abfärben.

Ein „Wie früher“ wird es wohl frühestens in zwei Jahren geben, aber nicht ohne viele gesellschaftliche, ökonomische und politische Veränderungen.

Ökonomische Konsequenzen:

Ein Börsencrash findet (fand) ja schon statt. Die Wirtschaft wird wohl allein in Österreich und in Deutschland zumindest um vier Prozent, wohl eher zweistellig schrumpfen.

Die Staaten werden sich verschulden, verschulden, verschulden. Sie werden sich auch an Großunternehmen beteiligen (müssen). In Deutschland werden solche Schritte schon von Spitzenpolitikern in Aussicht gestellt. Massenhafte Pleiten sind dennoch unabwendbar. Auch Staaten sind nicht allmächtig.

Interessant: Gabriel Zucmans Lösungsvorschlag. Kühn. Hier: http://gabriel-zucman.eu/files/coronavirus2.pdf

Hedgefonds spekulieren mit Milliardenbeträgen gegen börsenschwache Unternehmen, u.a. Deutsche Bank. Allianz und Daimler. Das wird auch wieder Staaten treffen.

Der Euro wird es ganz schwer haben.

Immobilien in B- und C-Lagen werden im Preis sinken.

In vielen ärmeren Ländern wird es wieder neuen Hunger geben, da sich – wie schon in China – die Lebensmittel massiv verteuern werden.

Überall wird gelten: Rette sich, wer kann. Das wird richtig brutal, von ganz oben nach ganz unten und umgekehrt.

Kurzzeitgewinner „Natur“:

Der CO2-Ausstoß geht vorübergehend zurück, das Wasser in Venedig ist wieder klar. In der Klimadebatte ein Argument, aber auch eine Beruhigungspille. „Friday for Future“ wird gegenwärtig so sehr in den Hintergrund wie die Klimabesorgten vor 30 Jahren. Schon 1989 machte die Klimafrage Schlagzeilen, ehe sie mit dem Fall des Eisernen Vorhangs hinter dem Vorhang verschwand.

Rückzugsorte werden aufgewertet

Mehr und mehr Menschen wird das Leben eng an eng als Problemfeld bewußt. Der ländliche Raum kann davon profitieren. Platz im Grünen wird aufgewertet. Der Rückzug in den Bergen gewinnt auch bei Stadtmenschen an Attraktivität. In Dorf Lech, in dem ich nun seit 11 Jahren meinen Hauptwohnsitz habe, ist das bereits beobachtbar.

Der „Boom“ des starken Mannes (der starken Frau?):

 Sebastian Kurz (Bild: „So einen brauchen wir“), Markus Söder (er schreitet mutig voran, wohl in dieser Situation bei Erfolg der logische CDU-CSU-Kanzlerkandidat), Emmanuel Macron (nach Verhängung der Ausgangssperre großer Popularitätsschub). Trump startet gerade durch. Wird er bald als Oberbefehlshaber auftreten?

 Politische Konsequenzen:

 Der Nationalismus erlebt eine neue Hochkonjunktur. Wir Österreicher (Das Lied „I am from Austria“ ist wieder Gassenhauer), wir Bayern (Söder: „Gott schütze unsere Heimat), und überall: Ausländer raus. Saisonarbeiter zurück nach Slowenien, Kroatien, Ungarn etc, Deutsche nach Deutschland etc.

Die Demokratie leidet. Der massive Eingriff in Grundrechte wurde im österreichischen Parlament einstimmig verabschiedet.

Die demokratiepolitisch so wichtigen Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen wurden in den österreichischen Bundesländern Steiermark und Vorarlberg vom 15. März bis auf Weiteres verschoben – ohne irgendwelche nennenswerte Bedenken.

Die Neonationalen – von der AfD über die FPÖ bis Le Pen und Salvini etc – lauern auf Fehler der Regierenden.

Schaffen die – noch – „Etablierten“ – den Sieg im Corona-Krieg, dann werden sie das nur auf Basis von seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen Zwangsmaßnahmen geschafft haben. Und es wird jene bestärken, die ohnehin immer wieder zu autoritären Lösungen greifen.

In Diktaturen rufen die Machthaber allüberall den Notstand aus. Folgerichtig: Im Corona-Krieg gilt Kriegsrecht.

Verschwörungstheorien genießen Hochkonjunktur.

Natürlich hoffe ich, so weit wie möglich unrecht zu behalten. Das wäre schön.

Positives?

Hoffentlich wächst endlich die Einsicht, dass eine de fakto ungezügelte Globalisierung auch viele Nachteile mit sich bringt. Produktion lebenswichtiger Güter in der Nähe der Konsumenten und Nutzer wird Auftrieb bekommen.

Transportkostenwahrheit, so lange gefordert, wird Auftrieb bekommen.

Eine intelligente, nicht national befrachtete Re-Regionalisierung kann auch Defizite bei der Abwanderung vom Land in die Städte etwas ausgleichen. Durch das Internet ist das überhaupt möglich.

 

Zum Thema: Hans-Peter Martin, „Game Over – Wohlstand für wenige, Demokratie für niemand, Nationalismus für alle – und dann?“, Penguin Verlag, München 2018. Weitere Informationen: www.hpmartin.net

 

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