von 02.08.2013

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Ich habe offenbar in ein Wespennest gestochen. In einem Kommentar zum Verlust von 50 Arbeitsplätzen durch die Zusammenlegung der Redaktionen von BILD-Berlin und der ebenfalls zum Axel-Springer-Verlag gehörenden Berliner Boulevardzeitung B.Z. schrieb ich:

 

Natürlich gibt es auch bei diesen Blättern gute Journalisten, die mit sachkundigen Beiträgen Aufklärung im besten Sinne leisten. Es gibt aber auch die anderen, die mit Schweinemethoden, mit Lügen, Erpressungen und Bestechungen an ihre Informationen aus der Welt der Kriminalität, der Prominenz oder des Rotlichts kommen. Es gibt die, die gegen alternative Lebensentwürfe hetzen, die Stimmung gegen Minderheiten machen, die bleiernen Konservatismus verbreiten oder in fremder Leute Privatsphäre eindringen. Die Arbeitslosigkeit dieser Kollegen ist ein Gewinn für die Stadt. Und natürlich auch für sie selbst: Sie gibt ihnen die Chance, doch noch zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu werden.

 

Der Text wurde kontrovers diskutiert. Bülent Ürük von newsroom.de hat als erster darüber berichtet und auch zahlreiche Stimmen pro und contra zusammengetragen.

 

Nun, man kann meine Meinung teilen oder nicht. Es gab dabei allerdings unter den vielen Argumenten eines, das mich doch überrascht hat und das ich unzulässig finde. Es ist die Forderung, ich solle durch meine journalistische Arbeit Solidarität mit anderen Journalisten ausdrücken. „Solidarität ist da offenbar ein Fremdwort!“, meint Petra Lohse. „Solidarität mit Kollegen geht anders!“, so Georg Weißling. Der Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes Hendrik Zörner schreibt: „Was man als Journalist aber keinesfalls machen darf, auch nicht als Schreiber der taz, ist sich öffentlich über die Vernichtung journalistischer Arbeitsplätze zu freuen.“ Julia Schmitz fasst es wie folgt zusammen: „Was für ein Kollegenschwein…“

 

Wenn man als Journalist über andere Berufszweige schreibt, wird solche Solidarität nicht erwartet. Es wird akzeptiert, dass man als Journalist der Meinung sein kann, dass die Baggerfahrer in den Braunkohletagebauen ihre Jobs verlieren sollten, weil diese Jobs umweltschädlich sind. Die Angestellten in der Rüstungsindustrie, in der Massentierhaltung, in Cold-Call-Callcentern, in der Barbie-Puppenproduktion, bei Billigfliegern, bei Homöopathieherstellern – bei all denen kann man der Ansicht sein, dass ihre Jobs gesellschaftlich schädlich sind und sie sie dehalb verlieren sollten. Es gibt dabei sogar noch einen Unterschied zu Journalisten: Wir sind in weitaus höherem Maße als ein Fließbandarbeiter selbst für das Endprodukt verantwortlich – und können deshalb auch stärker persönlich dafür verantworlich gemacht werden.

 

Als ich vor ein paar Jahren durch eine verdeckte Recherche aufzeigen konnte, wie weit verbreitet Schleichwerbung bei der ZEIT, der WAZ, der Frankfurter Rundschau und dem Neuen Deutschland ist – hätte ich darüber besser nicht berichten sollen? Schließlich habe ich habe damit ermöglicht, dass die Behörden von diesen Verstößen gegen die Landespressegesetze erfahren und dagegen vorgehen. Das war natürlich unsolidarisch gegenüber den Kollegen, die in den dortigen Redaktionen mit Schleichwerbung ihr Geld verdienen. Aber trotzdem war es richtig. Weil kritische Medienberichterstattung sonst nicht möglich wäre.

 

PS: Gefragt wurde auch von einigen Kritikern, ob ich denn wohl bei meiner Arbeit immer alles richtig mache, wenn ich mich schon so über die Kollegen erhebe. Mache ich natürlich nicht – siehe meine Vierte-Gewalt-Bilanz.

