Ob der inbrünstigen innenpolitischen Debatte um SPD, GroKo und Grüne wird leicht übersehen, dass die Wellen des Neonationalismus immer stärker an den Demokratie-Felsen Deutschland branden.
In Österreich bastelt Sebastian Kurz an seiner Wiederauferstehung. Im dem so bigott katholischen Land kann sich der gestürzte Ex-Bundeskanzler nach dem so ungeschickt argumentierten Misstrauensvotum wie ein Gekreuzigter inszenieren. Der Wahlsonntag soll für seine „neue“ Volkspartei zu einem Osterfest werden. Auf der Schlachtplatte liegt vor allem die sozialdemokratische Partei SPÖ. Dabei rächt sich auch eine widersinnige Medienpolitik. Die einzigen nennenswerten Unterstützer in der Printwelt finden sich im „Standard“. Doch dessen Blattlinie ist wirtschaftspolitisch zumindest so neoliberal geprägt wie im „Handelsblatt“. Wie soll da ein Kurz-Wechsel gelingen?
Heimatsänger aus Kalkül
„Einen richtigen Rockstar“ nennt der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, den österreichischen Kanzler. Bei dieser Charakterisierung ist eine sehr ungewöhnliche Sichtweise auf musikalische Bühnenhelden Vater des Gedankens. Denn Kurz ist aalglatt und von einer, je nachdem, beruhigenden oder verstörenden Beliebigkeit. Grenell irrt. Kurz ist kein Rockstar, sondern ein Popstar mit gefälligem Sound und antiseptisch, ein Heimatsänger aus Kalkül, der unverhohlen eine Führerpartei anstrebt, Jünger umgeben ihn schon. Ein solides inhaltliches Grundsatzkorsett festigt ihn nicht, Kurz ist Gegenwart plus, er richtet sich nach dem Zeitgeist, mit einem professionellen Drang zur Optimierung. Vielleicht macht ihn das gerade jetzt so unheimlich.
Wahrnehmbar ist jedenfalls eine machiavellistische Eiseskälte. Wofür brennt Kurz, wofür schlägt sein Herz? Bei einer Veranstaltung im Wiener Volkstheater wurde er gefragt, was er denke, wenn er Bilder sehe, die zeigten, wie in den USA an der mexikanischen Grenze Einwandererkinder von ihren Eltern getrennt würden. »Ich habe nicht nachvollziehen können, welchen Sinn das machen sollte«, so Kurz. „Zeit“-Chef Giovanni di Lorenzo meinte, diese Antwort sei kühl, denn ihm selbst „dreht es den Magen um“. Erst später ruderte Kurz zurück. Die Aufnahmen seien „natürlich grauslich“. Grauslich.
Rosenkranz als Provokation
Als Messias gibt sich auch Matteo Salvini. Der Rosenkranz in seinen Händen verfehlt seine Wirkung nicht, der klerikale Protest dagegen ist einkalkuliert und verschafft der Provokation zusätzliche Aufmerksamkeit. Wie bitter, dass Reaktionäre das Spiel mit den Medien nun besser beherrschen als Greenpeace oder gar linke Parteien. Spätestens im Herbst, wenn der Großteil der Touristen das Land verlässt und die Finanzspekulanten wieder an den globalen Handelsplätzen aktiv werden, wird die Debatte um italienische Schulden und den Euro wieder einen Schuldigen kennen: die deutsche Austeritätspolitik, die deutsche Übermacht, das deutsche Diktat.
„Christliche Demokratie“ für Neptokraten
Der Meister der Dolchstoßlegenden, Viktor Orbán, besteht nunmehr darauf, seine „illiberale Demokratie“ innerhalb der Europäischen Union etablieren zu können, die er nun als „christliche Demokratie“ definiert. So kündigt Orbán einen neuen Kreuzzug an: „Wir“ gegen „die“. Wir Christen gegen die anderen. Und damit sind längst nicht mehr nur Migranten gemeint. Systematisch arbeitet er auch an der Preisgabe der letzten Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Er strebt einen eigenen Gerichtshof für alle Verfahren an, welche die Regierung oder den Staat betreffen. So können sich Orbáns Neptokraten, die Nepotisten und EU-Kleptokraten, strafrechtlich immunisieren.
Und, und, und
Und Polen? Und Platz eins für die doch schon totgesagte Marine Le Pen in Frankreich? Und der Erfolg der Schwedendemokraten? Gerade in deutschsprachigen Medien wurden die Ergebnisse der Wahlen zum Europäischen Parlament oft schöngeredet. Die derzeitige Nabelschau in Deutschland verstellt den Blick. Inzwischen ist es gar nicht mehr so verwegen, dass Europas Mittelmacht die Rolle Schwedens in den 1930er Jahren einnehmen wird – als Refugium für Demokraten.
Und auch Deutschland wird sich bei den anstehenden Wahlen im Herbst weiter spalten. Im Westen und in den Städten jubeln die Grünen samt vielen „Fridays for Future“, in Brandenburg und Sachsen und, und, und die AfD. All dies geschieht noch ohne die absehbare nächste Wirtschaftskrise. Für solche Konstellationen gibt es dann weitere historische Orientierungspunkte – etwa den Front populaire, die Volksfront in Frankreich ab 1936.