vontazlab 14.04.2012

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Von Philipp Möcklinghoff

Von links: Daniel Bax, Mely Kiyak, Ferry Pausch, Sabine am Orde, Armin Laschet, Naika Foroutan. Foto: David Oliveira
Von links: Daniel Bax, Mely Kiyak, Ferry Pausch, Sabine am Orde, Armin Laschet, Naika Foroutan. Foto: David Oliveira

Samstagnachmittag im Haus der Kulturen in Berlin. Während draußen die Sonne scheint und zahllose Menschen die warme Frühlingsluft am Ufer der Spree genießen, hat sich der Theatersaal im Innern des Betonkomplexes immerhin gut bis zur Hälfte gefüllt. Schön, dass das Thema so viele Leute anzieht, denn um Integrationsverweigerer in Deutschland soll es gehen und endlich sind dieses mal damit nicht Migrant*innen gemeint, sondern die „Deutschen“ selbst. Also diejenigen, die in der Wissenschaft als „deutsch-Deutsche“ bezeichnet werden. Oder auch „Biodeutsche“, wie es eine Zuhörierin am Ende der Veranstaltung formuliert. Diejenigen, die sich scheinbar einfach nicht an die Einwanderungsgesellschaft gewöhnen können.

Sabine am Orde und ihre Gäste diskutieren eine Stunde lang, zum Teil leicht erhitzt. Die Kolumnistin Mely Kiyak ist die erste, die reden darf. Ihrer Meinung nach gelte das Gleichheitsprinzip hierzulande nur für Deutsche, vielen fiele es schwer, Unterschiede zwischen den Menschen auszuhalten. Sie bezeichnet das als „Gleichheitsfetisch“, nach dem alles gleich auszusehen, sich gleich anzuhören und anzufühlen habe. Ihr pflichtet taz-Redakteur Daniel Bax bei. Er beschreibt eine deutsche Tradition gegen das am offensichtlichsten Fremde und erkennt sie besonders da, wo am wenigsten Fremdes zu finden ist, etwa in Thüringen. Die Fremdenfeindlichkeit sei dort besonders hoch, obwohl im bundesdeutschen Vergleich sehr wenige Migrant*innen in Thüringen lebten. Er plädiert für mehr interkulturelle Begegnung, um die Integration zu fördern.

Das Thema Bildung wird immer wieder angeschnitten. Zu recht, denn noch immer selektiert das deutsche Bildungssystem mehr, als dass es integriert. Hier wurde und wird vieles falsch gemacht, finden eigentlich alle Expert*innen, selbst der CDU-Politiker Armin Laschet. Der ehemalige Integrationsminister und nach Wunsch der CDU zukünftige Innenminister Nordrhein-Westfalens vergleicht die Situation der Muslime hier mit denen der Hispanics in den USA. Angehörige des Islam würden dort eher zu den Eliten gehören. Es sei eine Frage des Bildungsgrades der Migrant*innen zum Zeitpunkt der Einwanderung. Zum Beispiel seien viele türkisch-stämmige Menschen relativ ungebildet nach Deutschland angeworben worden, da sie als einfache Arbeitskräfte gebraucht wurden. Ihren Kindern wurde dann der soziale Aufstieg verwehrt, während politische Flüchtlinge, wie bspw. Nordkoreaner, eher über ein hohes Bildungsniveau verfügten und hier schnell wieder zu den Eliten gehörten.

Mely Kiyak sieht das anders. Ihrer Meinung nach gibt es sehr wohl viele gebildete Muslime und Araber in Deutschland. Sie wirft leidenschaftlich die Frage des Abends in den Raum: „Warum werden eigentlich Araber in diesem Land einfach nicht gemocht?“ Die Berliner Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, die mit einer empirischen Untersuchung die sozialdarwinistischen Thesen Thilo Sarrazins widerlegte, untermauert diese Frage. Sie führt eine Studie von Heiner Bielefeldt aus dem Jahr 2007 an, nach der rund 83 Prozent der Deutschen den Islam für fanatisch halten würden.

