vonDavid Wuthe 29.09.2024

grenzstadtblog

Ein subjektiv-literarischer Blog über die politische Atmosphäre in der Grenzstadt und afd-Hochburg: Görlitz.

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Sie zogen vom Bahnhof über die Berliner Straße bis hinunter zur Altstadtbrücke, nach Polen und wieder zurück zum Elisabethplatz: Der deutsch-polnische CSD – ein bunter, fröhlicher Festzug, mit vielen lachenden Gesichtern, der für Vielfalt und die Gleichwertigkeit aller Menschen steht. Das „gute Görlitz“ war hier unterwegs, Jung und Alt, und zeigte auch den angereisten Gästen, dass die Stadt noch nicht an die Braunen verloren ist – es gibt eine starke und unnachgiebige Freundlichkeit in der Oberlausitz. Ca. 800 Menschen haben sich für die Sicherheit von queeren Menschen positioniert, die in Zeiten einer erstarkten rechtsextremen afd unter besonders heftigen Attacken stehen.

Auch Georgina Kellermann und Martin Dulig waren zu Gast – das sind positive Zeichen für queere Menschen und die Region. Ein wichtiges Zeichen überhaupt, für Menschen, die sich um andere Menschen und die Gesellschaft sorgen, die nicht in ihrem Egoismus und Nationalismus versumpfen. Es war ein Fest der Demokratie und eine Vision, wie Gesellschaft aussehen kann und sollte: solidarisch und freudvoll.

Demokratie unter Beschuss

Solche gelungenen Veranstaltungen, die die Würde des Menschen herausstellen, sind gerade jetzt wichtig, wenn die Demokratie unter Beschuss steht. Die parlamentarische Blockade der afd in Thüringen erschüttert derzeit die Republik. Eine Blockade, die wohl überlegt, strategisch geplant war, wie der tattrige Alterspräsident Treutler in einem Interview zufällig ausplauderte (in diesem mittlerweile gelöschten Video zu sehen). Das nächste Angriffsziel der afd ist das Thüringer Verfassungsgericht. Nachdem man die CDU vor selbiges ziehen lassen hat, beginnen die Rechtsextremen bereits, es in Diskredit zu bringen.

Höcke schwafelte schon kurz nach der konstituierenden Sitzung auf Telegram von einem „Rechtsbruch“, den selbst Laien erkennen würden und wies auf die Parteibücher der Richter hin. Alle neun Richter*innen müssen bis 2029 – dem letzten Jahr der derzeitigen Legislaturperiode – neu gewählt werden und die afd hat die Sperrminorität. Sie wird diese nutzen, um Richter*innen loszuwerden, die nicht in ihrem Sinne sind. Sie werden argumentieren, dass man manchen Richter*innen nicht mehr vertrauen könne und als Beleg u.a. die konstituierende Sitzung heranziehen und wahrscheinlich weitere geplante Schindluder.

Diese Argumentation dient natürlich in erster Linie der Anhängerschaft. Man will sich durch diese Lügen legitimieren. Da rechtliche Sachverhalte kompliziert sind, ist jedoch davon auszugehen, dass auch diese Lüge wieder von Teilen des naiven oder verwahrlosten Bürgertums geschluckt werden wird. Die afd weiß die derzeitige Krise des Denkens, Fühlens und Urteilens auszunutzen. Hier ist Vorsicht und Aufklärung geboten.

Brauner Mob wirkt lächerlich

Zu dem Bild der angegriffenen Demokratie passen die Nazis auf der Straße. Ähnlich wie in Bautzen ließ sich natürlich auch in Görlitz zum CSD ein brauner Mob blicken, der sich selbst als „Gegenprotest“ zu tarnen versuchte, doch hatte man nur die „B-Mannschaft“ geschickt: Angeblich 460 Leute sollen es gewesen sein, doch wirkten diese eher wie 150. Bei manchen, die brav in ihrem Block standen, musste man sich fragen, ob diese sich am Morgen selbst die Schuhe zugebunden hatten oder Mutti helfen musste. Hiflos und unsicher blickten sie umher, filmenden Journalist*innen und Passant*innen streckten sie zaghaft ihre Stinkefingerchen entgegen.

