vonMaja Wiegemann 03.09.2024

Giftspritze

Dieser Blog serviert gut verdauliche Texte aus Ökologie, Forschung und Technik - informativ & kritisch.

Mehr über diesen Blog

Umso wichtiger ist die verlässliche Reduzierung von Stoffeinträgen – nicht nur durch die Landwirtschaft, sondern auch durch Klärwerke, vor allem in Metropolregionen.

Was habe ich sie geliebt, als Kind, die grüne Grütze.

Einen Schlaraffenland-Fluss voll damit wünschte ich mir. Nun schwimme ich wirklich darin rum! Grüne Mikro-Pixel verschmelzen zu millimetergroßen Pünktchen und schwingen sich in ein hübsch marmoriertes Liquidum. Doch als ich abtauche, bereiten meine olfaktorischen Sensoren dem Zauber ein jähes Ende. Keine fruchtige Note steigt mir in die Nase, sondern eine nach faulen Eiern. Ich befinde mich in der Havel, ein paar Flusskilometer unterhalb von Potsdam.

Hochsommer ohne Badespaß?

Ist schon immer so, wissen die Alteingesessenen. Also wundert sich auch niemand. Schon immer – das ist wohl seit der Zeit des Alten Fritzen? Als die Soldatenmassen sich in die Havel erleichterten? Spätestens seit der Gründerzeit als das nahe Berlin aus den Nähten platzte? Inzwischen platzt jedenfalls auch Potsdam aus den Nähten. Ausnahmsweise ist an den Nährstoffeinträgen nicht die Landwirtschaft schuld.

Ginge es nach der EU-Wasserrahmenrichtlinie,

sollten die Klärwerke das Abwasser längst im Griff haben, genauer die Nährstofffracht aus menschlicher Herkunft. Die Phosphate spielen bei der Algenentwicklung das Zünglein an der Waage. Es kann im Klärprozess durch Fällung in wasserunlösliche Verbindungen überführt werden, die dann über den Schlammabzug oder durch Filtration aus dem Abwasser zu eliminieren sind. Mikroorganismen und biologische Tricks unterstützen das Ganze. Die Bioschiene ist jedoch störanfällig, die Filtration wartungsintensiv und die Fällungsmittel sind Kostentreiber. (Wegen Preissprüngen während der Corona-Pandemie kam man hier und da auf die sparsame Idee, ganz auf diese Reinigungsstufe zu verzichten.)

Dabei sind Phosphat-Grenzwerte nach der Abwasserverordnung (AbwV) seit 2000 rechtsverbindlicher Usus

für Kläranlagen ab 10000 EW (EW = angeschlossene Einwohner) und sie müssen in belasteten Gebieten auch für kleinere kommunale Anlagen die Messlatte sein – also ziemlich überall.  Während die Abwasserklärung noch mit den Basics kämpft, wird über die Novellierung der EU-Richtlinie für kommunales Abwasser verhandelt: Eine weitere (4.) Reinigungsstufe zum Abfiltrieren von Mikroschadstoffen (Kosmetik- und Arzneimittelrückstände) soll her, zunächst für Anlagen ab einer Größe von 100000 bis 200000 EW. Immerhin werden die Hersteller, deren Produkte später delikat aus dem Wasser zu fischen sind, in die finanzielle Verantwortung einbezogen. Doch vorläufig gibts akutere Probleme zu lösen…

Sauerstoffkurve an der Potsdamer Messstelle des LfU im August 2024
Sauerstoffkurve an der Potsdamer LfU-Messstelle im August 2024 mit Einbrüchen bis 3 mg/ l (darunter wäre selbst für aerobe Bakterien Schluss).

 

Wirkt das Nährstoffreduzierungskonzept von Berlin/ Brandenburg?

