vonMartin Kaul 04.04.2014

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

Mehr über diesen Blog

Diebstahl, Mobbing, Vandalismus: In der taz ist ein Kampf um den richtigen Umgang mit Götzen und sonstigen Chefs entbrannt. Hintergrund war eine weiße Wand, die über lange Zeit ungeschmückt geblieben war. Die Wand liegt direkt gegenüber des Konferenzraumes, in dem allmorgendlich blattinterne Flügelkämpfe ausgetragen werden, aber auch über Themen und die Zeitung des nächsten Tages gesprochen wird. Eine Kollegin aus der Foto-Redaktion hatte sich kürzlich dazu entschlossen, die weiße Wand mit einem eigens konzipierten Fotokonzept zu schmücken. In Form einer Ahnengalerie hatte sie Fotos von sämtlichen ChefredakteurInnen aufgehangen, die jemals versucht haben, die taz zu leiten. Das sah so aus:taz-Ahnengalerie

Dies war formalästhetisch sehr schön, schmückte die Wand, führte jedoch unmittelbar zu hausinternen Debatten über den richtigen Umgang mit Götzen. Über allem thronte der unabwählbare taz-Geschäftsführer Kalle Ruch in einem besonders schmucken Rahmen, was die Machtverhältnisse im Hause präzise beschrieb.

Herrschaftskritische RedakteurInnen bemängelten, die Zurschaustellung von FührerInnenfiguren entspreche nicht dem Geiste der taz. Alternative Stimmen gaben zu bedenken, es handele sich ohnehin nicht in allen Fällen um Führungsfiguren. Andere wieder freuten sich darüber, dass die taz immer noch geprägt sei von der Kraft des Engagements und der Anarchie. Es sei ermutigend, wenn RedakteurInnen „die Freiheit genießen, ihre Führung selbst auf- und abzuhängen.“

Weil es sich bei dem neuen Wandschmuck um einen offensichtlich symbolisch aufgeladenen und aufladbaren Akt handelte, begann unmittelbar danach das Ringen um den angemessenen Umgang mit der Bildersammlung. Zunächst wurde ein Spiegel angebracht, damit alle MitarbeiterInnen, PraktikantInnen sowie sämtliche Gäste sich ohne größere Hürden leicht einreihen konnten – und ihr Gesicht Teil der Ahnengalerie wurde. Der Spiegel hing natürlich links von den Chefs. Das sah so aus:

taz-Ahnengalerie-mit_spiegel

Die Hürde blieb allerdings bestehen. Im Spiegel konnte sich nur betrachten, wer groß genug war. „Das ist Diskriminierung von Kleinen!“, schrieb eine Stimme dazu im hausinternen Mailverteiler. Dann gab es eine Reihe weiterer Taten. So erhielt natürlich Christian Specht, der zuvor vergessen worden war, seinen unbestritten berechtigten Platz in der Ahnengalerie. Christian Specht ist die einzige echte Integrationsfigur der taz. So weit, so diskursiv.

Seit Mittwoch nun ist allerdings eine neue Stufe des taz-Internen Häuserkampfs entbrannt. Die komplette Ahnengalerie ist verschwunden, sämtliche ChefInnen-Fotos wurden entwendet. Das sieht so aus:

taz-Ahnengalerie-weg

Eines allerdings blieb hängen: Der Spiegel. Der Spiegel hängt immernoch links.

Rechts malte Christian Specht einen Fuchs an die Wand. Dazu stellte er fest: „Wenn ihn jemand von der Wand putzen will, dann beißt er.“

Das plötzliche Verschwinden der Götzenbilder ist durchaus in einem zeitlichen Zusammenhang zu sehen: Am Dienstag hatten die scheidenden Chef-RedakteurInnen Sabine am Orde und Reiner Metzger ihren Abschied im Angesicht der Ahnengalerie gefeiert. Gleichzeitig nahm die neue taz-Doppelspitze von Ines Pohl und Andreas Rüttenauer ihre Arbeit auf. Am Mittwoch waren die Bilder verschwunden. Die Vermutung liegt also nahe: Im späteren Verlauf des Festaktes könnte es von bisher unbekannter Seite zu der symbolischen Entmächtigung gekommen sein. Alles nur ein Party-Spaß?

