von 19.10.2010

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Vera Gaserow 1981 in der taz
Vera Gaserow 1981 in der taz
Am 19. November 1988 veröffentlichte taz-Gründungsmitglied Vera Gaserow in der taz folgenden Text über die Lage der taz:

Ta(n)z der Vampire in der Wattstraße

Das größte selbstverwaltete Unternehmen – Ein blutsaugender Vampir / Selbstverwaltung als Selbstlüge

Ach, wie schön hat das geklungen, als Fritz Teufel vor zehn Jahren eine linke alternative Tageszeitung zur „Frau seiner Träume“ ernannte. Nach einem Jahr war zumindest der „Betrieb taz“ längst zum „Mann der Alpträume“ geworden. Heute, nach zehn Jahren Arbeit in diesem größten selbstverwalteten Unternehmen der Bundesrepublik, assoziiere ich mit dem Projekt taz eher blutsaugende, verlogen grinsende Vampire. Ihrem Produkt, der Zeitung, haben die Vampire zwar nach den ersten Kinderschritten das Tanzen beigebracht. Ihre MitarbeiterInnen haben sie jedoch im Laufe der Jahre dermaßen ausgesaugt, daß vielen als Selbstschutz nur die Kündigung blieb.

Sicher, ohne die Selbstverwaltung, ohne das große Kollektiv wäre die taz nie zustande gekommen und sie wäre nicht das, was sie heute ist. Ökonomisch ist die taz nicht ohne die permanente Selbstausbeutung ihrer MitarbeiterInnen vorstellbar. Inhaltlich ist sie nicht ohne die Kreativität und ständige Auseinandersetzung von Leuten denkbar, die soviel anti-autoritäre Blutkörperchen haben, daß sie die Anweisungen eines Chefredakteurs oder Abteilungsleiters nicht akzeptieren würden.

Dennoch sind für mich die zehn Jahre Selbstverwaltung nicht nur ein ständiger Kampf gegen das Ausgesaugtwerden, sondern auch ein Prozeß des allmählichen Scheiterns. Gescheitert ist dabei nicht die Selbstverwaltung selbst, aber unsere Fähigkeit, sie an etwas ganz banalem wie Vernunft zu überprüfen. Obwohl die taz langsam aber sicher zu einem mittelständischen Betrieb mit 180 MitarbeiterInnen und monatlichen Millionenumsätzen anwuchs, obwohl sie für etliche MitarbeiterInnen längst zu einem bloßen Job geworden ist, bestehen wir weiter darauf, daß das alte Kleid Selbstverwaltung in Kindergröße 146 nach wie vor angegossen paßt. Egal, was das Spiegelbild aussagt: Wir arbeiten und entscheiden immer noch nach einmal für wahr befundenen Grundsätzen, ohne zu sehen, daß die Bedingungen sich geändert haben. Was einst die Grundlage für ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes Arbeiten war (und in kleineren Betrieben vielleicht nach wie vor sein kann), wird in einem riesigen Betrieb wie der taz mit zig sehr verschiedenen Arbeitsplätzen zu einer frommen Selbstlüge.

Heute kann mir niemand erklären, was daran selbstverwaltet ist, daß die wichtigsten Entscheidungen des Unternehmens taz nach wie vor von einer willkürlich zusammengesetzten Versammlung mit dem schrecklichen Namen „Nationales Plenum“ getroffen werden, wo Leute, die schon seit Jahren nichts mehr mit der taz zu tun haben oder als gelegentliche MitarbeiterInnen mal eben für ein paar Stunden vorbeischauen, genauso ihren Finger heben wie die, die täglich dort arbeiten und die Konsequenzen ausbaden müssen. Schon seit einiger Zeit weiß ich nicht mehr, was daran positiv sein soll, daß große Finanzausgaben plenar entschieden werden, obwohl 90 Prozent der Anwesenden erklärtermaßen weder die Lust noch die Fähigkeit haben, die komplizierten Geschäftsbilanzen zu lesen. Und schon lange suche ich jemanden, der mir die geheime Gerechtigkeit eines Einheitslohns enthüllt, die darin besteht, daß die einen für 30 Stunden Arbeit in der Woche genausoviel Lohn bekommen wie die anderen für 60.

Konsequenzen aus diesem völlig irrationalen, von allen gesehenen, aber beharrlich klebrigen Selbstbetrug zu ziehen, heißt nicht, das Kind Selbstverwaltung mit dem Bade auszukippen. Aber dem Gör müßte endlich ein der Größe und dem Alter angemessenes Kleid geschneidert werden. In einem selbstverwalteten Projekt zu arbeiten, das hatte vor zehn Jahren etwas mit Utopie, mit Vorwärtsdenken zu tun. Heute löst die Vorstellung, unter ähnlichen Bedingungen noch zwei oder drei Jahre weiterarbeiten zu sollen, bei mir nur Horrorvisionen aus – aber das, so schwört ein Kollege Stein und Bein, hätte ich vor fünf Jahren auch schon gesagt.

Vera Gaserow arbeitete von 1979 bis 1991 bei der taz. Bis 1999 war sie freie Autorin, unter anderem auch immer wieder für die taz. Anschließend arbeitete sie bis 2009 bei der Frankfurter Rundschau.

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https://blogs.taz.de/hausblog/aus-dem-taz-archiv-selbstverwaltung-als-selbstluege/

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kommentare

  • @ S.Heiser
    „Die meisten, die hier arbeiten, mögen ihren Job aber.“
    Klar, sonst wäre die taz schon längst im Nirvana…
    Folgendes mag ich jetzt mal kundtun: Danke, dass ihr so drauf seid…
    und Frau Gaserow scheint der taz ja nun nicht wirklich zu fehlen.