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https://blogs.taz.de/hausblog/journalistische-haltung-solidaritaet-mit-den-kollegen/

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kommentare

  • Heiser hat vollkommen Recht, aber aus etwas anderen Gründen, als er denkt. Nicht die skrupellosen Arbeitsmethoden der Journalistenkollegen sind das Hauptproblem an BILD, sondern das gedruckte Ergebnis und was es in den Köpfen der Leserschaft anstellt.

    Jeder einzelne Buchstabe der Boulevardmedien und der Yellow-Press ist Verschwendung von materiellen und geistigen Ressourcen, jede Meldung eine Verwahrlosung des Nachrichtenhandels, jeder Artikel nagt wie eine Ratte am wertvollen Gut der Öffentlichkeit.

    Die Vermüllung der Köpfe durch sogenannte Massenmedien ist von der Verluderung der journalistischen Sitten nicht zu trennen. Doch ihr Verdrängungswirkung ist für uns alle schlimmer als die Umstände, unter denen sie zustande kommt.

  • So, so, Journalisten, die Konservatismus verbreiten, sollen also ihren Job verlieren und erst wieder eine Arbeit bekommen, wenn sie ihrer bösen, bösen Einstellung abschwören. Wo ist denn ein Unterschied zwischen dieser Geisteshaltung und der, die Springer respektive „Bild“ und „B.Z.“ immer unterstellt wird? Außer das sie bei Springer spiegelverkehrt argumentieren. Wer nicht meiner Meinung ist, mit dem diskutiere ich nicht. Nein, dem wünsche ich alle Übel dieser Arbeitswelt, bis er zu Kreuze kriecht. So wird ein Diskurs erst richtig schön.

    • Roy, sie bieten mir womöglich eine Gelegenheit, auf die ich lange gewartet habe. Ich fragte mich lange, was der Sinn von Boulevard-Journalismus im großen Ganzen ist. Eine abschließende Antwort fand ich nie. Sagen Sie mir: Wozu braucht die Bundesrepublik Boulevardjournalismus?

      —Mein erster, und eventuell letzter Hieb: Boulevardjournalismus ist nur ein habgieriger, schlechter erzogener Verwandter vom seriösem Journalismus.—

    • Springer-Journalisten verbreiten keinen „Konservatismus“ (gemeint ist wohl Konservativismus), sondern Dummheit, Unrecht und, ja, faschistisches Gedankengut. Das beschränkt sich nicht auf Bild, Bams und die durch eine geschickte PR-Kampagne auf einmal als seriös geltende Welt, sondern sieht in den furchtbaren Lokalblättchen noch viel schlimmer aus. Nehmen Sie sich mal eine beliebige Ausgabe vor und zählen Sie durch, wie häufig darin Menschen abgewertet und bloßgestellt werden, und wie der Leser auf primitivste Weise aufgehetzt werden soll.

  • … an dieser skrupellosen „Haltung“ hat das System letztendlich mit subtiler Propaganda und noch subtilerer Werbung jahrzehnte lang gearbeitet; und ja, wir alle sind dafür verantwortlich! Was Du säst, das wirst Du ernten.

  • Der Mensch ist zu aller erst Mensch und darf eine Haltung haben, erst dann ist er Journalist, Baggerfahrer oder sonst etwas. Als Mensch kann man immer und jeder Zeit der Meinung sein, dass eine bestimmte Art des Journalismus einer Gesellschaft schadet. Im Falle der BILD ist das so, ein weniger an Gehetze, Grenzverletzungen gegenüber Menschen, kann dieser Gesellschaft nur gut tun. Ob ich das als Journalist oder als Baggerfahrer äußere, ist dabei vollkommen nebensächlich. Ich verstehe das als Meinungsäußerung zu üblen Entwicklungen die BILD – Journalisten befördern und nicht als Freude am Verlust des Arbeitsplatzes von einzelnen Personen.

  • Guten Tag!

    Willkommen im Club.

