vonMaja Wiegemann 20.06.2024

Giftspritze

Dieser Blog serviert gut verdauliche Texte aus Ökologie, Forschung und Technik - informativ & kritisch.

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Vor drei Monaten

gab ich mich der Schwerelosigkeit meiner entsafteten Gehirnzellen hin. Denn ich hatte es geschafft, einen EU-Fördermittelantrag einzureichen. Ich will mir ja nicht auf die Schulter klopfen, aber in Zeiten knapper Haushaltsmittel (gemeint ist der Bundesetat), der Bremse mit Kürzungen in fast allen Bereichen (und die nationalen Spitzenforschungsschwerpunkte sollen sich doch bitteschön um die EU-Töpfe bemühen) ist das schon eine Leistung. Ich forsche nämlich weder schwer noch spitz, sondern ökologisch. Ist das in den EU-Förderleitlinien nicht ein Querschnittsziel? Ja, ja! Die Forschung sollte schon nachhaltig sein, möglichst ökologisch. Und wenn nicht, dann wird eben das Dach des Labors begrünt. Wie dem auch sei, die Antragshürden waren genommen – nach einem halben Jahr Sprint, sollte sich nun ein halbes Jahr Lebensgenuss anschließen – MINDESTENS! – bis ich mitgeteilt bekomme, ob ich denn nun arbeiten darf und dafür auch Geld bekomme.

Und während ich so genieße, fällt mein Blick auf die ignorierte Post der vergangenen Tage. Vorsichtig beginnen, rate ich mir. Da ist was Buntes dabei, sieht ungefährlich aus. Es ist ein Heftchen der Kirchengemeinde. Sonst kommt es in Schwarz-Weiß. Das Bunte sei wegen der Wahl – der des Vorstands. Ich bin nicht in der Kirche; das Heft flattert hier in alle Briefkästen. Die Leute sind entweder in der Kirche oder im Schützenverein oder in beiden. Ich bin auch nicht im Schützenverein. Vermutlich gelte ich als asozial. Dennoch schaue ich mir das mitunter liebevoll gestaltete Kirchen-Heftchen an. Und siehe da, enthält die Ausgabe sogar einen Artikel, der die Wissenschaft tangiert – es geht ums Altern oder ums Wiederjungwerden. Letzteres eben mit Hilfe dieser Wissenschaft. Der Autor – selbst im finalen Lebensabschnitt – empört:  „Superbiologen spielen sich zu Propheten auf und wollen uns vollmundig ein Luxusleben verkaufen. Ihre Forschungsergebnisse mögen präzise durchgerechnet sein, ihre Versprechen sind jedoch unseriös.“ Was denn nun – präzise oder unseriös? Auch wenn das Pharmabusiness nicht meine Branche ist – ich bin gekränkt. Als vermutlich einzige Vertreterin des Biologen-Berufsstands im Umkreis von 50 Kilometern fühlen sich meine Zehen unangenehm belastet; die Schwerelosigkeit ist dahin.

Ich reagiere mich beim Holzhäckseln ab – ein Vorteil des Landlebens. So bekommen die Hirnzellen wieder Sauerstoff und können sich ganz ohne pharmazeutische Wundermittel berappeln … Ist Longevity ein streitbarer Wunsch? Der ist doch furchtbar alt! Ich weiß sogar, dass die Leute im Alten Testament wesentlich länger lebten als wir heutzutage. Die 6-fache Lebensspanne, die man den Labormäusen abgetrotzt hat, kommt bei unseren biblischen Vorfahren hin! Vielleicht hatten die damals einfach nicht so viel Stress; mit dem Arbeitsamt? Oder waren sie etwa weniger Umweltgiften ausgesetzt? Und geht es nicht eigentlich darum, möglichst lange gesund zu bleiben und Altersleiden zu verringern? Wollen das nicht Alle? Steckt hinter dem Biologen-Bashing ein kulturhistorisch verwurzelter Anti-Darwinismus? Oder passt das gerade in die Zeit, weil die Grünen sowieso Schuld sind? Fakt ist, dass die Pharma-Branche zigmilliardenschwer ist – sie wird gefüttert, nicht nur durch überlebensnotwendige, krankheitsüberwindende Therapien, sondern von Träumen – dem ewigen Jung- oder wenigstens Vital-sein. Und deshalb ist in dem Bereich auch Forschung finanzierbar. Es wäre ja gar nicht profitabel, einfach den Planeten gesund zu erhalten. Außerdem würden davon Hinz & Kunz nutznießen, ohne zu bezahlen!

Drei Monate später

– wieder eine Wahl, die zum EU-Parlament. Der Rechtsausschlag treibt mir die Pickel den Rücken runter. Die krisengeschüttelte Volksmoral mault: Nagut, gegen den Klimawandel muss man wohl was machen – aber nur, wenn die deutsche Autoindustrie mithalten kann. Ansonsten sind die Umweltthemen doch utopisches Gedöns, das niemand mehr hören will. Und die zarten Stimmen für ökologisch-soziale Gerechtigkeit gehen im Kriegsgeheul unter.

Zurück zu den Projekt-Kröten. – Und? Tja, die werden nun von Drohnen aufgefressen.

Kröte sieht Rot
foto: zdenek machacek/ unsplash, modified

Schon mitgekriegt?

Auf der EU-Prioritätenliste positioniert sich eine aufstrebende Militärmacht; die Rüstungsindustrie hat sich in Brüssel einquartiert [Quelle: Tagesspiegel]. Das Wort Umwelt ist allenfalls noch zu lesen, wenn es um eine wirtschaftsfreundliche geht. Nachhaltigkeitsbelange werden an sicherheitspolitische gebunden und beziehen sich ausschließlich auf den Energiesektor. Aber da war doch was mit Green Deal? Der steht in – ökologischen – Fachkreisen wegen der real fehlenden ökologischen Umsetzung in der Kritik. Mit der darin verankerten Bioökonomie ist lediglich die Nutzung biologischer Ressourcen gemeint [Quelle: European Environmental Bureau].

 

 

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