Ich habe offenbar in ein Wespennest gestochen. In einem Kommentar zum Verlust von 50 Arbeitsplätzen durch die Zusammenlegung der Redaktionen von BILD-Berlin und der ebenfalls zum Axel-Springer-Verlag gehörenden Berliner Boulevardzeitung B.Z. schrieb ich:
Natürlich gibt es auch bei diesen Blättern gute Journalisten, die mit sachkundigen Beiträgen Aufklärung im besten Sinne leisten. Es gibt aber auch die anderen, die mit Schweinemethoden, mit Lügen, Erpressungen und Bestechungen an ihre Informationen aus der Welt der Kriminalität, der Prominenz oder des Rotlichts kommen. Es gibt die, die gegen alternative Lebensentwürfe hetzen, die Stimmung gegen Minderheiten machen, die bleiernen Konservatismus verbreiten oder in fremder Leute Privatsphäre eindringen. Die Arbeitslosigkeit dieser Kollegen ist ein Gewinn für die Stadt. Und natürlich auch für sie selbst: Sie gibt ihnen die Chance, doch noch zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.
Der Text wurde kontrovers diskutiert. Bülent Ürük von newsroom.de hat als erster darüber berichtet und auch zahlreiche Stimmen pro und contra zusammengetragen.
Nun, man kann meine Meinung teilen oder nicht. Es gab dabei allerdings unter den vielen Argumenten eines, das mich doch überrascht hat und das ich unzulässig finde. Es ist die Forderung, ich solle durch meine journalistische Arbeit Solidarität mit anderen Journalisten ausdrücken. „Solidarität ist da offenbar ein Fremdwort!“, meint Petra Lohse. „Solidarität mit Kollegen geht anders!“, so Georg Weißling. Der Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes Hendrik Zörner schreibt: „Was man als Journalist aber keinesfalls machen darf, auch nicht als Schreiber der taz, ist sich öffentlich über die Vernichtung journalistischer Arbeitsplätze zu freuen.“ Julia Schmitz fasst es wie folgt zusammen: „Was für ein Kollegenschwein…“
Wenn man als Journalist über andere Berufszweige schreibt, wird solche Solidarität nicht erwartet. Es wird akzeptiert, dass man als Journalist der Meinung sein kann, dass die Baggerfahrer in den Braunkohletagebauen ihre Jobs verlieren sollten, weil diese Jobs umweltschädlich sind. Die Angestellten in der Rüstungsindustrie, in der Massentierhaltung, in Cold-Call-Callcentern, in der Barbie-Puppenproduktion, bei Billigfliegern, bei Homöopathieherstellern – bei all denen kann man der Ansicht sein, dass ihre Jobs gesellschaftlich schädlich sind und sie sie dehalb verlieren sollten. Es gibt dabei sogar noch einen Unterschied zu Journalisten: Wir sind in weitaus höherem Maße als ein Fließbandarbeiter selbst für das Endprodukt verantwortlich – und können deshalb auch stärker persönlich dafür verantworlich gemacht werden.
Als ich vor ein paar Jahren durch eine verdeckte Recherche aufzeigen konnte, wie weit verbreitet Schleichwerbung bei der ZEIT, der WAZ, der Frankfurter Rundschau und dem Neuen Deutschland ist – hätte ich darüber besser nicht berichten sollen? Schließlich habe ich habe damit ermöglicht, dass die Behörden von diesen Verstößen gegen die Landespressegesetze erfahren und dagegen vorgehen. Das war natürlich unsolidarisch gegenüber den Kollegen, die in den dortigen Redaktionen mit Schleichwerbung ihr Geld verdienen. Aber trotzdem war es richtig. Weil kritische Medienberichterstattung sonst nicht möglich wäre.
PS: Gefragt wurde auch von einigen Kritikern, ob ich denn wohl bei meiner Arbeit immer alles richtig mache, wenn ich mich schon so über die Kollegen erhebe. Mache ich natürlich nicht – siehe meine Vierte-Gewalt-Bilanz.
Heiser hat vollkommen Recht, aber aus etwas anderen Gründen, als er denkt. Nicht die skrupellosen Arbeitsmethoden der Journalistenkollegen sind das Hauptproblem an BILD, sondern das gedruckte Ergebnis und was es in den Köpfen der Leserschaft anstellt.
Jeder einzelne Buchstabe der Boulevardmedien und der Yellow-Press ist Verschwendung von materiellen und geistigen Ressourcen, jede Meldung eine Verwahrlosung des Nachrichtenhandels, jeder Artikel nagt wie eine Ratte am wertvollen Gut der Öffentlichkeit.
Die Vermüllung der Köpfe durch sogenannte Massenmedien ist von der Verluderung der journalistischen Sitten nicht zu trennen. Doch ihr Verdrängungswirkung ist für uns alle schlimmer als die Umstände, unter denen sie zustande kommt.