Andreas Gutsche aus Magdeburg hat sein Abo gekündigt. Und uns in einer ausführlichen Mail begründet, warum er die taz nicht mehr lesen kann:
Liebe taz,
ich mag dich. Wirklich. Es fällt mir schwer, dir das hier zu schreiben, aber ich muss das einfach loswerden. Ich habe viele da draußen getroffen, die mich enttäuscht haben. Unzählige schlechte Lokalzeitungen, die ihre Seiten mit Meldungen wie „Bohrmaschine aus Keller entwendet“ füllen, Finanzzeitungen, die aus unerfindlichen Gründen schmuddelige Erdfarben als „lachsfarben“ bezeichnen, Zeitungen, die sich mit dem Süden im Titel schmücken, aber im Osten Fuß fassen wollen; ich ließ mir immer irgendwelche Probeabos aufschwatzen, dachte „gib denen mal ihre Chance“ – aber sie alle haben mich enttäuscht. Nur du nicht. Du hast von Anfang an gehalten, was du versprochen hast; mehr noch: du hast mich positiv überrascht.
Ich habe mich gefragt, wieso ich all die Jahre davor mich nicht einmal auf dich eingelassen habe. Was habe ich nicht alles verpasst …
Und darum habe ich dich auch nach der Probeabo-Phase weiterabonniert. Du gefällst mir. Du bist genau das, wonach ich immer gesucht habe. Frech, abwechslungsreich, kreativ. Du stellst die richtigen Fragen, und lässt jeden antworten. Du provozierst, und setzt dich für offenen Journalismus in aller Welt ein. Wir hatten zusammen viele unvergessliche Momente; oft hast du mich verblüfft, wenn du Dinge von dir gibst, die ich nie im Leben in einer Zeitung erwartet hätte, wie z. B. die dicke Überschrift „In Your Face!“ mit einer ganzseitigen Balotelli-Abbildung. Bei dem authentischen Gedicht in Grass-Manier zur Piratenpartei musste ich länger als gewöhnlich überlegen, ob Günter der Urheber ist. Genauso hängt auch „Wenn ihnen diese EM nicht gefallen hat, schlachten wir diesen Hund“ in meinem Zimmer. Das zeigt mir immer wieder, dass das „Lachen auf O“ das Beste aller Lachen ist. Eine Titelseite mit Kofi Anan Assad fragend, warum es denn hier so still sei – unfassbar grandios! „Das Geld von der Gema hat die Nena„.. wie du einfach mal Torch in der Überschrift zitierst – du hast Stil. Wer weiß, was du dir sonst noch so alles im Stillen denkst, ich aber nicht mitbekomme.
Und dann bringst du mir auch einfach mal so völlig unerwartet die „Straßen aus Zucker“ nach Hause … Womit habe ich so viel Entgegenkommen verdient? Am besten gefällt mir deine hinterfragende Art. „Meinung + Diskussion“ nennst du das. Ich liebe das. Der Artikel „Idiotenspiel“ von Hartmut Rosa in der Monde Diplomatique erinnert mich noch gedankenvoll daran, wie du mich zum ersten Mal tief berührt hast. Und ich liebe deine Gedichte. Wer weiß, vielleicht schreibe ich auch mal ein paar Gedichte für dich und schicke sie dir.
Aber ich finde, manchmal übertreibst du es auch. Ich meine, die Demokratie-Serie war ja ganz gut – aber eine ganze Seite über Picaldi-Jeans unter „Wie demokratisch können Hosen sein?“ laufen zu lassen, ist dann doch etwas weit hergeholt. Dabei habe ich ja sogar überlegt, mit dir zusammenzuziehen – einfach, damit ich deine 8 Seiten Berlin noch besser verstehen kann. Aber du hast Recht, das wäre wohl doch etwas verfrüht. Denn je länger wir zusammen sind, umso deutlicher erkenne ich die Gräben zwischen uns. Du wirst wirklich nicht müde darin, all die Trends und Moden aufzugreifen; du weißt immer Bescheid, wenn es um Theater, Musik oder Film geht. Die Hälfte der Zeit redest du über Gesellschaft und Kultur, wobei es mehr Kultur als Gesellschaft ist, und ja … schon wieder dein Berlin. Immer dein Berlin. Dabei gibt es doch soviel anderes. Die Wissenschaft kommt mir bei dir viel zu oft viel zu kurz, dabei mag ich die Wissenschaft doch so sehr. Doch so eine bist du halt nicht. Aber zumindest deine gesellschaftsbetrachtenden Artikel (und ich rede da nicht von Bubble-Tea) könnten doch etwas mehr in die Tiefe gehen. Ich mag Gesichter und austauschbare Fassaden nicht so sehr, und interessiere mich mehr für die Dinge, die dahinter stecken. Aber du sollst dich auch nicht für mich verbiegen. Würdest du auch nicht. So eine bist du nicht; du bist eine mit Charakter. Ich finde es schon gut, dass du mir an dieser Stelle zuhörst.
