Das Ende rückt näher. Das Ende einer Ära, in der Rechtsextreme keine Mehrheiten in Deutschland hatten. Viel ist passiert und es sieht zum Fürchten aus. Heute wird gewählt. Die rechten und die kindlich-trotzigen Kräfte in Sachsen möchten kurzen Prozess machen. Deutschland soll sich ihrer Ansicht nach verändern, zum Schlechteren – das wissen zumindest diejenigen, die sich ihre politischen Urteile nicht von Populisten haben kapern lassen. Nachfolgend eine Chronik der letzten Tage.
„Das schönste Altstadtfest aller Zeiten“
Vor dem Wochenende der Landtagswahl fand in Görlitz das Altstadtfest statt. 120.000 Besucher*innen wurden erwartet und sind wahrscheinlich auch gekommen: es war heiß, es war voll, es war laut. Mir bekannte Görlitzer*innen bezeichnen das Fest als „Fressbudenmoloch“ oder „Sinnesbombardement“. Sie sind diesem eher kritisch gegenüber eingestellt, wie man erkennen kann, doch ich verstehe nach dem Besuch, was sie damit meinen – es mag schön sein, aber es ist auch sehr viel.
Im Mittelpunkt stehen Bier und Bratwürste – das reine Glück der deutschen Seele. Das kann man mögen oder nicht. Zumindest Bratwürste brauche ich persönlich nicht. Was mir aber gar nicht gut gefallen hat, waren vor allem in der Nacht viele Menschen mit rechtsradikalen Symboliken (T-Shirts hauptsächlich), junge und ältere, dickbäuchige Glatzköpfe, die in breitem sächsisch Menschen verhöhnen, die anders aussehen.
Manche, die nicht in die Norm rechtsradikaler Weltbilder passen, meiden das Fest, da sie sich dort nicht sicher fühlen. Die Görlitzer-Facebook-Gruppen liefen derweil über mit Bildern vom „tollen Fest“ und auch der Marktmeister Tino Wallor sagte in der SZ: „Es war vielleicht das Beste [Altstadtfest], das wir in Görlitz hatten.“
Ein Besucher schrie „Heil Hitler“ vom Riesenrad und wurde dementsprechend mit einer Anzeige versorgt, die ihn sicher zum Umdenken bringen wird – aber das ist nur ein Verirrter unter vielen Feierfröhlichen. Sicherlich. Ein Fest, dessen Bewertung genauso gespalten ist, polarisiert, wie die Ansichten zur rechtsextremen afd: für manche das Höchste der sommerlichen Gefühle, für andere ein dumpfes Feiern des Überflusses.
Solingen wird natürlich missbraucht
Für die Opfer des Stadtfestes in Solingen wurde am Sonnabend eine Gedenkminute abgehalten, während dieses Ereignis andernorts instrumentalisiert und in politische Geschosse transformiert wurde. Friedrich Merz forderte einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan und hilft mit seinem Generalverdacht ungeniert der afd. Söder und Kretschmer machen in Dresden die Ampel für alles, einfach alles verantwortlich, passend zum Narrativ der Rechtspopulisten.
Söder schlägt sogar vor, „dass man Menschen die doppelte Staatsbürgerschaft entziehen sollte, die die Einführung eines islamischen Staats oder der Scharia in Deutschland propagieren. Nur würden die Grünen beim Thema Migration immer blockieren.“ Die Frage danach, wie so etwas überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sein soll, verhallt im stumpfsinnigen Applaus des Publikums. Das ist Politik von Demokraten 2024: Populismus bis die Schwarte kracht.
Die Brandenburger afd fordert, dass Migranten künftig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen werden sollten und zeigt, wie tief man geistig und moralisch noch sinken kann. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Grundgesetz gar nicht mehr – das ändert man nach Machtübernahme einfach. Oder wie schon Tino Chrupalla sagte: „Auch das Grundgesetz ist nicht in Stein gemeißelt“. Es ist absolut schleierhaft, wie man diese Partei immer noch als demokratisch bezeichnen kann. Die Verschiebung des Denk- und Sagbaren schreitet indes immer weiter voran.
Beschwichtigungen und Brandmauer-Philosophie im Presseclub
Am Sonntag vor der Wahl ist der Görlitzer SZ-Chefredakteur Sebastian Beutler beim Presseclub zu Gast, wo noch einmal fleißig beschwichtig und entlastet wurde. Alle Gäste, außer Christian Bangel, Gesellschaftsredakteur bei ZEIT ONLINE, ließen an der einen oder anderen Stelle lapidar den Satz fallen, „dann entscheiden sich die Menschen im Osten eben für eine andere Partei“.