Von wegen.

Die Schöpferin der Ahnengalerie, nennen wir sie Redakteurin X, forderte die Attentäter öffentlich auf, die beschlagnahmten Werke umgehend auszuhändigen: „Ich habe sehr viel Arbeit und Zeit dafür verwendet und möchte, dass die sofort wieder zurück gebracht werden. Ich finde es auch nicht witzig oder rebellisch, sondern blöd.“ Doch statt Mitleid erntete sie nur Protest.

„Hatte mich grade gefreut, auf dem Weg zum Klo nicht mehr die ganzen Chefnasen sehen zu müssen. Bitte nicht zurückgeben, wer auch immer das war“, schrieb eine Stimme der Hausöffentlichkeit. Eine andere Stimme schrieb: „Mir würde ein großes Foto mit möglichst vielen tazlerinnen, für die wir ja alle Jahre wieder auf den Balkon treten sollen, besser gefallen. Schließlich ist jede tazlerIn an der Produktion der Zeitung (online, print oder Verwaltung, Technik, Service etc. pp) in welcher Funktion auch immer, beteiligt. Nicht nur die Chefs. Die alleine würden dieses Projekt schließlich nicht zustande bringen ohne die vielen ‚Helferlein‘.“

Und schließlich wurde in Reminiszenz an die Jahre der deutschen Teilung festgestellt: „Ich nehme mal an, dass du nicht deine Freizeit dafür verwendet hast, sondern dass du in deiner vom Kollektiv bezahlten Arbeitszeit die Wand dekoriert und dem Personenkult geopfert hast. Geschah das aus eigenem Antrieb oder hattest du einen demokratisch legitimierten Auftrag?“ – Auch darauf gab es eine Antwort. Jemand schrieb: „Das fragt die herrschende Klasse auch immer, wenn ihr was nicht passt.“

Spätestens jetzt war klar: Mit dem Kollektiv der taz macht man keine Witze. Auch nicht in der Freizeit.

Redakteurin X lachte: „Zwei Jahre lang war diese Wand leer. Meine Gegner hätten alle Zeit der Welt gehabt, sie selbst zu gestalten.“

Dann kam das Bekennerschreiben. Geschrieben vom „Kommando Kalle Ruch“.

taz-Ahnengalerie - Bekennerschreiben

Das „Postfach der Bewegung“ ist ein Postfach, über das die taz traditionell ihre Korrespondenzen mit Bekennergruppen führt. Es wurde Anfang der 80er Jahre eingerichtet als in den Gründungszeiten der taz regelmäßig Bekennerbriefe bei der taz eingingen, in denen Forderungen gestellt wurden. Im Postfach der Bewegung wurden diese Forderungen dann meist umgehend erfüllt oder Antwortschreiben hinterlegt. Redakteurin X kaufte ein Glas Gurken. Sie platzierte es im Postfach der Bewegung. Dann dauerte es nicht mehr lange.

„Liebe KollegInnen“, schrieb Redakteurin X einen Tag später, „die Fotos der ChefredakteurInnen sind wieder bei mir. Das ist sehr schön, aber nicht genug. Ich vermisse den schönen Rahmen mit Kalle und ein weiteres Foto. Heute früh habe ich der Bewegung Kalle Ruch ein Glas Gewürzgurken von Hengstenberg (Markenartikel) ins Fach gestellt. Das Glas ist weg, also erwarte ich freudig das Bild zurück.“

Und so ist der Häuserkampf um unsere Götzen noch immer voll im Gange. Denn es steht fest:

Kalle fehlt. Trotz Gurken.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/hausblog/haeuserkampf-um-unsere-goetzen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert