Auf seinem taz-Blog „Spurensuche“ hatte Dr. Feelgood am 12. Juli 2019 die 47. Folge seiner „Wiener Korrespondenzen” veröffentlicht – dass es sein letzter Artikel werden würde, hatte Detlef Berentzen wohl genauso wenig erwartet wie wir. Und auch nicht seine Frau, die am Donnerstag die gemeinsame Wohnung in Schöneberg verließ und als sie am Abend nach Hause kam, war er tot – plötzlich, überraschend, aus heiterem Himmel.
Detlef Berentzen ist 1952 geboren, besuchte im westfälischen Bielefeld die obligatorische Volksschule und das berühmt-berüchtigte (Rats-)Gymnasium. Nach einer kaufmännischen Lehre (Dr. Oetker) und ersten Schreibversuchen lebte er ab 1971 in Berlin. Dort studierte er Ökonomie und Philosophie, verfasste Kolumnen für Szenezeitschriften, arbeitete in Kinderläden und Kollektiven.
1981 kam er zur taz, zuerst arbeitete er für die Geschäftsführung im Büro, dann für die Redaktion, wo er unter anderem eine Seite für Kinder und Jugendliche initiierte und betreute. Nach deren Einstellung gründete er seine eigene Zeitschrift für Kindheit „enfant t.“, die er fünf Jahre lang redaktionell leitete. Seit 1987 war er als freier Journalist und Autor tätig und realisierte für viele Rundfunk- und Fernsehanstalten Features und Dokumentationen zu Politik, Kultur und Literatur.
Das letzte dieser Radiostücke erschien erst im vergangenen April, zum 40. Geburtstag der taz: „Update 40.0, Die „tageszeitung” im Zeitalter der Digital Natives“.
Schon 30 Jahre zuvor hatte Detlef (zusammen mit Bernhard Brugger und mir) eine voluminöse Dokumentation über die ersten zehn Jahre der „tageszeitung” (Die taz – Das Buch, Verlag Zweitausendeins) herausgegeben. Die Spurensuche im linken, alternativen Milieu war und blieb sein Thema und so hieß denn auch sein Blog, den er 2009 auf taz.de eröffnete – um als Dr. Feelgood hier „News der anderen Art. Gute zum Beispiel” zu verbreiten. Doch über gute Nachrichten und die Historie der linken Szene hinaus waren seine Interessen und Themenfelder sehr vielfältig und weit.
Er schrieb Bücher über „Die Deutschen und ihre Hunde” ebenso wie über den Dichter Peter Härtling. Das Spektrum seiner Radio-Feautures reichte von der Philosophie der Renaissance („Utopia, Die Insel als Idealstaat bei Thomas Morus”) über die Geschichte und Aktualität der Situationistischen Internationale bis zur nicht mit ihm verwandten Schnapsfabrik Berentzen („Die Kornbrenner-Dynastie – von der Seitenlinie aus betrachtet”). Und dazwischen immer wieder Sendungen über „sein” Thema schlechthin: Kindheit, Erziehung, Bildung („SuperNanny goes Kinderladen, 40 Jahre antiautoritäre Erziehung und die Folgen”).
Als Radiomann forderte er von seiner guten alten taz schon vor zehn Jahren, dass sie doch endlich mehr Podcasts machen sollte (was nun endlich geschieht), als Blogger versorgte er sie mit guten Nachrichten aus Geschichte und Gegenwart, und als Typ war er einer der inspirierten, engagierten, anpackenden Menschen, ohne die diese Zeitung Anfang der 1980er Jahre nicht in die Gänge gekommen wäre.
In der letzten Folge der „Wiener Korrespondenzen” mit seinem „ziemlich grünen” Freunde Michael hatte er über die neue Online-Plattform „pray for austria” geschrieben: „Das geht zu weit: Beten für die FPÖ!” Als Antwort sandte sein Korrespondent ein Zitat aus dem Markus-Evangelium: „Und er lehrte sie und sprach zu ihnen: Sehet euch vor vor den Schriftgelehrten, die in langen Kleidern gehen und lassen sich gern auf dem Markte grüßen. Und sitzen gern obenan in den Schulen und über Tisch beim Gastmahl; sie fressen der Witwen Häuser und wenden langes Gebet vor. Diese werden desto mehr Verdammnis empfangen.”
Eine solche hat Detlef Berentzen als aufrechter, anti-autoritärer Geist auf seiner letzten Reise mit Sicherheit nicht zu befürchten. Und weil solche Geister rar sind auf Erden werden wir hienieden – seine Frau, sein Sohn, seine Freunde, seine Leserinnen und Zuhörer – ihn umso mehr vermissen. Ruhe in Frieden Detlef – der Kampf geht weiter!
Erstaunlich, die taz.
Detlev Berentzen war der Sohn des „Schnapsfabrikanten“ Hans Berentzen aus Bielefeld. Das Gegenteil zu behaupten ist schon heftig.
Man möge sich über H. Berentzen in WIKI informieren! Der Papa war auf der „bürgerlichen“ Seite mindestens genauso prominent und aktiv wie der Sohn: neben Schnaps die Deurschland-Konzession für Pepsi Cola! Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland! Ritter des Ordens zum heiligen Grab von Jerusalem.
Ja, der gute Detlev hatte ein echtes Problem mit seinem Papa. Aber darüber verlor er nie ein Wort. Es war ihm PEINLICH. Schon als er ’71 nach Berlin kam, natürlich um die Bundeswehr zu umgehen, musste er, quasi mittellos, jedes Wochenende zurück nach Bielefeld. Als seine Eltern ihn in Berlin besuchten waren sie entsetzt über seine Wohnverhältnisse, die sie zu sehen bekamen!
Ohne die unternehmerischen „Gene“ des Detlev wäre es aus der taz wohl nix geworden