von 11.02.2013

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Ein kostenloser Blick auf Gerwald Claus-Brunner. Foto: dpa
Ein kostenloser Blick auf Gerwald Claus-Brunner. Foto: dpa
In einem Artikel habe ich eine Behauptung über einen Berliner Piraten-Abgeordneten aufgestellt: „Gerwald Claus-Brunner hat gefordert, den Nahverkehr schrittweise kostenlos zu machen“, so schrieb ich es. Claus-Brunner widerspricht auf Twitter: „Fahrscheinloser/ Umlagefinanzierter ÖPNV ist nicht kostenlos“. Er vermutet, dass ich nicht in der Lage gewesen sei, richtig abzutippen: „Meldungen abschreiben sollte man können“.

Diese Vermutung ist falsch: Ich habe mit voller Absicht „kostenlos“ geschrieben statt „fahrscheinlos“ oder „umlagefinanziert“. Ich habe das gemacht, obwohl mir bewusst war, dass die Piraten das Wort nicht verwenden. Ich schrieb dennoch „kostenlos“, weil dieses Wort weit verbreitet und ohne zusätzliche Erklärung direkt verständlich ist. Und meine Aufgabe als Journalist ist ja, Sachverhalte so verständlich wie möglich wiederzugeben. Beim Wort „umlagefinanziert“ hingegen fragt man sich, was das für eine Umlage sein soll und ob die Umlage alle Kosten decken soll, so dass die Fahrt dann kostenlos ist. „Fahrscheinlos“ halte ich für ein ungewöhnliches und sperriges Wort. Ich muss dabei immer an ein Glückslos denken.

Also übersetze ich die Forderungen der Piraten für meine Leser. Genau wie ich in meinen Artikeln „Nichtproliferationsabkommen“ in „Atomwaffensperrvertrag“ übersetze, „spezifische tatsächliche Anhaltspunkte“ in „Beweise“ oder „verwertbare Feststellungen“ in „erwischte Schwarzfahrer“.

Die Piraten argumentieren allerdings: Sie würden gar keinen „kostenlosen“ Nahverkehr fordern, weil das bedeuten würde, dass keinerlei Kosten entstehen. Die Angestellten würden also keinen Lohn bekommen, die Busse wären ein Geschenk der Fahrzeughersteller und der Sprit würde als Biodiesel von landeseigenen Rapsfeldern kommen. Wie viele Leser vermuten wohl, dass das mit „kostenlos“ gemeint ist? Ich halte es für ausgeschlossen, dass jemand das so missverstehen könnte. In der Realität werden viele Sachen als „kostenlos“ bezeichnet, deren Kosten sehr wohl jemand trägt, nur halt jemand anders. Dieses Konzept ist weit verbreitet und allgemein bekannt. Niemand verwendet das Wort so wie die Piraten.

Aber Mooooment. Wenn im Bundesprogramm der Piraten steht, in Kindergärten solle es „eine kostenlose und auf Wunsch ganztägige Betreuung“ geben. Heißt das dann, dass die Erzieher in Zukunft keinen Lohn mehr bekommen sollen und sie das Kita-Essen aus Abfallcontainern fischen müssen??

Update 12. Februar: Viele Kommentatoren vermuten, die Piraten würden mit dem Begriff „umlagefinanziert“ meinen, dass der ÖPNV nicht über Steuern, sondern über eine zweckgebundene Umlage bezahlt wird. Das ist nicht richtig. Ein erster Entwurf (XLS-Datei) der Arbeitsgruppe „ÖPNV Ökosoziales Projekt Berlin“ sieht vor, den kostenlosen ÖPNV über eine Erhöhung von Grundsteuer, Gewerbesteuer und Citytax zu finanzieren. Dieses Missverständnis zeigt erneut, warum man auf den Begriff „umlagefinanziert“ verzichten sollte.

Update 15. Februar: Warum ich in meinen Texten so häufig nicht die offiziellen Begriffe verwende und wie ein Artikel aussehen würde, in dem kein solcher Fehler wäre, steht in einem neuen Blogbeitrag.

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https://blogs.taz.de/hausblog/im-mund-rumgedreht-fahrscheinlos-oder-kostenlos/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Herr Heiser,
    ist das ernsthaft das Niveau, das auf deutschen Journalistenschulen gelehrt wird, oder ist das die taz in Springer’schem Einfluss?

