vonMaja Wiegemann 28.11.2022

Giftspritze

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Das A und O des gesunden Menschenverstands könnte in der Abwasser-Organisation liegen. Spätestens im alten Rom wusste man Bescheid: Die Cloaca Maxima (von lat. cluere – reinigen) – in der Frühzeit der City errichtet – war der Prototyp für die antike Abwasserkanalisation. In kleineren Siedlungen wurden dagegen Sickergruben genutzt und es bestand die Gefahr, das Grundwasser zu kontaminieren. Schon Plinius der Ältere erkannte: „Wir vergiften unsere Flüsse und die Grundelemente der Natur, und dasselbe von dem wir leben, verwandeln wir in Sargnägel“ (Naturalis Historia 18,3). Seitdem sind 2000 Jahre vergangen und wir plagen uns immer noch mit demselben Problem herum.

Zwar gibt es in Deutschland einen hohen Anschlussgrad an die zentrale Abwasserentsorgung (2016 wurden 96 % erreicht), doch bei geringer Einwohnerdichte ist das nicht immer möglich. Nun positioniert sich ausgerechnet der Zipfel aus Marsch, Moor und ein paar Sandhügeln zwischen Weser- und Elbmündung – der Landkreis Cuxhaven (Niedersachsen) – als ländlicher Vorreiter in Sachen Abwasser. Mit Verweis auf die Wasserrahmenrichtlinie und die Nitrat-Kulisse sollen  Kleinkläranlagen an der Verringerung der Stickstoff-Fracht verstärkt mitwirken. Während das im Hamburger Umland bereits so für Neuanlagen gehändelt wird, beschränkte sich der ländliche Raum bundesweit bisher auf Trinkwasser- und Naturschutzgebiete. Im Landkreis Cuxhaven werden die höheren Anforderungen jetzt auf Einzugsgebiete von Trink- und Grundwasser erweitert.  Das wertvolle Nass ist nicht nur für die Einwohner des Landkreises von Bedeutung, sondern findet in Hamburg einen Großabnehmer – dieser kompensiert den Landkreis übrigens für die Entnahme (etwas).

Monatelang wurde um den Beschluss gerungen. Trotz hohem Konfliktpotenzial war der Showdown im Sitzungsausschuss des Landkreises am Donnerstag (24.11.) letztendlich zahm. Er zeigte: Die Ambitionen sind hoch, die Datenlage ist miserabel. Man sitzt in einer Zwickmühle aus technischer Machbarkeit, rechtlichen Rahmenbedingungen und administrativer Verantwortung. Über allem thront die Finanzierbarkeit.  Hier der Hintergrund:

Ein bisschen Fachwissen muss sein

Kleinkläranlagen sind die Lösung, wenn eine zentrale Abwasserentsorgung nicht möglich ist. Das ist der aktuelle Stand. Die Stadtkinder werden damit vielleicht nur eine stinkende Jauchegrube aus Großmutters Zeiten verbinden. Doch solche Ekeleien sind seit 2015 definitiv verboten – sie dürfen nur noch als sogenannte Sammelgruben betrieben werden. Die Dichtheit der alten Substanz vorausgesetzt, muss der Inhalt regelmäßig abgefahren werden; theoretisch. Kleinkläranlagen, dagegen, tragen heutzutage die nähere Bezeichnung biologisch. Das bedeutet, dass Mikroorganismen gezielt „belebt“ werden, um Fäkalien etc. abzubauen.

Normalerweise geschieht das in den Anlagen durch Belüftung – Sauerstoff wird zugeführt. Es gibt aber auch anaerobe Abbauwege, also ohne Belüftung (z. B. in Faultürmen zur weiteren Behandlung von Klärschlamm). Nachdem die Mikroorganismen ihre Arbeit getan haben, darf das geklärte Abwasser ins Gewässer. Für die wasserrechtliche Genehmigung ist die bauaufsichtliche Zulassung oder neuerdings die CE-Kennzeichnung mit Herstellererklärung zur Einhaltung der Werte ausschlaggebend. Die bundesweite Abwasserverordnung (AbwV) sieht – je nach Größe der Kläranlage – Ablaufklassen vor. Für Kleinkläranlagen im häuslichen Bereich gelten generell die niedrigsten Anforderungen nach Ablaufklasse C (C steht für Kohlenstoff-Abbau). Daneben gilt in Trinkwasserschutz-Gebieten in der Regel die Ablaufklasse D (D steht für Denitrifikation). Die D-Klasse berücksichtigt also Stickstoff-Werte. Man muss nicht denken, dass sich Mikroorganismen an die Einteilung halten. Sie bauen auch in C-Anlagen den Stickstoff ab (die Nitrifikation läuft genauso, die Denitrifikation teilweise „wild“). Da Nitrat ein großes Problem für unser Trinkwasser ist, macht die gezielte Denitrifikation grundsätzlich Sinn.

Ablaufklassen nach AbwV und DIBt
Die Tabelle (oben) zeigt die Mindestanforderungen für Kläranlagen in Abhängigkeit von der angeschlossenen Einwohnerzahl nach der Abwasserverordnung (AbwV) und zusätzlich die 2005 eingeführten Ablaufklassen des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt). Darüber hinaus gehende Anforderungen (wie in Trinkwasser- und Naturschutzgebieten) werden von der lokalen Wasserbehörde mit der Zulassung festgelegt. Die untere Tabelle zeigt die Bedeutung der Ablaufklassen mit den Zulassungsgrundsätzen des DIBt.

