von 19.04.2009

taz Hausblog

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Brisantes Thema beim taz-Kongress: Was machen wir mit dem Gymnasium, dem deutschen Heiligtum? Der Saal K3 im Haus der Kulturen ist voll, 150 Leute.

Ein ziemlich kluge Lehrerin sagt, nachdem sie gezeigt hat, wie viel Widerstand es gegen individuelles Lernen gibt: „Wir sind bildungspolitisch und demokratisch ein Entwicklungsland, das müssen wir uns mal eingestehen.“

Cordula Heckmann, Leiterin des Berliner Campus Rütli: „Ich kann ohne Gymnasium leben“. Und auch der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach, immerhin dem Schulpreisträger und besten deutschen Gymnasium, meint: „Wir brauchen das Gymnasium – noch 5 Jahre.“

Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch von den Grünen sagt: „Wir werden in Hamburg keine grundständigen Gymnasien haben. Das ist der Strukturfehler der Berliner Schule.“ (Grundständige G. sind Gymnasien, die ab der fünften Klasse laufen – obwohl die Grundschule in Berlin bis zur sechsten Klasse dauert.)

André Schindler, Landeselternvetreter: „Ich weiß gar nicht, warum alle so viel Angst vor dem Gymnasium haben.“ Er problematisiert, dass laut Berliner Schulinspektion die innere Differenzierung nicht funktioniert. „Wie sollen wir sehr unterschiedliche Schüler in einem Klassenzimmer individuell fördern?“

Günter Offerman beschreibt die Umgestaltung seiner Schule: Als wir in Marbach angefangen haben, merkten wir: „Wir müssen den Unterricht verändern. Alle müssen ans Ziel kommen.“ Wir brauchen für jeden Schüler ein eigenes Angebot. Und wir brauchen es besonders in der Pubertät – denn da setzt sich das Ich des Schülers neue zusammen. Also braucht eine Schule Unterstützungssysteme, nicht für jeden eines, aber in bestimmten Klassifikationen.

„Es hat sich – auch durch den deutschen Schulpreis – einiges geändert in den Köpfen der Rektoren: Es ist einfach schick, niemanden abzuschulen.“ (Höhö – jetzt macht er aber ganz schön Propaganda!)

Es taucht die Frage auf, wie viele Schüler die Gymnasien eigentlich abschulen: André Schindler sagt, es seien keine zehn Prozent. Christa Goetsch zeigt: in Hamburg gehen – zunächst – 52 Prozent der Schüler aufs Gymnasium – aber dann verlassen die Schüler Schritt für Schritt die Pennne. „Am Ende machen 30 Prozent das Abitur.“

„Kann man die Lehrer innerhalb von eineinhalb Jahren auf individuelles Lernen umstellen?“, will die taz-Redakteurin Anna Lehmann wissen. André Schindler widerspricht massiv. „Nein, man kann nicht in diese Roulettespiel hineingehen. Die Lehrer können das nicht – individuelle Förderung. Es macht keinen Sinn, Schüler zu zwingen, einen bestimmten Weg zu gehen.“  einzuschlagen.

Günter Offermann sagt, „ich mache unangemeldete Unterrichtsbesuche bei meinen Kollegen.“ Beim Unterricht hat sich inzwischen schon so viel geändert, dass es nicht mehr mit dem vergleichbar ist, was wir im Kopf haben.

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kommentare

  • Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“ Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter voprgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: : LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

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