In einem Artikel habe ich eine Behauptung über einen Berliner Piraten-Abgeordneten aufgestellt: „Gerwald Claus-Brunner hat gefordert, den Nahverkehr schrittweise kostenlos zu machen“, so schrieb ich es. Claus-Brunner widerspricht auf Twitter: „Fahrscheinloser/ Umlagefinanzierter ÖPNV ist nicht kostenlos“. Er vermutet, dass ich nicht in der Lage gewesen sei, richtig abzutippen: „Meldungen abschreiben sollte man können“.
Diese Vermutung ist falsch: Ich habe mit voller Absicht „kostenlos“ geschrieben statt „fahrscheinlos“ oder „umlagefinanziert“. Ich habe das gemacht, obwohl mir bewusst war, dass die Piraten das Wort nicht verwenden. Ich schrieb dennoch „kostenlos“, weil dieses Wort weit verbreitet und ohne zusätzliche Erklärung direkt verständlich ist. Und meine Aufgabe als Journalist ist ja, Sachverhalte so verständlich wie möglich wiederzugeben. Beim Wort „umlagefinanziert“ hingegen fragt man sich, was das für eine Umlage sein soll und ob die Umlage alle Kosten decken soll, so dass die Fahrt dann kostenlos ist. „Fahrscheinlos“ halte ich für ein ungewöhnliches und sperriges Wort. Ich muss dabei immer an ein Glückslos denken.
Also übersetze ich die Forderungen der Piraten für meine Leser. Genau wie ich in meinen Artikeln „Nichtproliferationsabkommen“ in „Atomwaffensperrvertrag“ übersetze, „spezifische tatsächliche Anhaltspunkte“ in „Beweise“ oder „verwertbare Feststellungen“ in „erwischte Schwarzfahrer“.
Die Piraten argumentieren allerdings: Sie würden gar keinen „kostenlosen“ Nahverkehr fordern, weil das bedeuten würde, dass keinerlei Kosten entstehen. Die Angestellten würden also keinen Lohn bekommen, die Busse wären ein Geschenk der Fahrzeughersteller und der Sprit würde als Biodiesel von landeseigenen Rapsfeldern kommen. Wie viele Leser vermuten wohl, dass das mit „kostenlos“ gemeint ist? Ich halte es für ausgeschlossen, dass jemand das so missverstehen könnte. In der Realität werden viele Sachen als „kostenlos“ bezeichnet, deren Kosten sehr wohl jemand trägt, nur halt jemand anders. Dieses Konzept ist weit verbreitet und allgemein bekannt. Niemand verwendet das Wort so wie die Piraten.
Aber Mooooment. Wenn im Bundesprogramm der Piraten steht, in Kindergärten solle es „eine kostenlose und auf Wunsch ganztägige Betreuung“ geben. Heißt das dann, dass die Erzieher in Zukunft keinen Lohn mehr bekommen sollen und sie das Kita-Essen aus Abfallcontainern fischen müssen??
Update 12. Februar: Viele Kommentatoren vermuten, die Piraten würden mit dem Begriff „umlagefinanziert“ meinen, dass der ÖPNV nicht über Steuern, sondern über eine zweckgebundene Umlage bezahlt wird. Das ist nicht richtig. Ein erster Entwurf (XLS-Datei) der Arbeitsgruppe „ÖPNV Ökosoziales Projekt Berlin“ sieht vor, den kostenlosen ÖPNV über eine Erhöhung von Grundsteuer, Gewerbesteuer und Citytax zu finanzieren. Dieses Missverständnis zeigt erneut, warum man auf den Begriff „umlagefinanziert“ verzichten sollte.
Update 15. Februar: Warum ich in meinen Texten so häufig nicht die offiziellen Begriffe verwende und wie ein Artikel aussehen würde, in dem kein solcher Fehler wäre, steht in einem neuen Blogbeitrag.
Herr Heiser,
ist das ernsthaft das Niveau, das auf deutschen Journalistenschulen gelehrt wird, oder ist das die taz in Springer’schem Einfluss?
Wenn Sie nicht kapieren, was der Unterschied zwischen kostenlos und fahrscheinlos/umlagefinanziert (entspricht „zuzahlungsfrei“) ist, dann gehen Sie doch mal wieder mit Ihrer Gehaltsabrechnung zum Arzt. Wenn Sie dann nämlich herausfinden, dass Sie da nichts bezahlen müssen, weil Ihnen monatlich ein bestimmter Betrag für Krankenversicherung abgezogen wird, dann haben Sie den Unterschied verstanden.
Ich fürchte allerdings, wenn jetzt selbst die Schreiberlinke (schön aufs Wortspiel achten!) nur darauf aus sind, ihre Artikel so zu vereinfachen, dass die Leser nach der Lektüre dümmer sind als vorher – eigentlich eher ein Metier von BILD und WELT -, dann fürchte ich, dass ein Arztbesuch für Sie ohnehin eher umsonst als kostenlos ist…