  • @Redbranch: Natürlich macht es Spaß für die meisten Mitarbeiter, hier zu arbeiten. In meinem vorherigen Kommentar wollte ich das bereits andeuten, als ich schrieb: „Diese Selbstbestimmung darüber, über welche Themen man schreibt und welche Meinung man vertritt, ist auch einer der großen Anziehungspunkte für viele Mitarbeiter.“ Es gibt aber auch einzelne, die das anders sehen – auch heute noch. Manche kommen zum Beispiel nur schwer damit zurecht, dass jahrelang immer die gleichen Probleme diskutiert werden, ohne dass es eine Lösung gibt (es ist nämlich je nach Art des Widerstandes sehr schwer bis unmöglich, so eine Lösung gegen den Willen der betroffenen Mitarbeiter durchzusetzen). Vera Gaserow gehörte 1988 offenbar zu den weniger glücklichen Mitarbeitern. Kurz darauf wurde sie ja auch freie Journalistin. Die meisten, die hier arbeiten, mögen ihren Job aber.

  • Das Wort „Selbstausbeutung“ an sich ist doch in dem Kontext schon unwürdig.
    Wie pathetisch, wie selbstabwertend und wie märtyrerisch.
    Wer soll sich denn damit wohlfühlen, wenn er nicht gerade eine leicht masochistische Ader hat?

    Ist es so schlimm zuzugeben, dass Euch Euer Job Spass macht, Ihr es super findet, etwas Sinnvolles zu tun und dafür bereit seid, für wenig Geld zu arbeiten? Dass Ihr einfach andere Werte habt und andere Prioritäten setzt als die Mehrheit der Bevölkerung?

    So wie ich das sehe und verstehe, geht es doch genau darum. Und das ist einer der Hauptgründe, warum die taz das ist, was sie ist: Die kritischste, unabhängigste, klügste und manchmal auch beknackteste – kurz gesagt: die liebenswerteste – Zeitung der Republik.

  • „Selbstausbeutung ihrer MitarbeiterInnen“?

    Wie soll das denn gehen? Wahlweise beutet man sich selber aus oder seine MitarbeiterInnen. Beides auf einmal scheint doch recht kurios.

  • @Lukas:

    „Ökonomisch ist die taz nicht ohne die permanente Selbstausbeutung ihrer MitarbeiterInnen vorstellbar.“ Auch heute noch verdienen taz-Mitarbeiter deutlich weniger als im Branchendurchschnitt. Ich erhalte als Redakteur knapp über 2.000 Euro brutto pro Monat.

    „Inhaltlich ist sie nicht ohne die Kreativität und ständige Auseinandersetzung von Leuten denkbar“ – solche Kreativität und Auseinandersetzungen gibt es noch, aber ich kann das natürlich nicht mit früheren Zeiten vergleichen (ich bin erst zweieinhalb Jahre bei der taz).

    „die soviel anti-autoritäre Blutkörperchen haben, daß sie die Anweisungen eines Chefredakteurs oder Abteilungsleiters nicht akzeptieren würden“: Auch dieser Drang zur Selbstbestimmung ist nach wie vor bei den taz-Mitarbeitern stark ausgeprägt. Diese Selbstbestimmung darüber, über welche Themen man schreibt und welche Meinung man vertritt, ist auch einer der großen Anziehungspunkte für viele Mitarbeiter. Für die Chefredaktion und die Ressortleiter bedeutet es, dass man in der taz nicht so leicht von oben nach unten durchregieren kann wie in anderen Medienhäusern. Vor zwei Jahren sagte Bascha Mika in ihrem Abschiedsinterview als Chefredakteurin: „Gegen formale Hierarchien gibt es in der taz ein ausgeprägtes, teilweise auch gesundes Misstrauen“. Hier das ganze Interview: http://blogs.taz.de/hausblog/2009/07/10/ich-wurde-von-einem-tag-auf-den-anderen-gehasst/

    „Nationales Plenum“: Das ist abgeschafft. Der Souverän in der taz ist stattdessen die Mitarbeiterversammlung. Dort sind alle Mitarbeiter Mitglied, die länger als ein Jahr bei der taz angestellt sind. Wahrscheinlich könnte die Mitarbeiterversammlung auch über größere Investitionsvorhaben entscheiden, tatsächlich geschicht das aber heute im fünfköpfigen Vorstand (der aus taz-Mitarbeitern besteht, die mehrheitlich von der Mitarbeiterversammlung gewählt werden).

    Einheitslohn: Der wurde vor längerer Zeit (1994?) abgeschafft. Seither gibt es sieben verschiedene Lohnstufen. Der Unterschied zwischen den Lohnstufen ist aber nicht sehr groß.

  • Ich schließe mich Falco an.
    Mich würde primär interessieren, wie sehr sich die von Vera Gaserow beschriebenen Strukturen heute, nach über 20 Jahren, geändert haben und was davon noch geblieben ist.

  • Der Beitrag ist sehr interessant und auch die Position von Vera Gaserow, denn wie soll man mit einem knappen Einheitslohn z.B. eine Familie über die Runden bringen? Der Beitrag von Togistero disqualifiziert sich selbst, abwertend und außer Emotionen nicht gewesen.
    Jetzt wäre nur noch interessant, wei die Einkommensstruktur der TAZ heute aussieht?

    Viele Grüße Falco

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