In diesem Jahr gewinnen Simone Schlindwein und Dominic Johnson von der taz für ihre Afrika-Berichterstattung den ersten Preis.
Am 12. Oktober 2016 hat der Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) im DJV zum zehnten Mal seinen Journalistenpreis „Der lange Atem” verliehen. Ehrengast war Bundesjustizminister Heiko Maas.
In diesem Jahr wurden zwei taz-JournalistInnen mit dem ersten Preis ausgezeichnet: Simone Schlindwein und Dominic Johnson. In der Laudatio der Jurorin Ilka Brecht heißt es über den ersten Preis: „Dominic Johnson und Simone Schlindwein schreiben spannend, fundiert und aus einem tief empfundenen Chronistenpflicht-Gefühl heraus. 8 Jahre, 33 Artikel und 320 Gerichtstermine lang berichten sie und sorgen dafür, dass die Opfer nicht vergessen werden.“
Gesellschaftlich relevante Themen
Der Preis „Der lange Atem“ wird seit 2007 jährlich an JournalistInnen vergeben, die „in herausragender Weise langjährige beharrliche Berichterstattung zu einem gesellschaftlich relevanten Thema betreiben“. Dotiert ist der Preis mit 3.000, 2.000 und 1.000 Euro.
Voraussetzung für eine Nominierung ist, dass die Betreffenden in Berlin-Brandenburg leben und arbeiten. Sie sollen sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit einem spezifischen Thema beschäftigt haben, das Diskussionen ausgelöst hat. Nominierungswürdig ist eine Berichterstattung, die Missstände ans Tageslicht fördert, genauso wie eine, die ein komplexes Thema verständlich macht.
Der unabhängigen Jury unter dem Vorsitz von Dagmar Engel (Deutsche Welle TV) gehören acht prominente Journalistinnen und Journalisten an. Die weiteren GewinnerInnen waren Adrian Bartocha und Olaf Sundermeyer (rbb/ARD) mit dem Thema „Einbrecher und Taschendiebe – Reisende Banden in Berlin“ und Herbert Klar (Frontal21/ZDF), der bei seinen Reisen mit versteckter Kamera in sieben Steueroasen beharrlich dokumentiert hat, wie leicht es immer noch ist, Geld vor dem deutschen Fiskus zu verbergen.
Großartige Arbeit
Dominic Johnson, taz-Auslandschef und -Afrikaredakteur, und Zentralafrika-Korrespondentin Simone Schlindwein schreiben seit vielen Jahren über die Kriegsverbrechen im Grenzgebiet von Kongo und Ruanda und ihren Zusammenhang mit Deutschland. Mit der Schlagzeile „Deutschland duldet Terrorchef” deckte die taz im April 2008 auf, wie der Präsident der Hutu-Miliz FDLR den Krieg seiner bewaffneten Gruppe, in der sich auch Täter des ruandischen Völkermordes aus dem Jahr 1994 sammelten, über Jahre hinweg aus Deutschland steuerte.
Es folgten zahlreiche weitere Recherchen über das Wirken der FDLR, ihre Führung in Deutschland und die Versuche, dagegen etwas zu unternehmen. In der Folge wurden die beiden in Deutschland lebenden FDLR-Führer verhaftet, es kam vor dem OLG Stuttgart zu Deutschlands erstem Prozess wegen Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht. Der Hauptangeklagte wurde zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Die taz beobachtete den Prozess von Anfang bis Ende.
taz-Chefredakteur Georg Löwisch saß auch in der Jury und freut sich über die Entscheidung: „Die großartige Arbeit der beiden entspricht exakt der Idee des Preises. Die taz wird weiter derart genau über Afrika berichten – einschließlich der Verantwortung, die Deutschland für Ereignisse dort übernimmt oder verweigert.”
Hintergrund: „FDLR in Deutschland“
„Deutschland duldet Terrorchef“, titelte Dominic Johnson in der taz am 23. April 2008. Es ging um Ignace Murwanashyaka, politischer Flüchtling aus Ruanda in Mannheim und zugleich Präsident einer bewaffneten Organisation mitten in Afrika, in der sich die ehemaligen Täter des ruandsichen Völkermords an den Tutsi neu gruppiert hatten.
Die „Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) hatten sich im benachbarten Kongo niedergelassen und terrorisierten dort die Zivilbevölkerung. Johnsons Bericht prangerte erstmals an, dass Murwanashyaka die Geschäfte dieser Miliz unbehelligt von Deutschland aus führen konnte, obwohl er seit Jahren mit scharfen UN-Sanktionen belegt war. Jede Woche brannten damals im Ostkongo Dörfer, Menschen wurden in ihren Hütten grausam abgeschlachtet, Hunderttausende mussten fliehen. Es waren diese Verbrechen, die FDLR-Präsident Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni in Deutschland vor Gericht brachten.
Im Oktober 2009 enthüllte Simone Schlindwein in Detailrecherchen das Ausmaß der Verstrickung Murwanashyakas in diese Kriegsverbrechen. Am 17. November 2009 wurde Ignace Murwanashyaka in Mannheim verhaftet. Am 4. Mai 2011 begann der Prozess gegen ihn und Musoni vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Am 28. September 2015 sprach das Gericht die beiden Angeklagten schuldig; Murwanashyaka wurde als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber Murwanashyaka sitzt im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim, mittlerweile im siebten Jahr.
Keine anderen Medien recherchierten
Acht Jahre lang (von 2008 bis 2016) haben sich Johnson und Schlindwein der ausführlichen Recherche in der Demokratischen Republik Kongo, in Ruanda und Deutschland sowie der intensiven Prozessbeobachtung am Oberlandesgericht Stuttgart gewidmet, um den Fall „FDLR in Deutschland“ journalistisch aufzubereiten.
Das Ergebnis dieser jahrelangen Arbeit (Artikelsammlung als PDF hier) geht weit über das Maß hinaus, was normalerweise eine deutsche Tageszeitung leisten würde. Die Berichterstattung ist Ausdruck eines jahrelangen persönlichen Engagements der beiden Bewerber und wurde zu großen Teilen jenseits der regulären Arbeit durchgeführt. Motivation dafür war die Erkenntnis, dass in der deutschen Medienlandschaft über die FDLR fast nichts bekannt war.
Die Arbeit zum Thema mündete schließlich auch in dem Sachbuch „TATORT KONGO – PROZESS IN DEUTSCHLAND“ – Die Verbrechen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR und der Versuch einer juristischen Aufarbeitung. Das Buch schrieben Dominic Johnson und Simone Schlindwein gemeinsam mit der Prozessbeobachterin Bianca Schmolze. Es erschien im Juni 2016 im Christoph-Links-Verlag in Berlin.
Die Afrika-Berichterstattung der taz wird unterstützt vom „Recherchefonds Ausland” – nur durch diese finanzielle Hilfe ist es uns möglich, in Deutschland und vor Ort eine qualitativ hochwertige Berichterstattung zu gewährleisten.
Zuletzt erhielten 2014 die taz-Redakteure Kaja Kutter und Kai Schlieter den Preis „Der lange Atem“ für ihre Arbeit zum „Haasenburg-Skandal“.
Foto: v.l.n.r.: Bundesjustizminister Heiko Maas (Ehrengast) gratuliert den Preisträgern Olaf Sundermeyer, Adrian Bartocha (beide rbb, 2. Preis), Herbert Klar (ZDF/Frontal 21, 3. Preis), Dominic Johnson und Simone Schlindwein (beide taz, 1. Preis), Foto: Sabine Gudath/JVBB