Doch erheben sich in der Fachwelt Zweifel darüber, ob die technische Steuerung der Denitrifikation bei Kleinkläranlagen funktioniert:

Generell neigt die Biologie in der kalten Jahreszeit zum Winterschlaf – das gilt auch für Mikroorganismen: Unter 12 Grad passiert wenig. Daher gelten die Grenzwerte der Ablaufklassen sowieso nur im Sommerhalbjahr. Erschwerend kommt bei D-Anlagen hinzu, dass in der sonst belüfteten Biologie eine anoxische Phase angesteuert wird. Dabei sollen Denitrifikanten den Nitrat zum harmlosen, molekularen Stickstoff (N2) umsetzen. So verlockend das nach Entgiftung klingt: Der Prozess ist vor allem in Kleinkläranlagen störanfällig: Zulaufschwankungen sind hier die Regel und die Ursache Nr. 1 dafür, dass die Biologie ins Schlottern gerät: Statt der gewünschten Umsetzung zum N2, finden wir bedenkliche Ammonium-Konzentrationen (NH4+) im Ablauf.

Stickstoffabbau in Kläranlagen - Chemische Formeln

Ammonium steht mit Ammoniak (NH3) im Gleichgewicht (pH-abhängig). Sowohl NH3 als auch die erste Oxidationsstufe Nitrit (NO2) sind hoch toxisch für Wassergetier – und zwar in sehr geringen Konzentrationen. Da Kleinkläranlagen meistens in Rinnsale einleiten, ist die Auswirkung mangels Verdünnung fatal. Außerdem führt Ammonium zu einer starken Sauerstoff­­­zehrung – das gesamte Biotop stirbt bis auf wenige Arten ab, Mücken gedeihen allerdings prächtig.

Dann lieber eine robuste C-Anlage als eine kapriziöse D-Steuerung ?

So abwegig ist der Gedanke nicht. Auch Anlagen die „nur“ über eine Belüftung verfügen, erreichen durchschnittlich Ablaufwerte im Bereich der D-Klasse; dabei ist das Ammonium-Problem weniger kritisch. Und ein fürsorgliches Auge kann den Ablauf weiter verbessern.

Der Blick des Landkreises geht jedoch weiter in die Zukunft!

Man könnte es im Papier glatt übersehen: Ohne die explizite Erwähnung wurden die ersten Weichen für eine semizentrale Abwasserentsorgung gestellt. Das bedeutet die Zusammenfassung von Abwässern aus mehreren Privathaushalten (mehr als 50 Einwohner). – Eine sehr sinnvolle Sache! In solchen Anlagen gibt es weit bessere Möglichkeiten zur Abwasserreinigung als in Kleinkläranlagen. So würde über den Stickstoff-Abbau hinaus auch die Phosphat-Eliminierung möglich sein (Phosphat ist das Zünglein an der Waage zur Algen-Explosion in Gewässern). Auch könnte die Einleitstelle an einer hydraulisch passenderen Stelle positioniert werden. Doch hierzu müssen Privathaushalte „überzeugt“ werden. Die wasserrechtlichen Genehmigungen haben nach dem neuen Beschluss nur noch Laufzeiten von 15 Jahren. Nun dürfen Häusle-Bauer rechnen…

Sauberes Wasser für die Zukunft!
Sauberes Wasser für die Zukunft! © Magellan

Fazit: Die Weichenstellung in Richtung semizentraler Abwasserbehandlung ist wichtig, die Verbesserung der Ablaufwerte aus Kleinkläranlagen ebenfalls. Und was tun in Sachen Anlagentechnik?  Kleinkläranlagen der D-Klasse müssen sich in der Praxis bewähren, nicht nur auf dem Teststand. Ammonium im Ablauf ist kritisch für Klein­gewässer, um deren Schutz es eigentlich gehen sollte. C-Anlagen können auf dem Niveau der D-Klasse-Ablaufwerte betrieben werden. Daher ist gut daran getan, bei Bestandsanlagen nicht auf die bürokratische Einsortierung nach (zertifizierter) Anlagentechnik zu setzen, sondern auf die reale Performance. So oder so könnte der Beschluss die Einleiter-Überwachung des Landkreises auf den Plan rufen.  Dabei ist das Engagement von Betreibern und Wartungsunternehmen – auch ohne behördliche Ermunterung – gefragt.

Kritik: Die Landwirtschaft ist Hauptverursacher von Nitrateinträgen. Wie steht es hier um den Trinkwasserschutz? – Die Einhaltung der Düngeverordnung? Der Gewässer­randstreifen? Cuxlandwirte werden für das Nicht-Düngen als „freiwillige Maßnahme zum Trinkwasserschutz“ aus dem Hamburger Topf (siehe oben) „kompensiert“. – ­  Währenddessen verdonnert man Privathaushalte als Betreiber von Punktquellen zur Investition in unausgegorene Technik. Förderung? Fehlanzeige! Das geht besser (siehe Thüringen).

 

Öffentlichkeitsarbeit aus dem Forschungsprojekt des Antifouling-Alternative e. V. zur  Performance von Kleinkläranlagen in der Praxis,
gefördert von der Bingo-Umweltstiftung

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