Das Klärwerk Potsdam-Nord, das am nächsten an meiner Bade-Stichprobe liegt, rüstete in 2021 auf – das Ganze im Rahmen eines Nährstoffreduzierungskonzepts von Berlin/ Brandenburg. Die Anlage erhielt sogar schon die 4. Reinigungsstufe. Damals, im Hochsommer, wurde berichtet, dass es in großen Schritten voran ginge: Bis 2022 sollte die Reinigungsleistung erhöht und die Kapazität von 90000 auf 120000 EW erweitert sein. Das ist eine Menge Abwasser. Selbst wenn in solch einer modernen Anlage alles reibungslos funktioniert, kommt bei einem Grenzwert von 2 mg/ Liter und einer Pro-Kopf-Abwasserproduktion von 120 Litern/ Tag immer noch ordentlich Dünger in die Havel. Dabei ist die größere Frage: Können die Anstrengungen mit der rasant wachsenden Einwohnerschaft in der Metropolregion mithalten? Potsdam explodierte in der letzten Dekade um 18 % auf 200000 Einwohner. Und die Einmündung der Spree aus der sich ebenso rasch vermehrenden 4-Millionen-Hauptstadt ist nicht fern. Tatsächlich laufen die Gewässer-Werte im Sommer mitunter aus dem Ruder; dann hilft nur Spülen. Dumm ist, dass die Sedimente ein ausgezeichnetes Langzeitgedächtnis haben.

Warum hängt es an den Phosphaten?

Weil Stickstoff-Verbindungen schon mehr als genug in der Umwelt angereichert sind – kein Hexenwerk, sondern menschengemacht. Da lässt sich kaum noch was korrigieren – weder in der Havel noch sonst wo. Doch der nun entscheidende Nährstoffparameter Phosphat wird bis dato nicht im Gewässermonitoring der Gütemessstellen des Bundes oder der Länder überwacht. Die analytische Prozedur ist aufwendig und also auch wieder teuer. Durch die gängige Messung von Trübung, Sauerstoff, pH-Wert und Leitfähigkeit kann die Mästung der Biozönose und die Wasserqualität nur grob eingeschätzt werden. Das Monitoring der Stickstoffverbindung Nitrat an der Potsdamer und an weiteren Messstellen des LfU Brandenburg ist da schon eine Besonderheit – im bundesweiten Vergleich. Von der Unterelbe in und um Hamburg gibts solche Daten beispielsweise nicht, zumindest nicht für die Öffentlichkeit. Kann man sich doch auch sparen, wenn’s aufs Phosphat ankommt? Leider nicht, der Stickstoff hat seine Tücken: Ammonium (NH4+) wird ab einer bestimmten Konzentration und in Abhängigkeit vom pH-Wert toxisch – in Form von Ammoniak (NH3). Außerdem besteht bei Sauerstoffmangel die Gefahr der Reduzierung der oxidierten Stickstoffverbindungen (z. B. der Nitrate) in diese besonders unerfreulichen Verbindungen. Sauerstoffdefizite und ungünstige pH-Anhebungen sind in stark belasteten Gewässern im Sommer keine Seltenheit. Das Monitoring von Ammonium wäre also auch nicht abwegig.

Dass große Fließgewässer, wie die Havel, in einem desolaten chemischen Zustand sind, ist ein Desaster.

Die Gewohnheit macht die Sache nicht besser. Der Faule-Eier-Odor erklärt sich durch die Reduzierung von Schwefelverbindungen – diese Reaktionen werden im Wasser in Gang gesetzt, wenn es an gelöstem Sauerstoff mangelt. Da Strömung die Durchmischung des Wasserkörpers und damit den Gewässerzustand normalerweise verbessert, ist die sensorische Belästigung im Fluss ein Indikator für dessen enorm gestörten Stoffwechsel. In den Brandenburger Gewässern und Seitenarmen abseits des Havel-Malstroms (z. B. im Glindower See) wird man über den naturnahen Zustand aufgeklärt. Und sollte dabei eine Wasserpflanze den Bauch kitzeln, wäre das unangewidert zu genießen. Die größeren Exemplare produzieren durch Photosynthese den dringend benötigten Sauerstoff in der Tiefe. – Damit einem beim Köpper nicht die Sinne vergehen.

 

Öffentlichkeitsarbeit des Antifouling-Alternative e. V.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/giftspritze/gruene-gruetze-augen-zu-und-durch/

aktuell auf taz.de

kommentare