Kerstin Palzer, ehemalige MDR-Redakteurin, jetzt ARD, ließ sich sogar dazu hinreißen, die Menschen im Osten als „experimentierfreudig“ zu bezeichnen, weil diese (natürlich!) aus „Angst und Verunsicherung“ heraus und weil man die ständigen Transformationen satt habe und dann eben was Neues ausprobieren möchte, Rechtsextremisten und inhaltsleere Populisten wählen. Das ist Freispruch und Anerkennung in einem. Wow!
Wirklich jeder in der Runde hat an dieser Stelle vergessen zu fragen: Entschuldigung, ist das nicht ein bisschen sehr einfach, Frau Palzer und auch ein bisschen übergriffig, gar entmündigend? Wollen Sie wieder die Geschichte vom ängstlichen Ostdeutschen erzählen, der aus Notwehr „experimentierfreudig“ wird und Rechtsextreme wählt?
Aber nein, das passiert nicht. Sebastian Beutler philosophiert dann noch über den Begriff „Brandmauer“, behauptet, dass dieser emotional aufgeladen sei und fragt sich, was dieser überhaupt bedeute? Etwa: „Ist die Brandmauer […] schon gefallen, wenn die afd den Vorschlägen der Verwaltung und der Bürgermeister zustimmt? Passiert laufend in den Ostdeutschen Stadt- und Gemeinderäten.“ Hm, nein, das ist kein Brandmauerfall. Aber spielt Sebastian Beutler etwa hier auf den Skandal der konstituierenden Sitzung in Görlitz an?
Dort stimmten zwei demokratische Parteien einem Vorschlag der Verwaltung zu, der der afd unnötig(!) einen weiteren Sitz in beschließenden Ausschüssen gewährte. Das ist ein relativ klar erkennbar großes Loch in der Brandmauer gewesen. Aber vielleicht kommt die SZ zu exakteren Antworten, wenn sie noch ein wenig länger überlegt: Was bedeutet diese Brandmauer denn eigentlich? Ich bin gespannt darauf.
Das Heute Journal kommt nach Görlitz
Beim Heute Journal, das am Donnerstag aus Görlitz gesendet wurde, verwechselt man kindlichen Trotz mit sächsischem Stolz und zeigt ein paar Bilder der Region – ebenfalls die verirrten Radikalisierten der Montagsdemos in Zittau – diese größtenteils – älteren Menschen finden mittlerweile alles zum Kotzen, was nach CDU, SPD, FDP oder gar den Grünen riecht. Weltbild abgeschlossen.
Später schafft es der Görlitzer Schriftsteller Lukas Rietzschel einen neuen Aspekt der Debatte hinzuzufügen, warum Menschen afd wählen: Nach Rietzschel könne man dies durchaus als eine Art von Selbstermächtigung begreifen, für Menschen, die sich ungehört und ungesehen fühlen. Durch eine Wahl der afd, erhalte man dagegen Aufmerksamkeit, auch wenn diese negativ ist. Plötzlich sei es still im Raum und es werde genau zugehört. Ebenfalls biedern sich die anderen Parteien – vornehmlich die Konservativen, aber auch die SPD – den Positionen der afd an – man könnte also das Gefühl haben, mit einer afd-Wahl etwas zu bewirken.
Dies schließt natürlich nicht aus, dass über die Hälfte der afd-Wähler*innen ein latentes bis manifestes rechtsextremes Weltbild hat, dass die afd von Beginn an von Rechtsextremen unterwandert wurde und diese nun den Ton in der Partei angeben und sich weiter fleißig vernetzen, um ihre ethnischen Fantasien irgendwann in die Tat umzusetzen (wie in einer kürzlich veröffentlichen Reportage von RTL zu sehen war). Aber es ist ein weiterer Aspekt, der dieses ominöse Protestwählen etwas zu beleuchten vermag, von dem alle ständig sprechen. Ohne die Positionen der afd gut zu finden, ist eine Protestwahl dennoch äußerst unwahrscheinlich.
Das Bermudadreieck des Populismus
Schließlich gab es noch eine afd-Veranstaltung am Freitag vor den Wahlen in Görlitz. Weidel, Chrupalla und Wippel waren da – das Bermudadreieck des Populismus, in dem jeder Fakt, jedes vernünftige Urteil für immer spurlos verschwindet. Tino Chrupalla fordert mit maximaler Dumpfheit seine Wähler*innen dazu auf, „schwer erziehbar“ zu bleiben, man lasse sich nicht mehr „umerziehen“. Sicherlich nicht beabsichtigt trifft er damit die Sache jedoch auf den Kopf: afd-Wähler*innen sind tatsächlich Kinder.
