Oft merkt man es schon während der morgendlichen Konferenz: Wenn am Vortag ein herausragender Text publiziert wurde, etwa einer, der uns in eine bisher unbekannte Lebenswelt führt oder einem Protagonisten besonders nahekommt, dann vergessen wir für einen Moment lang das schnelle Nachrichtengeschäft, das sonst den Tag diktiert, und sprechen besonders ausführlich über unsere Leseeindrücke.
Nach der Veröffentlichung der Reportage „Wem gehört der Schädel?“ von Elisabeth Kimmerle war das so. Die Kollegin beschreibt darin den zähen Kampf von Gerhard Ziegenfuß, einem pensionierten Biologielehrer, der versucht, einen Schädel, den sein Großonkel aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika mitbrachte, zurückzugeben. Schnell wird aus der privaten Ziegenfuß’schen Familiengeschichte eine bundespolitische Angelegenheit über deutsche Kolonialschuld und Reparationen.
Auch über den Text „Wir waren wie Brüder“ von taz-Redakteur Daniel Schulz haben wir viel diskutiert. Schulz beschreibt darin seine Alltagserfahrungen in einem brandenburgischen Dorf nach der Wende. Es ist die Erzählung einer ostdeutschen Jugend mit Angriffen von Neonazis und rechten Freunden.
Beide Geschichten beackern große Themen und sind brillant erzählt. Das haben nun auch die 101 Vorjuroren des Reporterforums befunden. Elisabeth Kimmerle und Daniel Schulz sind für den Deutschen Reporterpreis in den Kategorien Reportage und Essay nominiert. Weitere Nominierungen werden demnächst bekannt gegeben. Wir bleiben dran.
Von JULIA BOEK, CvD taz-Berlin-Ressort