vonHans-Peter Martin 13.06.2020

Game Over

Hans-Peter Martin bloggt über die globale Titanic der Politik und Wirtschaft – und wie es doch ein „New Game“ geben kann. Krieg oder Frieden.

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Es ist ein Kampf mit globaler Aufmerksamkeit – in der schönsten Stadt der Welt. Ein Dutzend Kreuzfahrtschiffe legten zuletzt am Canale de Guidecca an und spukten jeweils etwa 2000 Passagiere aus. Sechs lächerliche Stunden blieb diesen Besuchern üblicherweise, um das von Venedig zu sehen, was sie meinten, sehen zu müssen.

In wohl keiner anderen Stadt bewahrheitete sich das Diktum des deutschen Denkers Hans-Magnus Enzensberger aus den späten 1950er (!) Jahren so sehr wie hier:

Der Tourismus zerstört, wonach er sucht.

Die Corona-Krise ist nunmehr eine historische Chance. Die Kreuzzügler gegen die Kreuzfahrtschiffe haben Rückenwind, die Expansionslobbyisten saufen ab. Und etwa 100 zivile Initiativen basteln an einer Vision des Fu-turismus. Venedig als Lernzentrum, als Stadt, in der AirBnB wieder zusammengestutzt wird. Venedig als Kulturort, als Heimstätte für zurückeroberte Handwerkskunst, als gerettetes Öko-System. Venedig als Zukunftslabor und nicht als niedergetrampelte Touristenmaschine.

Das Ende für die stadtnahe Kreuzfahrtschifffahrt ist nur ein Etappenziel.  Es geht um Exemplarisches: Kann sich eine Stadt mit so  überwältigender Geschichte von den Interessen einer überbordenden Tourismusindustrie lösen und einen neuen Weg gehen?

In den vergangenen Tagen sprach ich mit einigen Vorkämpfern, vor mehr als 30 Jahren beschäftigte mich das Thema schon in umfassenden „Spiegel“-Reports.

16 Uhr 30: Jetzt wird einmal demonstriert. Aber da Venedig halt nun einmal wirklich die schönste Stadt der Welt ist, zunächst ein Bild, von wo aus ich starte:

16 Uhr 45: Die auch schon da, aber eigentlich ohnehin fast immer. „Wasserwerfer“?

Zu den Verlogenheiten unseres Gewerbes, also des Journalismus, gehört ja, dass die Berichte über Proteste erst dann größer ausfallen, wenn es zu physischen Auseinandersetzungen mit der Obrigkeit kommt. Oder es müssen sehr, sehr viele Leute auf die Straße, respektive an den Kanal.

16 Uhr 50: Bisher ist noch wenig zu sehen, außer ein paar Menschen im Hintergrund. Die vorne haben mit ihrem Slogan wohl anderes im Sinn:

17 Uhr 05: Das passt doch dazu:

17 Uhr 10: Die erste ikonische Fahne:

:17 Uhr 15: Das Hafenamt hat auch seine Beschützer:

17 Uhr 30: Um welche Sicherheit geht es? „Die Welt steht in Flammen, und man denkt, sie zu verbrennen“:

18 Uhr 30: Gegen das große Fressen:

18 Uhr 35: So vieles wäre möglich, wenn sich nicht die allzu Gierigen so oft durchsetzen würden:

18 Uhr 40: „Venezia Rinascita“, „Venedig soll wieder geboren werden“:

!8 Uhr 45: Laßt uns ein neues Stadt-Modell erarbeiten:

18 Uhr 50: Es ist geschafft, das ganz große Banner. Und dies ist nur ein Ausschnitt:

So schön kann demonstrieren sein. Und Träume sowieso. Die Welt ist aufgewühlt. Auch hier. Wer weiß?

In Rom haben heute die zehntägigen Beratungen über die Zukunft Italiens begonnen. Die Regierung kann mit 170 Milliarden aus EU-Geldern rechnen. Wenn sich die Initiativen in Venedig durchsetzen könnten, wäre das Corona-Virus in den Geschichtsbüchern ein Wendepunkt – zum Guten.

 

 

 

 

 

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