vontazlab 09.04.2011

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog

Von Martin Niewendick

Ein mulmiges Gefühl. Unwohlsein, vielleicht ein bisschen Angst. Als braver Provinzler, der erstmalig die Insel Berlin bereist, ist es hier schon ein bisschen komisch. Also den Blick senken, bloß keinem in die Augen gucken. Hört man ja alles täglich in den Nachrichten, und die werden´s schon wissen. Kopftuchmädchen, Intensivtäter, Deutschenhass- kein gutes Pflaster denke ich mir, als mich der U-Bahn-Aufgang Hermannstraße direkt in die Vorhölle Neukölln spuckt. Dabei wollte ich nur ein paar Tage die Diaspora verlassen, raus aus meinem geliebten, gleichsam durchgekauten Ruhrpott, rein in den Schmelztiegel an der Spree. Aber gleich Neukölln? Viel ist geschrieben worden über diesen Teil der Hauptstadt, nicht viel Gutes, warum muss meine Unterkunft ausgerechnet hier auf mich warten? Ist jetzt egal, das Wichtigste ist jetzt erstmal, heil anzukommen.

Auf meinem Weg komme ich mir vor, wie in einer Geisterbahn politischer Panikmache, wohin ich mich auch bewege, stets vorbei an den Götzen des populistischen Diskurses: Aha, da ist einer dieser „Obst- und Gemüsehändler“, hat wahrscheinlich sonst nichts gelernt. Ein Brautgeschäft, direkt melden sich bei mir die Schlagworte „Zwangsheirat“ und „Importbräute“, kennt man ja alles aus den Medien. Gerade biege ich an der Shisha- Bar links ein, als ich mich vor Schreck fast an meinem Club- Mate verschlucke. Vor mir tut sie sich auf, die unheilige Allegorie aus all jenem, was die einheimischen Neocons als Bedrohung des Abendlandes kolportieren. Man kann so ziemlich alles auf die vielfach geschasste Berliner Rütli-Schule projezieren, was dem deutschen Michel mal wieder heißkalt den Rücken runterläuft. Klappmesser, Gangmentalität, Sprachbarrieren und Ehrenmord, Straßenraub, Migrantencliquen, und, am allerschlimmsten: Leistungsverweigerung!

Nun also ich. Ich schließe grade mit meinem Leben ab, als mich eine heitere Männerstimme nach einer Zigarette fragt. Ich schlucke, das kennt man ja schon, eine nebensächliche Frage als Vorwand, schon hat man ein Messer im Bauch, oder noch schlimmer, wird „Scheiß- Deutscher“ genannt. Als ich merke, dass der junge Mann wirklich nur eine rauchen möchte und mir mitnichten nach Geld oder Leben trachtet, komme ich mir irgendwie benutzt vor. Vielleicht, denke ich mir, geht die Gefahr nicht von unseren „Beutedeutschen“ (Broder) aus, sondern von denjenigen, die einen anarchischen Naturzustand herbeidiskutieren, den es so nicht gibt. Wo sind die U-Bahn Prügler, wo die Burkamütter und die Fundiväter? Es gibt ungefähr alle zwanzig Meter eine Spätkauf, das Bier zu sechzig Cent, den Schnaps zu zehn Euro. Und hier soll die Scharia herrschen? Ich bin fast ein wenig enttäuscht, kein Minarett, kein Menschenhandel, nicht mal ein kleines bisschen Jugendgewalt.

Auf dem Markt plaudert die syrische Fahrlehrerin mit dem polnischen Web-Designer, Moslems essen BigMacs, Christen Schawarma-Taschen, und die Atheisten machen eh, was sie wollen. Es sind ruhige und schöne Tage, die ich in meinem Wahlbezirk verbringe, so ruhig, dass ich, um mich anpöbeln zu lassen, schon in den Osten der Stadt fahren muss. Anscheinend haben Ali und Achmed heute frei, denn die einzigen die mir Schläge androhen, heißen Andi und Adolf, welche die schmerzliche Niederlage Deutschlands anno ´45 scheinbar immer noch nicht verdaut haben. Mittlerweile beziehe ich auf meinen Hauptstadtbesuchen aus purer Gewohnheit „mein“ Neukölln, ein nettes Stück Republik, fast etwas zu friedlich.

Klar, ein paar Halbstarke rufen auf Rap-Songs das Ghetto aus, Straßenabitur, Hasenheide, auf´s Maul. Aber hey, das kenne ich nun wirklich aus jeder Kleinstadt, Allüren sind transzendent. Umso erfreulicher ist es da, junge Gegenbeispiele zum stereotypen Neukölln- Gangster auf dem Medienkongress im schnieke- schnöden Regierungsviertel Berlins zu erleben, die zwei angehenden Abiturienten Yachya Rmeid und Ugur Adigüzel zeigen, wie vielseitig und innovativ der „Problem“- Stadtteil sein kann. Die „krasse Story“ von Neukölln, im Praxistest scheint sie eher wie eine gesittete Geschichte, eine lasche Legende. Thilo Sarrazin selber habe ich übrigens dort nicht gesehen, wahrscheinlich sitzt er zusammen mit den anderen Zündlern in seinem Elfenbeinturm und erfindet neue Windmühlen, gegen die er, natürlich in Buchform, alarmistisch zu Felde ziehen kann.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/ein_mulmiges_gefuehl/

aktuell auf taz.de

kommentare