    Wenn Sie nicht kapieren, was der Unterschied zwischen kostenlos und fahrscheinlos/umlagefinanziert (entspricht „zuzahlungsfrei“) ist, dann gehen Sie doch mal wieder mit Ihrer Gehaltsabrechnung zum Arzt. Wenn Sie dann nämlich herausfinden, dass Sie da nichts bezahlen müssen, weil Ihnen monatlich ein bestimmter Betrag für Krankenversicherung abgezogen wird, dann haben Sie den Unterschied verstanden.

    Ich fürchte allerdings, wenn jetzt selbst die Schreiberlinke (schön aufs Wortspiel achten!) nur darauf aus sind, ihre Artikel so zu vereinfachen, dass die Leser nach der Lektüre dümmer sind als vorher – eigentlich eher ein Metier von BILD und WELT -, dann fürchte ich, dass ein Arztbesuch für Sie ohnehin eher umsonst als kostenlos ist…

  • Es gibt einen (juristischen, praktischen) Unterschied zwischen Steuern und Beiträgen. Die Kommunen sind verpflichtet erst Beiträge zu erheben und dann Steuern.

    Beiträge/Gebühren sind zweckgebunden, also zum Beispiel Friedhofs- oder Abwassergebühren. Sie werden für einen Zweck erhoben und werden für diesen verwand. Das liebt der Politiker heute, weil es keine Spielräume für Nachfolger läßt. Eine Maut als Straßenbenutzungegebühr wird (nach Abzug der Verwaltungkosten / Profite für Dritte) für den Straßenbau verwendet.

    Steuern (z.B. die Grundsteuer) werden erhoben und können für alles mögliche verwendet werden, was das Kommunalparlament zum Beispiel so machen will/kann/darf.

    Erhöht man Steuern hat man schlechte Presse und Dritte keine Gewinne, Erhebt man Gebühren die alle zahlen (GEZ) ist man gerecht? Verstehe wer die Welt.

  • Kein Mensch versteht „kostenlos“ im Sinne, dass keine Kosten entstehen würden, sondern nur, dass man als Endkunde nicht direkt für das Produkt bezahlen muss.

    Die Benutzung von Straßen würde man in Deutschland z.B. als „kostenlos“ bezeichnen. Und dabei weiß jeder, dass er die Kosten für die Straßenerhaltung natürlich über die Steuern unter anderem mitfinanziert.

    Das deutsche Privat-Fernsehen ist üblicherweise auch kostenlos, obwohl natürlich hohe Kosten im Hintergrund erstmal entstehen, die dann z.B. über Werbeeinnahmen rückfinanziert werden.

    (Es gibt eh nichts, wo nicht doch irgendwelche Kosten bei irgendjemanden irgendwie entstehen. Deswegen hat der Begriff „kostenlos“ schon nicht die Bedeutung, die hier die einige Piraten dem Begriff andichten wollen.)

    Dazu könnte sich auch Claus-Brunner irgendwie den pöbelnden Ton sparen.

  • „In der Realität werden viele Sachen als “kostenlos” bezeichnet, deren Kosten sehr wohl jemand trägt, nur halt jemand anders.“

    Die Begründung macht es nur noch schlimmer. Die Kosten trägt eben nicht „jemand anders“. Ich frage mich ob der Hintergrund dieser Forderung überhaupt verstanden wurde…

  • Also, wenn Kita-Plätze steuerfinanziert sein sollen, wären sie kostenlos. Wenn der ÖPNV umlagefinanziert sein soll, wäre er nicht kostenlos, sondern nur fahrscheinlos.
    Leider bin ich mit dem Unterschied, ob ich etwas über Steuern oder eine Umlage indirekt mitfinanziere, intellektuell überfordert.

