Es ist Mitte Juni, warm und feucht und die Brennnessel wuchert – oft handelt es sich um die Große (Urtica dioica), die bis zu 2 Meter in die Höhe schießt. Sie mag stickstoffhaltige Böden und davon findet sie im norddeutschen Tiefland reichlich. Landwirtschaft und Entwässerungsgräben sind eine hervorragende Kombination, um das Gedeihen zu sichern. Auch die Straßenmeisterei plagt sich mit dem Gewucher an den Pistenrändern herum.
Was tun? – Aufessen? Die Fasern zu Stoffen weben? – Ja, das hat man mal so gemacht, in Kriegs- und Nachkriegszeiten, als der Hunger groß und die Baumwolle knapp war. Öko-Feinschmecker schwören immer noch auf die proteinreiche Kost. Voller Mineralien und Vitamine könnte das Gewächs eine Karriere als Superfood hinlegen. Aber im Ernst: Wie jedes missliebige Kraut, ist natürlich auch dieses mechanisch entfernbar. Wer das Problem etwas längerfristig loswerden möchte, sollte es bei der Wurzel packen.
Und dann gibt’s da ja noch die weniger schweißtreibende Lösung: Herbizide. Oder? Nunja – ein Schelm, der glaubt, „Unkrautvernichter“ wirken nur gegen das fiese Grünzeug. Fakt ist: Pestizide können Krebs begünstigen, das Erbgut verändern, das Immunsystem beeinträchtigen, Allergien auslösen – und zwar beim Säugetier Mensch (vom Insektensterben und allgemeinen Artenrückgang mal abgesehen). Die Wirkung gilt übrigens genauso für so genannte „selektive“ Produkte (z. B. „Rasenpflegemittel“). Wundert sich jemand, dass solch teuflisches Zeug überhaupt erlaubt ist?
Bei der Einschätzung der Gefährlichkeit von Pestiziden gibt es ein Dilemma: Die Langzeit- und Wechselwirkungen der zahlreichen Umweltgifte sind kaum erforscht. So ließ der Verkaufsschlager Glyphosat jüngst die Emotionen hochkochen als um dessen rechtsverbindliche Regulierung – mangels eindeutiger Datenlage – zäh gerungen wurde. Es ist jedoch bekannt, dass Landwirte und Hobbygärtner oft erheblichen Pestizidbelastungen ausgesetzt sind – mit schwerwiegenden Folgen: Sie tragen ein erhöhtes Risiko für Leukämie und andere hinterhältige Krebsarten. Das ist noch nicht alles: Das Risiko steigt für weitere Erkrankungen, so für Parkinson um bis zu 20 %.
Häufig verwendete Herbizide sind Phenoxyessigsäuren. Die Wirkstoffe machten sich im Vietnamkrieg als Entlaubungsmittel ihre Namen: Agent Orange, Purple und White. Sie lösen mit hoher Wahrscheinlichkeit Lymphkrebs aus. Auch ist bekannt, dass die Variante 2,4-D hormonell aktiv ist. Das bedeutet, dass die Substanz das natürliche Wechselspiel von Hormonen stört und beispielsweise die Fruchtbarkeit reduziert. Da es als biodegradierbar gilt (natürlich abgebaut wird), hat es ein vergleichsweise geringes ökotoxikologisches Potential. Es kam also auf die Positivliste der EU und darf nun in allen Mitgliedstaaten verwendet werden. Die Gefahr besteht in seiner weiten Verbreitung und Verwendung, selbst in Konsumgütern.
Generell orientieren sich die Grenzwerte zugelassener Pestizide an der vermuteten Wirkung auf gesunde Erwachsene, nicht auf Kinder, Alte, Schwangere oder ohnehin Geschwächte. Die bisherigen Langzeiterfahrungen zeigen, dass die Wirkschwellen häufig deutlich niedriger liegen als zunächst angenommen – die Substanzen können also giftiger sein. Daher muss beim Umgang mit Pestiziden generell das Vorsorgeprinzip gelten: die Vermeidung.
Das können Sie tun: Verzichten Sie auf die Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln soweit möglich. Sie gehören nicht in den Garten. Die Brennnessel selbst – als müffelnde Jauche angesetzt – zeigt eine hervorragende, natürliche Pestizidwirkung (z. B. gegen Blattläuse) und eignet sich auch zur Düngung. Falls Sie aber das stechende Kraut als Gemüse probieren möchten, dann ernten Sie nicht vom Straßenrand!