Sie haben das politische Erwachsenenalter nie erreicht. Verantwortung für sich selbst und für eine Gemeinschaft zu übernehmen, sind entfernte Entwicklungsziele. Stattdessen herrschen infantiler Trotz und die Forderung nach Erfüllung unrealistischer Wünsche (allen voran der Wunsch, Menschen mit anderer Hautfarbe auf ihre Plätze zu verweisen). Und wie Kinder lassen sie sich von ihren neuen Erziehungsberechtigten, der afd, brav führen. In eine neue Diktatur. Mami und Papi werden schon wissen, was sie tun.
Wichtig: Damit möchte ich Kinder nicht schlecht reden. Kinder sind großartig, wenn sie tatsächlich Kinder sind. Erwachsene Kinder stattdessen sind verbittert, argwöhnisch und egozentrisch. Schön, dass Chrupalla das so auf den Punkt bringen konnte und seine Wähler*innen dies genüsslich schluckten.
Der Rest dieser Veranstaltung ist geschenkt. Die Rechtsextremen haben oft genug über ihre schwachsinnigen und/oder unmoralischen Ideen erzählt und Aufmerksamkeit erhalten. Stattdessen hinterlasse ich an dieser Stelle ein Zitat eines Mannes, dem Alice Weidel sehr ähnlich klingt (oder umgekehrt):
„Wenn unsere Gegner sagen: Ja, wir haben Euch doch früher die Freiheit der Meinung zugebilligt. Ja, Ihr uns! Das ist doch kein Beweis, daß wir das Euch auch tuen sollen! Daß ihr das uns gegeben habt, das ist ja ein Beweis, wie dumm ihr seid!“ (Joseph Goebbels)
Mehr kann man zur afd, kurz vor den Wahlen, die die Demokratie an den Abgrund treiben werden, nicht mehr sagen.
Das freundliche Görlitz
Daher am Ende noch etwas Positives (wenngleich mal wieder zu kurz und zu wenig – ich gelobe Besserung): Erwähnt werden müssen die vielen tollen Menschen, die gestern das große Fest der Görlitzer Vielfalt gefeiert haben – darunter Leute, die sich seit Jahren oder gar Jahrzehnten für Demokratie und gegen rechts engagieren. Diese Menschen stehen für ein freundliches, ein offenes, ein buntes Görlitz. Auch ein afd-Sieg im Land kann nicht verhindern, dass diese Menschen weitermachen werden. Diese Menschen sind die tatsächliche Brandmauer in diesem Land und ihnen sollte Dank gebühren, aus der ganzen Republik.
Sie kämpfen an Orten, an denen man Angst haben muss, auf die Straße zu gehen, weil irgendwelche rechten Schlägertrupps Fotos machen und Listen führen. Sie haben anstrengende Jobs und bringen dann noch ihre Freizeit auf, um für ein Gemeinwesen zu kämpfen, das andere lieber brennen sehen wollen oder es lediglich höhnisch kleinreden und beklagen.
Ich danke allen, die da waren und auch denen, die nicht dabei sein konnten für ihren Einsatz. Danke für eure Kraft, eure Energie und eure Leidenschaft! Ihr seid ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage! Ihr macht Hoffnung darauf, dass Sachsen und Görlitz eben nicht verloren sind. Dass man auch hier noch freundliche Menschen treffen und mit diesen konstruktiv Gesellschaft gestalten kann. Danke!
Es ist nicht vorbei
Die afd-Wähler*innen in Sachsen oder Thüringen werden kurzfristig nicht mehr klüger werden – Spontanintelligenz ist kein Phänomen, soweit ich weiß. Wir müssen uns heute auf das Schlimmste gefasst machen und auf das Beste hoffen. Beobachten, trauern (solange es braucht) und dann weitermachen. Sollte es der afd gelingen, in Regierungsverantwortung zu kommen, beginnt der Umbau der Demokratie. Beamte werden ausgetauscht, Dienstanweisungen gegeben, Gesetze destruktiv ausgelegt. Hier ist Wachsamkeit wichtig – wir müssen aufpassen, auf uns und auf das, was die afd politisch tut. Es ist noch nicht zu spät, aber es ist ernst. Noch können wir von den polnischen Nachbar*innen lernen: sie haben es geschafft, eine rechtsradikale Partei zu überleben. Es ist sehr schwierig. Aber nicht unmöglich. Ich wünsche uns allen einen langen Atem und Kraft, dieses Übel doch noch abzuwehren. Dieser Versuch bleibt weiterhin das Einzige, was im Jahre 2024 in Deutschland tatsächlich alternativlos ist.