  • Lieber Herr Heiser, da ich mich selbst auch mit dieser Thematik beschäftige, finde ich die Vereinfachung an dieser Stelle falsch. Fahrscheinlos bedeutet, dass ich die Leistung wahrnehmen kann, ohne darlegen zu müssen, dass ich sie bezahlt habe. Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht bezahlen muss, auf welchem Wege auch immer. „Kostenlos“ suggeriert das keine Belastung für die Bürger entstehen, „Fahrscheinlos“, dass eine alternative Bezahlweise eingeführt wird.
    Auch halte ich ihre Begründung, den Zwang als Journalist alles möglich einfach wiederzugeben, für eine schallende Ohrfeige gegen über dem Leser, also mir. Lassen Sie es sich gesagt sein, dass ich und ich denke auch die Mehrheit ihrer Leser, nicht so dumm sind, wie sie meinen.
    Ich hoffe, dieser Kommentar war nicht gratis -äh- umsonst.

  • Bei Ihnen wird sicherlich auch ein „mutmaßlicher Täter“ zum „Täter“ – die Leser und Leserinnen will man schliesslich nicht überfordern :-)

  • Ich stimme durchaus zu, dass man als Journalist Begriffe der Zielgruppe anpassen muss, damit diese sie besser versteht. Aber das ist kein Deckmantel dafür, Begriffe zu verzerren.

    Wenn eine öffentliche Dienstleistung kostenlos ist, dann suggeriert das, dass sie komplett aus Steuern bezahlt wird (wie bspw. die Forderung nach den Kitaplätzen). Aber genau das ist der umlagefinanzierte Nahverkehr nicht. Ein Beitrag wäre da vermutlich ein besserer und einfach erklärter Begriff.

    @jp: Der Begriff „umlagefinanziert“ konkretisiert es nur. Unter einem fahrscheinlosen Nahverkehr kann man auch einen kostenlosen verstehen. Um dieses Missverständnis aus dem Weg zu gehen, ist das nun ein besserer Begriff.

  • Naja, ursprünglich haben die Piraten das ja auch als kostenlos bezeichnet. Dann kamen Vorwürfe von Journalisten und Politiker anderer Parteien, das sei gelogen den es sei ja nicht kostenlos.

    Also haben die Piraten auf umlagefinanziert etc umgeschwenkt weil viele Journalisten und Politiker anscheinen doch zu doof waren zu merken dass es kostenlos nicht gibt. (Naja, in Wirklichkeit haben sie es schon verstanden aber absichtlich falsch ausgelegt. Das machen Politiker und Journalisten recht gerne, das ist einer der rhetorischen Tricks der eine Sach-Diskussion mit Politikern unmöglich macht).

    Naja, und jetzt heißt es bei den Piraten halt umlagenfinanziert. Ich kann schon verstehen dass Piraten nicht wollen dass das von Journalist [A] in kostenlos übersetzt wird, Journalist [B] ‚kostenlos‘ liest und den Piraten dann wieder vorwirft zu lügen, Kostenloskutlur, etc, denn das sei ja gar nicht kostenlos, sondern umlagefinanziert.

  • Finde ich gut, dass die TAZ für ihre LeserInnen die Texte vereinfacht. So einen schönen Leserservice findet man sonst nur noch bei der BILD. Und wenn man dann die ganzen doofen Fremdwörter vermeidet, besteht auch keine Verwechslung mehr zwischen TAZ und FAZ. Das eine ist dann halt die Zeitung für junge, linke Intellektuelle und das andere die TAZ.

    PS: demnächst in Artikeln statt „führerscheinlos“ einfach „fahruntüchtig“ schreiben. Ist ja fast das selbe (oder das gleiche?) und klingt nicht so nach Verlosung.

    3fach Glosse, Helau!

  • Ich kann Herrn Heiser verstehen. Schliesslich würde er auch seinen Rechtfertigungsartikel hier kostenlos – und nicht korrekt: umsonst – nennen.

  • Einige Piraten reagieren auf „kostenlos“ inzwischen gereizt, genervt oder gar pampig, da ihnen oft genug unterstellt wurde, dass sie ein utopisches Schlaraffenland fordern und sich somit für die ganze Diskussion disqualifizieren. Diese Gereiztheit von u.a. Brunner ist natürlich albern, weil jedem, der für 2 Cent nachdenkt, klar sein sollte, dass es um Umlagefinanzierung geht. Eine Position klar zu stellen ist ja OK, sich stets von Trollen verfolgt fühlen eher nicht.

  • Sie behaupten also, die ÖR seien kostenlos. Das ist nunmal falsch.

    Die Analogie zu den ÖR ist tatsächlich eine recht gute. Sie ist plastisch genug, jedem den Unterschied zwischen fahrscheinlos und kostenlos zu veranschaulichen.

    Man muß die Idee der Piraten nicht gut finden, man kann sie auch für vollkommen falsch befinden. Es gebietet aber schon die journalistische Redlichkeit, sie wenigstens korrekt darzustellen, allerspätestens dann, wenn man als politischer Journalist in den vergangenen mindestens 2 Jahren mitbekommen hat, daß die auch von Ihnen vorgenommene Falschdarstellung hergenommen wird, die Piraten (in dem Fall eben unzulässigerweise) zu diskreditieren, um die Auseinandersetzung mit der eigentlichen Idee der Piraten zu vermeiden.

    Ihre „andere Bezeichnung“ der Forderung der Piraten ist mehr als eine solche, sie ist eine Falschdarstellung.

    Die ÖR sind nunmal nicht kostenlos. Tatsache.

  • Ich bin Meinung, dass ein Journalist besonders die Aufgabe hat, Sachverhalte wahrheitsgemäß und relativ betrachtet aufzuführen. Und sehe ich mir Ihren Artikel an, sehe ich darin einen Widerspruch.
    Meiner Meinung nach ergibt sich aus dem Wort „fahrscheinlos“ eine andere Bedeutung als aus „kostenlos“, eben weil sich bei dem ersteren sich auf einmal die Frage stellen könnte: „Kostet es dann gleichviel oder wie will man das finanzieren?“ Somit könnte man in der Position des Lesers Ihres Artikels ersteinmal auf zwei Schlussfolgerungen kommen:
    1. Sie haben damals ebenfalls investigativ schlechte journalistische Arbeit verübt, somit auch einfach zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass die Piraten „fahrscheinlos“ meinten.
    2. Meinungsmacherei.

    Trotzdem
    Mit freundlichen Grüßen

  • Die Analogie zu den ÖR ist tatsächlich eine recht gute. Sie ist anschaulich genug, jedem den Unterschied zu kostenlos zu veranschaulichen.
    Man muß die Idee der Piraten nicht gut finden, man kann sie auch für vollkommen falsch befinden. Es gebietet aber schon die journalistische Redlichkeit, sie wenigstens korrekt darzustellen, allerspätestens dann, wenn man als politischer Journalist in den vergangenen mindestens 2 Jahren mitbekommen hat, daß die auch von Ihnen vorgenommene Falschdarstellung hergenommen wird, die Piraten (in dem Fall eben unzulässigerweise) zu diskreditieren.

  • Nach dem Tweet von Gerwald Claus-Brunner rief ich in der Pressetelle der Fraktion, um die Sache im Gespräch mit ihm aufzuklären. Die Pressesprecherin erläuterte mir, dass die Piraten das Wort „kostenlos“ aus genau diesem Grund nicht verwenden.

    Auch online schreiben die Piraten: „Der Begriff ‚kostenlos‘ kann schnell mit linkem Idealismus verwechselt werden. Er lädt geradezu dazu ein, dem Verwender (egal ob berechtigt oder nicht) vorzuwerfen, dass er sich keine Gedanken macht, dass der ÖPNV ja trotzdem Geld kostet und das Geld irgendwo herkommen muss.“

    > Wenn Sie Sachverhalte so weit herunterbrechen, daß diese anschließend
    > falsch dargestellt werden, und das auch noch mit voller Absicht,
    > dann haben Sie Ihren Beruf verfehlt.

    Richtig. Aber wo habe ich die Forderungen der Piraten falsch dargestellt? Ich habe sie nur anders bezeichnet, um damit das von den Piraten geforderte Konzept besser und verständlicher zu erklären.

  • „Die Piraten argumentieren allerdings: Sie würden gar keinen “kostenlosen” Nahverkehr fordern, weil das bedeuten würde, dass keinerlei Kosten entstehen.“

    Aha. Wo genau argumentieren die denn so?

    Wenn Sie Sachverhalte so weit herunterbrechen, daß diese anschließend falsch dargestellt werden, und das auch noch mit voller Absicht, dann haben Sie Ihren Beruf verfehlt.

    Als Analogie fällt mir auf Anhieb ein, daß Sie dann auch behaupten müssen, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk sei kostenlos.

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