von 16.07.2012

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Andreas Gutsche aus Magdeburg hat sein Abo gekündigt. Und uns in einer ausführlichen Mail begründet, warum er die taz nicht mehr lesen kann:

Liebe taz,

ich mag dich. Wirklich. Es fällt mir schwer, dir das hier zu schreiben, aber ich muss das einfach loswerden. Ich habe viele da draußen getroffen, die mich enttäuscht haben. Unzählige schlechte Lokalzeitungen, die ihre Seiten mit Meldungen wie „Bohrmaschine aus Keller entwendet“ füllen, Finanzzeitungen, die aus unerfindlichen Gründen schmuddelige Erdfarben als „lachsfarben“ bezeichnen, Zeitungen, die sich mit dem Süden im Titel schmücken, aber im Osten Fuß fassen wollen; ich ließ mir immer irgendwelche Probeabos aufschwatzen, dachte „gib denen mal ihre Chance“ – aber sie alle haben mich enttäuscht. Nur du nicht. Du hast von Anfang an gehalten, was du versprochen hast; mehr noch: du hast mich positiv überrascht.

Ich habe mich gefragt, wieso ich all die Jahre davor mich nicht einmal auf dich eingelassen habe. Was habe ich nicht alles verpasst …

"Oft hast du mich verblüfft, wenn du Dinge von dir gibst, die ich nie im Leben in einer Zeitung erwartet hätte"
"Oft hast du mich verblüfft, wenn du Dinge von dir gibst, die ich nie im Leben in einer Zeitung erwartet hätte"
Und darum habe ich dich auch nach der Probeabo-Phase weiterabonniert. Du gefällst mir. Du bist genau das, wonach ich immer gesucht habe. Frech, abwechslungsreich, kreativ. Du stellst die richtigen Fragen, und lässt jeden antworten. Du provozierst, und setzt dich für offenen Journalismus in aller Welt ein. Wir hatten zusammen viele unvergessliche Momente; oft hast du mich verblüfft, wenn du Dinge von dir gibst, die ich nie im Leben in einer Zeitung erwartet hätte, wie z. B. die dicke Überschrift „In Your Face!“ mit einer ganzseitigen Balotelli-Abbildung. Bei dem authentischen Gedicht in Grass-Manier zur Piratenpartei musste ich länger als gewöhnlich überlegen, ob Günter der Urheber ist. Genauso hängt auch „Wenn ihnen diese EM nicht gefallen hat, schlachten wir diesen Hund“ in meinem Zimmer. Das zeigt mir immer wieder, dass das „Lachen auf O“ das Beste aller Lachen ist. Eine Titelseite mit Kofi Anan Assad fragend, warum es denn hier so still sei – unfassbar grandios! „Das Geld von der Gema hat die Nena„.. wie du einfach mal Torch in der Überschrift zitierst – du hast Stil. Wer weiß, was du dir sonst noch so alles im Stillen denkst, ich aber nicht mitbekomme.

Der Kiewer Straßenhund Bobik (ca. 3 Jahre). Er wusste alle Spielergebnisse im Voraus. Aber niemand hat ihn gefragt.
Der Kiewer Straßenhund Bobik (ca. 3 Jahre). Er wusste alle Spielergebnisse im Voraus. Aber niemand hat ihn gefragt.
Und dann bringst du mir auch einfach mal so völlig unerwartet die „Straßen aus Zucker“ nach Hause … Womit habe ich so viel Entgegenkommen verdient? Am besten gefällt mir deine hinterfragende Art. „Meinung + Diskussion“ nennst du das. Ich liebe das. Der Artikel „Idiotenspiel“ von Hartmut Rosa in der Monde Diplomatique erinnert mich noch gedankenvoll daran, wie du mich zum ersten Mal tief berührt hast. Und ich liebe deine Gedichte. Wer weiß, vielleicht schreibe ich auch mal ein paar Gedichte für dich und schicke sie dir.

Aber ich finde, manchmal übertreibst du es auch. Ich meine, die Demokratie-Serie war ja ganz gut – aber eine ganze Seite über Picaldi-Jeans unter „Wie demokratisch können Hosen sein?“ laufen zu lassen, ist dann doch etwas weit hergeholt. Dabei habe ich ja sogar überlegt, mit dir zusammenzuziehen – einfach, damit ich deine 8 Seiten Berlin noch besser verstehen kann. Aber du hast Recht, das wäre wohl doch etwas verfrüht. Denn je länger wir zusammen sind, umso deutlicher erkenne ich die Gräben zwischen uns. Du wirst wirklich nicht müde darin, all die Trends und Moden aufzugreifen; du weißt immer Bescheid, wenn es um Theater, Musik oder Film geht. Die Hälfte der Zeit redest du über Gesellschaft und Kultur, wobei es mehr Kultur als Gesellschaft ist, und ja … schon wieder dein Berlin. Immer dein Berlin. Dabei gibt es doch soviel anderes. Die Wissenschaft kommt mir bei dir viel zu oft viel zu kurz, dabei mag ich die Wissenschaft doch so sehr. Doch so eine bist du halt nicht. Aber zumindest deine gesellschaftsbetrachtenden Artikel (und ich rede da nicht von Bubble-Tea) könnten doch etwas mehr in die Tiefe gehen. Ich mag Gesichter und austauschbare Fassaden nicht so sehr, und interessiere mich mehr für die Dinge, die dahinter stecken. Aber du sollst dich auch nicht für mich verbiegen. Würdest du auch nicht. So eine bist du nicht; du bist eine mit Charakter. Ich finde es schon gut, dass du mir an dieser Stelle zuhörst.