Ich halte daran fest, dass ich mir keine passendere als dich vorstellen kann. Aber wenn du nicht zu mir passt, tut es überhaupt eine? Bin ich vielleicht gar kein Mensch für tägliche Begegnungen? Aber eine Wochenendbeziehung mit dir – das wäre einfach nichts Vollkommenenes.
Ich muss gestehen, ich habe mit dem Gedanken gespielt, mir eine andere zu besorgen. (Zeit oder FAZ, – aber das sage ich dir im Vertrauen) – doch hätte ich vorher die Sache mit dir ehrlich abgebrochen, denn zweigleisig fahren? Sowas macht man nicht. Es ist nicht so, dass andere besser zu mir passen, nur so, dass ich mich gerne reibe. Wir beide haben nur allzu oft die gleiche Weltsicht, aber wenn ich jemanden will, der so denkt wie ich, dann sind Selbstgespräche der einfachere Weg. Ich brauch Andersdenkende, die meinen Horizont erweitern, mir vielleicht sogar eine andere Perspektive zeigen, die mir zuwider ist. Man muss doch wissen, wie andere ticken, um sie zu verstehen.
Aber all die Gründe sind wahrscheinlich nur vorgeschoben; der eigentliche Grund liegt wohl nicht an dir. Ich kann mir vorstellen, dass du das schon oft gehört hast, aber lass mich nur erklären: Ich bin gerade im Studium und habe über die Jahre kistenweise Bücher angesammelt, die mich baten, von mir gelesen zu werden. Irgendwann tratest du in mein Leben und ich verbringe recht viel Zeit mit dir. Soviel, dass ich all die Bücher vernachlässigen muss. Dabei brauchen Bücher doch auch Aufmerksamkeit!
Meine heimliche Leidenschaft Arthur meint dazu „Es wäre gut, Bücher zu kaufen, wenn man die Zeit, sie zu lesen, mitkaufen könnte, aber man verwechselt meistens den Ankauf der Bücher mit dem Aneignen ihres Inhalts.“ Leider gilt das aber auch für dich. Insbesondere, weil doch Dinge, die du mir heute sagst, schon morgen keine Relevanz mehr für mich haben können.
Der Grund liegt also nicht am Inhalt, oder am Geld, sondern an der Zeit. Und wer hat schon Zeit zu verkaufen? Ich habe die Männer im grauen Anzug gefragt, aber sie lassen einfach nicht mit sich verhandeln. Vielleicht kannst du ja dein E-Paper-Angebot um eine Audio-Sektion erweitern, wie es z. B. die Zeit macht. Ein paar relevante Artikel als mp3 aufsprechen, damit man sie sich unterwegs nebenbei anhören kann. Auch das kostet wieder Zeit, ich weiß. Und dann ist die Frage, wer die Artikel auswählt, die in den Rang des gesprochenen Wortes aufgenommen werden. Aber wie wäre es, wenn ihr das z. B. von einer guten Text-to-Speech-Software erledigen lasst? (Und da gibt es erstaunlich gute!)
Na gut, du weißt jetzt recht ausführlich, was ich von unserer Beziehung halte. Ich hätte das alles abkürzen können, aber scheinbar konntest du nicht einfach von mir lassen, und so will ich auch meine Gefühle dir gegenüber nicht verkürzt darstellen. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns irgendwann einmal wieder aufeinander einlassen können. Vielleicht brauche ich einfach nur Zeit, vielleicht muss ich erst einmal andere Dinge erledigen. Vielleicht müssen wir uns erst trennen, damit ich weiß, was ich an dir hatte.
Ich schließe mit Bertolt Brecht „der abgerissene Strick kann wieder geknotet werden. er hält, aber er ist zerrissen. vielleicht begegnen wir uns erneut; aber da, wo du mich verlassen hast, triffst du mich nicht wieder“.
Ich wünsche dir noch viel Erfolg und alles Gute!
Mit lieben Grüßen,
Andreas Gutsche
Dagegen würde man sich doch mal ein wenig Anthroposophen-Bashing wünschen. Das scheint ja die TAZ-Hausreligion zu sein.