Und dabei bleibt es dann. Die von Kiyak aufgeworfene Frage bleibt im Grunde unbeantwortet im Raum stehen. Dass sie mit ihr ins Schwarze getroffen hat, da scheint keiner der übrigen Gäste widersprechen zu wollen. Im weiteren Verlauf beschreiben sie den Status Quo nur noch weiter, den Kiyak eigentlich mit ihrer Frage auf den Punkt gebracht hatte. Dabei wird es mal persönlich in Form von Anekdoten oder abstrakter beim Thema Sarrazin. Der Erfolg seines Buches habe beispielsweise gezeigt, dass, so falsch seine sozialdarwinistischen Thesen auch sein mögen, es eine große Sympathie für ihn und seine Sicht der Dinge gebe.

Richtig kontrovers verspricht es dann erst zu werden, als anschließend Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum zugelassen werden, auf die dann allerdings aus Zeitgründen seitens des Podiums nur unzureichend eingegangen werden kann. Ein Problem, unter dem leider viele Veranstaltungen dieser Art leiden. Wäre heute eine Ausnahme von diesem Prinzip gemacht worden, so hätten vielleicht einige Schleifen der Debatte vermieden werden können. Zu nennen wäre da zum Beispiel der viel zu große Raum, den Herr Laschet für seinen NRW-Wahlkampf nutzen konnte. Außerdem – da sind sich auch fast alle Wortmeldungen von Zuhörer*innen einig – verpasste es das Podium, deutlich auf eine Hauptursache von Rassismus hinzuweisen, nämlich auf ökonomische Existenzängste. Es gebe in Deutschland eine von Abstiegsängsten geplagte Mittelschicht, deren finanzielle Situation in Zeiten von internationaler Finanz- und Schuldenkrise zunehmend schlechter werde, so der Tenor einiger Beiträge aus dem Publikum. Und das sei der Hauptfaktor für das Entstehen von Ressentiment und Rassismus.

Den Expert*innen bleibt nur die Schlussrunde, dies noch einmal als eigenen Aspekt aufzugreifen. Naika Foroutan gelingt das am besten und sie zitiert eine Studie, nach der der Hass auf so genannte „Ausländer“ umso stärker empfunden werde, desto erfolgreicher jene im Erwerbsleben seien. Dazu passt eine wichtige Gemeinsamkeit der Opfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Denn neben der Tatsache, dass sie alle über einen Migrationshintergrund verfügten, waren alle berufstätig, bis auf eine Ausnahme sogar selbstständig. Das Thema NSU findet übrigens, ebenfalls aus Zeitgründen, auf dem Podium nahezu keine Erwähnung.

Sicherlich ist der ökonomische Aspekt des Themas Rassismus und Integration nicht der einzige. Die Angst vor dem Unbekannten spielt ebenfalls eine große Rolle, doch das Ökonomische so zu vernachlässigen, wie es heute geschehen ist, ist sehr bedenklich. Das Unbekannte bleibt gerade dann unbekannt, wenn sich eine gesellschaftliche Partizipation nicht mehr geleistet werden kann. Die Zeiten werden subjektiv härter und die Ohnmacht gegenüber den Zwängen der eigenen Existenz größer. Gerade diese Ohnmacht lässt aus einem materiellen Ungerechtigkeitsgefühl schnell Neid auf „den Anderen“ werden, der angeblich Jobs stiehlt und Sozialsysteme bis zu ihrer Zerstörung ausnutzt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Sarrazin-Debatte in einem neuen Licht, denn – dass hatte Kiyak schon ganz zu Anfang des Panels festgestellt – in ihrem Verlauf ging es nicht vorrangig um die Frage, wo er Unrecht hatte, sondern vielmehr darum, warum es so ist, wie er es beschrieben hat. Die Debatte lieferte so einem weit verbreiteten latenten Rassismus neue Argumente, die gesellschaftlichen Verhältnisse weiter zu zementieren. Und vielleicht ist die ständige Auseinandersetzung mit den vermeintlich problematischen Migrant*innen, wie sie z.B. der Bundesinnenminister Friedrich immer wieder anfacht, politisch ja auch gar nicht so unlieb. Denn sie lenkt von der eigentlich drängenderen Frage hinter dem Thema ab: Die Frage nach der Durchlässigkeit unserer Gesellschaft, nach Chancengleichheit und schließlich nach dem zunehmenden Auseinanderklaffen der Einkommensunterschiede. Eine politisch unbequeme Frage, die das heutige Panel „Integriert euch!“ sicherlich nicht hätte beantworten können. Sie fast die ganze Zeit auszublenden, kann aber auch nicht der richtige Weg sein.

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