Ich halte daran fest, dass ich mir keine passendere als dich vorstellen kann. Aber wenn du nicht zu mir passt, tut es überhaupt eine? Bin ich vielleicht gar kein Mensch für tägliche Begegnungen? Aber eine Wochenendbeziehung mit dir – das wäre einfach nichts Vollkommenenes.

Ich muss gestehen, ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir eine andere zu besorgen. (Zeit oder FAZ, – aber das sage ich dir im Vertrauen) – doch hätte ich vorher die Sache mit dir ehrlich abgebrochen, denn zweigleisig fahren? Sowas macht man nicht. Es ist nicht so, dass andere besser zu mir passen, nur so, dass ich mich gerne reibe. Wir beide haben nur allzu oft die gleiche Weltsicht, aber wenn ich jemanden will, der so denkt wie ich, dann sind Selbstgespräche der einfachere Weg. Ich brauch Andersdenkende, die meinen Horizont erweitern, mir vielleicht sogar eine andere Perspektive zeigen, die mir zuwider ist. Man muss doch wissen, wie andere ticken, um sie zu verstehen.

Aber all die Gründe sind wahrscheinlich nur vorgeschoben; der eigentliche Grund liegt wohl nicht an dir. Ich kann mir vorstellen, dass du das schon oft gehört hast, aber lass mich nur erklären: Ich bin gerade im Studium und habe über die Jahre kistenweise Bücher angesammelt, die mich baten, von mir gelesen zu werden. Irgendwann tratest du in mein Leben und ich verbringe recht viel Zeit mit dir. Soviel, dass ich all die Bücher vernachlässigen muss. Dabei brauchen Bücher doch auch Aufmerksamkeit!

Meine heimliche Leidenschaft Arthur meint dazu „Es wäre gut, Bücher zu kaufen, wenn man die Zeit, sie zu lesen, mitkaufen könnte, aber man verwechselt meistens den Ankauf der Bücher mit dem Aneignen ihres Inhalts.“ Leider gilt das aber auch für dich. Insbesondere, weil doch Dinge, die du mir heute sagst, schon morgen keine Relevanz mehr für mich haben können.

Der Grund liegt also nicht am Inhalt, oder am Geld, sondern an der Zeit. Und wer hat schon Zeit zu verkaufen? Ich habe die Männer im grauen Anzug gefragt, aber sie lassen einfach nicht mit sich verhandeln. Vielleicht kannst du ja dein E-Paper-Angebot um eine Audio-Sektion erweitern, wie es z. B. die Zeit macht. Ein paar relevante Artikel als mp3 aufsprechen, damit man sie sich unterwegs nebenbei anhören kann. Auch das kostet wieder Zeit, ich weiß. Und dann ist die Frage, wer die Artikel auswählt, die in den Rang des gesprochenen Wortes aufgenommen werden. Aber wie wäre es, wenn ihr das z. B. von einer guten Text-to-Speech-Software erledigen lasst? (Und da gibt es erstaunlich gute!)

Na gut, du weißt jetzt recht ausführlich, was ich von unserer Beziehung halte. Ich hätte das alles abkürzen können, aber scheinbar konntest du nicht einfach von mir lassen, und so will ich auch meine Gefühle dir gegenüber nicht verkürzt darstellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns irgendwann einmal wieder aufeinander einlassen können. Vielleicht brauche ich einfach nur Zeit, vielleicht muss ich erst einmal andere Dinge erledigen. Vielleicht müssen wir uns erst trennen, damit ich weiß, was ich an dir hatte.

Ich schließe mit Bertolt Brecht „der abgerissene Strick kann wieder geknotet werden. er hält, aber er ist zerrissen. vielleicht begegnen wir uns erneut; aber da, wo du mich verlassen hast, triffst du mich nicht wieder“.

Ich wünsche dir noch viel Erfolg und alles Gute!