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Als sie auf der Berliner Straße nach einer kurzen Pause weiter „marschieren“ durften, legten sich zwei der selbsternannten Herrenmenschen flach. Einer flog auf die Nase der andere konnte sich gerade noch abfangen. Ob diese besoffen waren oder nur kurzzeitig vergessen hatten, wie das nochmal mit der Körpermotorik funktioniert, ließ sich von außen leider nicht so ganz feststellen. Sie erhielten jedoch einen verdienten Applaus und Gelächter. Andere machten den Eindruck, als wüssten sie gar nicht, wo sie sich befinden. Wiederum andere rauchten einfach Kette. Stark wollten sie erscheinen, hart wie Kruppstahl wahrscheinlich, wirkten dann aber nur dumpf und tumb. Ein Trauerspiel.

Lediglich als sie gemeinsam grölten, waren sie in ihrem Element. Dann wurden sie zu einer Masse, zu einem miefenden Klumpen Menschenfeindlichkeit, an dem sie sich selbst so aggressiv stimulieren. Und natürlich grölten Sie auch wieder verbotene NS-Parolen wie „Deutschland erwache“. Dieser ekelhafte Sprech dient ihnen als Selbstberuhigung und Identitätsbildung. Mit den selbstaushöhlenden Parolen im Mundraum schnurrt der Motor des Mobs. Mehr steckt nicht dahinter.

Wenn man diesen unsicheren (meistens) Männern tief in die Augen schaut, vorbei an der dumpfen Glasigkeit ihrer Pupillen, kann man erkennen, dass sie sich eigentlich schämen, für den Aufzug, den sie veranstalten. Da ist tatsächlich irgendwo noch etwas Restvernunft im Hinterhirn, die kurz aufblitzen kann, aber natürlich umgehend unterdrückt werden muss: die Verachtung anderer Menschen aufgrund von Ethnie oder sexueller Orientierung/Identität, ist nur um den Preis der Selbstverachtung zu haben – der Nazi richtet seinen Hass auch immer gegen sich selbst. Leid tun sollten sie einem aber nicht. Sie wählen ihr Schicksal der Selbstabwertung selbst.

Militär- und NS-Folklore der unsicheren Männer. Foto: privat

Am Ende des Umzugs kam es schließlich zu einer entscheidenden Szene: als die Nazis den CSD am Elisabethplatz passieren oder „stellen“ wollten, bildeten die 800 aufrichtigen, bunten Menschen eine undurchdringbare Wand. Mit den guten alten „Nazis raus“-Rufen und schrillen Pfiffen vertrieben die guten Görlitzer*innen und ihre Gäste die Möchtegern-Herrenmenschen.

Die Rechten mussten sich geschlagen geben und zogen ab, kümmerlich, wie sie gekommen waren. Manchen gefiel das gar nicht und sie wollten auf die Polizei losgehen: Armseligkeit in deutscher Reinkultur. Verdient (aber nicht nur deswegen) feierten die Gewinner*innen dann bis in die späte Nacht. So funktioniert eine starke Demokratie!

Die lokale afd hat sich zu dem braunen Spektakel bisher nicht geäußert. Natürlich wird so etwas nicht verurteilt. Wieso sollte man den außerparlamentarischen Unterstützer*innen auch in den Rücken fallen? Das werden diejenigen sein, die sich später die Hände schmutzig machen müssen, wenn die Gewalt auf den Straßen beginnt. Sie sollen die spätere Tat-Elite werden, von der Höcke ständig faselt, wenngleich nichts Elitäres an diesen verloren Gestalten zu erkennen ist.

Der Rechtsextremismus offenbart seine Labilität

Dieser rechte „Aufmarsch“ gestern in Görlitz hatte tatsächlich auch etwas Gutes: Er war ein Paradebeispiel für die Labilität des Rechtsextremismus. Er mag einschüchternd daherkommen, mit seinem Gegröle und den schwarz gekleideten Mob-Elementen. Er mag sich stark und kämpferisch inszenieren, wenn er menschenverachtenden Kram krakeelt. Aber er ist inhaltsleer und seelenlos – das konnte man sehen, das konnte man spüren, wenn man die einfältige, repressive Stimmung in ihren Reihen wahrnahm – ganz im Gegensatz zur Freude und (man muss es so sagen) Liebe beim CSD.

Sie können nicht gewinnen, weil sie schwach sind. Geistlos. Gewissenlos. Das macht sie zwar gefährlich, aber nicht mächtig. Dass diese Leute so klein bleiben, wie sie sind, das ist unsere Aufgabe. Die mutigen queeren Menschen und ihre Unterstützer*innen haben gestern gezeigt, wie man sie besiegen kann. Indem man für Menschlichkeit einsteht. Zusammen. Wir sollten uns ein Beispiel an ihnen nehmen.

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