von 04.05.2010

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Kurze Massenpanik in Amsterdam

Vor einer Stunde fanden auf dem Damplatz vor dem Königlichen Palais in Amsterdam die jährlichen Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Wie jedes Jahr am 4. Mai lief die Zeremonie zur offiziellen Dodenherdenking (die Gedenkfeier für alle Todesopfer) ab 19 Uhr gemäß einem strengen Protokoll ab – die Königliche Familie und diverse Regierungsvertreter hörten in der Nieuwe Kerk am Dam die Andacht, während sich der Platz draußen mit zehntausenden Niederländern füllte, um die Kranzniederlegung zu sehen und schließlich gemeinsam mit dem Staatsoberhaupt um kurz vor 20 Uhr in die traditionellen zwei Schweigeminuten zu gehen. Wie immer herrschte totale Stille auf dem Damplatz, bis kurz vor Ablauf der Schweigeminuten plötzlich Bewegung in die Masse kam: einige hundert Menschen fingen an zu rennen, zu schreien, Absperrungen wurden in aller Eile beiseite geräumt, um den Flüchtenden Platz zu machen, die Königin nebst Gefolge wurde vom Sicherheitsdienst vom Platz gelotst, die Leute waren schlicht in Panik.

Was war passiert?  – In der Menge war jemand ohnmächtig geworden, es fielen ein paar Absperrungen zu Boden, der Knall erschreckte die Umstehenden und in einer Kettenreaktion brach Panik aus, berichtete der niederländische Rundfunk live. Außer 30 leicht Verwundeten gab es aber keine Verletzten – es war vor allem der Schreck, der den Teilnehmern ins Gesicht geschrieben stand. Auch wenn die große Masse auf dem Platz die Ruhe bewahrte, und die Zeremonie unter erleichtertem Beifall für Organisatoren und Königin nach einigen Minuten wieder aufgenommen wurde  – der niederländische Rundfunk, der auf allen Kanälen live berichtete, sprach von „Angst, die offenbar noch immer herrscht“. Damit meinte der Kommentator den Koniginnedag am 30. April, der dieses Jahr unter starken Sicherheitsvorkehrungen wieder normal verlief, nachdem ein Jahr zuvor ein Kamikazefahrer mit seinem Auto versucht hatte, ein Attentat auf die Königin zu verüben und noch am Tatort verstarb. UPDATE: Gerade meldet der niederländische Rundfunk NOS, dass der Auslöser der Panik ein Mann gewesen sei, der ohne ersichtlichen Grund angefangen habe, zu schreien. Auch soll laut Noch-Ministerpräsident Balkenende in der Nähe ein Koffer gestanden haben. Der Verdächtige ist inzwischen in Polizeigewahrsam genommen worden.

Was auch immer es war, versuchtes Attentat oder Provokation – interessant ist die Reaktion der Menge. War die kurze Panik heute wirklich ‚nur‘ die Angst vor einem neuen Attentat auf die Königin? Es scheint unterschwellig mehr zu sein als nur das: die politische Unsicherheit um die neue Regierungsbildung, bei der man nicht umhin kommen wird, auch mit dem Rechtspopulisten Geert Wilders zu verhandeln; die zugespitzte Lage zwischen den Bevölkerungsgruppen; die politischen Morde des letzten Jahrzehnts (am 6. Mai 2002 der Rechtspopulist Pim Fortuyn und am 2. November 2004 der islamkritische Filmemacher Theo van Gogh)…  Kein Wunder, dass mancher Niederländer sich fragt, was wohl als nächstes kommt. Hoffen wir, das es bei solchen Zwischenspielen wie heute bleibt, dass die meisten Niederländer den kühlen Kopf und die Nüchternheit bewahren, für die sie bekannt sind, so dass eine ‚Kultur der Angst‘ auch in Zukunft keine Chance hat in den Niederlanden.

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