Mit lieben Grüßen,
Andreas Gutsche

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https://blogs.taz.de/hausblog/aus-und-vorbei-warum-ich-mein-taz-abo-kundige/

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kommentare

  • Hannah: Kirchenbashing? Ja was sonst soll man mit der Kirche denn machen? Mich regt im Gegenteil auf, wie gut die Kirche bei einigen taz-Autoren wegkommt. Den Gipfel der Empörung fand ich dieses Hosianna auf den Papst von Philipp Gessler: http://www.taz.de/!78469/

    Herr Gessler scheint mir generell eine viel zu kirchenfreundliche Haltung zu vertreten. Hier seine Fanberichterstattung von der Papstrede im Bundestag:
    http://www.taz.de/!78661/

    Seine Berichterstattung über die Kirche ist so unterwürfig, dass diese ihm sogar gewährt hat, den Papst beim Deutschlandbesuch im Flugzeug und über abgesperrte Straßen zu begleiten:
    http://www.taz.de/!78765/

    Hier bedauert Gessler, dass die Sekularisierung Deutschlands weiter voranschreiten wird:
    http://www.taz.de/!78781/

    Oder seine seitenlange Berichterstattung über den 98. Katholikentag in Mannheim – wen interessiert es, wie der Stand der innerkirchlichen Debatte über das zweite vatikanische Konzil vor 50 Jahren ist? Was hat das in der taz zu suchen?
    http://www.taz.de/!93690/

    Die Kirche wird in der taz „dauernd gebasht“? Das kann ich so wirklich nicht teilen!

  • Ich lese die taz seid mittlerweise 20 Jahren. Mal häufiger, mal nur gelegentlich. Ich hatte sie auch schon abonniert. Sie ist in der Tat die beste Zeitung Deutschlands. Mir gehen aber zwei Dinge auf den Zeiger.
    Der Islam wird nicht kritisiert, die Kirche dauernd gebasht- was soll das?
    Die Umvolkung in Deutschland scheint den tazlern zu gefallen. Also kurz: die taz erwcheint mir oft linksextrem.

  • Ach lieber Herr Gutsche, Sie sind aber streng! Ich bin sicher ein paar Jahre älter als Sie und kann Ihnen da nur sagen: So funktioniert das mit der Liebe nicht! Da muss man schon mal Fünfe grade sein lassen, so viele Ansprüche verkraftet der Alltag nicht. Gucken Sie sich ruhig woanders um, dann merken Sie bestimmt, was Sie an der TAZ haben. In keiner Zeit oder Süddeutschen find ich so viel Hintergrund, Anregendes, Verstörendes (und die les ich nämlich auch). Und eine Tageszeitung ist doch nicht dazu da, dass man sie von hinten bis vorne durchliest! Manchmal kann doch schon eine headline den Tag retten wie „Blatter kaufen“. Natürlich gefällt mir auch nicht immer alles in der TAZ und wenn dann im Hamburg Teil mal wieder zum x-ten Mal berichtet wird, dass sich im Kinderhaus Eideidei die Erzieher streiten, muss ich diesen Teil auch ganz fix ins Altpapier packen. Aber so what, was Lesenswertes gibt’s trotzdem immer.
    Schöne Grüße von einer TAZ-Abonenntin seit der Null-Nummer – und vielleicht kommen Sie doch wieder zurück auf die gute, intelligente, geistreiche
    machmal bissle verschrobene, manchmal (selten!) auch ein wenig oberflächliche Tante TAZ …

  • Ein wunderbarer Text – welch ein Genuß ihn zu lesen!

    Die Idee mit den Bücher, die mich anspringen und um Nachdenken und Auseinandersetzen und Weiterentwickeln ihrer Gedanken und Ideen und Gefühlswelten bitten, auch die Zeit für sie mitkaufen zu können, wird mir noch lange Freude bereiten.

  • lieber andreas,
    taz gibt’s ja zum glück auch am kiosk und im gut sortierten supermarkt. vielleicht ist ein täglicher kontakt zu viel, ein unregelmäßiger, affektiv getriebener, gelegentlicher dagegen umso reizvoller!
    carpe taz!
    wim

  • Lieber Andreas,
    Glücklicherweise ist die taz ja nur eine Zeitung. Da sollte es kein Problem sein sich in einer offenen Freundschaft immer mal wieder zu treffen und nahe zu kommen um dann wieder Distanz zu halten. Kapitäns-Ehe nannte man sowas mal. Ich habe eine unregelmäßige, aber leidenschaftliche immer-wieder-mal-Wochenendbeziehung mit der taz. Ich weiß, sie will mehr von mir. Aber da es sich – wie gesagt – um eine Zeitung handelt, verletze ich niemandes Gefühle mit meiner ausgelebten Freiheit. Und steht nicht »freie Liebe« noch irgendwo in den Gründungsstatuten der taz?

  • Aber der Vorteil an der taz ist doch gerade, dass sie so kompakt ist. Ich kenne keine andere Zeitung, die mir das Geschehen in Deutschland und der Welt so stark vorsortiert, alles Überflüssige weglässt und das Kompromat auf nur 20 Seiten (!) unterbringt. Andere Zeitungen sind viel dicker, da muss man entweder viel mehr Zeit reinstecken oder viele Seiten schlechten Gewissens ungelesen wegwerfen.

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