    Ich habe schon vor drei Jahren über diese Frage gebloggt. Damals ging es noch nicht um Entlassungen, sondern nur um streikende Tageszeitungsredakteure und die Frage, wie solidarisch die denn mit den freien Journalisten umgehen?

    http://www.geprothmannt.de/zeitungsstreik-solidaritaet-wieso-weshalb-warum/730.html

    Nein, ich bin nicht solidarisch mit den „Kollegen“. Weil Schmierenjournalist/innen keine Kollegen sind, sondern Leute, die ich verachte. Teils skrupellose Figuren, die mit nichts und niemandem in ihrem Leben solidarisch waren, außer dem eigenen Geldbeutel und der eigenen Karriere.

    Und Zeitungen, die scheinbar sozialkritisch über Demos von Arbeitnehmern durchaus auch mal „harte“ Kommentare schreiben, kann ich nicht ernst nehmen, wenn sie die miesen Löhne der Zeitungszusteller, die lächerlichen Honorare für die Freien und Fotografen im eigenen Haus verschweigen.

    Die Larmoyanz der Branche ist widerlich. Der DJV, diese verdeckte PR-Fuzzi-Organisation, hält lieber mal die Klappe angesichts kompletten Versagens bei Mindesthonoraren und anständiger Vergütung im Online-Bereich.

    Ich kenne das mit dem „Kollegen-Schwein“, zudem bin ich angeglich Zeitungshasser und sowieso eine „gescheiterte Existenz“ – weil ich nie irgendwo untergekommen bin. Dass ich aus Überzeugung freier Journalist bin, kommt diesen Wadenbeißern überhaupt nicht in den Sinn. Wirklich für etwas einzutreten, Jobs nicht zu machen, weil man sie ablehnt oder nicht einer „redaktionellen Linie“ folgen zu wollen.

    Nein – kein Mitleid für Leute, die sich tariflich höhere Gehälter ersessen haben und sich nie für die Arbeitsbedingungen der freien interessiert haben. Jetzt haben sie ein Problem? Willkommen auch in diesem Club.

    Bewährt Euch oder geht stempeln. Aber heult nicht rum – das ist noch nicht mal erbärmlich, sondern widerlich.

    Sorry, steht ausgerechnet in der Welt – aber vor dieser Kollegin habe ich jeden Respekt.

    http://www.welt.de/politik/ausland/article118016347/Das-unfassbare-Leben-einer-Kriegsreporterin.html

    Schöne Grüße
    Hardy Prothmann

  • „Solidarid es la ternura de los pueblos“

    Es geht hier um die Formulierung per se – auf die man in ihrem Job gerade achten sollte (dachte ich zumindest bisher).

    Eine Formulierung kann einen Menschen degradieren – und das ist genau das, was Sie gemacht haben.

    Sicherlich ist der Baggerführer in der Lausitz auch entlassen worden – aber können Sie sich auch nur an eine Formulierung erinnern, die ein „gut, daß der Baggerführer jetzt geht“ enthalten hätte, nur um auf die Thematik Braunkohleabbaustop hinzuweisen?

    Ich denke, Sie sollten sich einfach entschuldigen.

  • Ich gratuliere Ihnen für diesen Artikel. Pressefreiheit kann ja nicht heißen, dass man ohne ethische und moralische Maßstäbe an die Beurteilung journalistischer Arbeit herangehen muss. Und Solidarität sollte dort ersichtlich sein, wo einem Journalisten seine öffentliche Aufgabe bestmöglichst objektiver Berichterstattung erschwert bzw. abhängig gemacht wird von den Meinungen und Ambitionen derer, die die Zeitung, für die er arbeitet, verlegen.
    Journalisten sollten keine Meinungsmacher sein, sondern alle Informationsgrundlagen liefern, die der Leser benötigt, um sich ein eigenes und fundiertes Bild zu machen.
    Ich denke, durch diese Kündigungen erhält die deutsche Presselandschaft einen schon längst überfälligen Adrenalinstoß, der hoffentlich einige von denen, die jetzt nur noch an Stammtischen schwadronieren können, zum Nachdenken anregt.

  • Sie legen einfach fest, wer Journalist sein darf und wer nicht. Das kennt man im linken Zeigefinger-Journalismus, der uns sagt, was gut ist und was man zu lassen hat. Das ist für eine Demokratie schon grenzwertig, um es zurückhaltend zu formulieren. Wenn man sich beispielsweise das Altmaier-Outung durch die taz anschaut, ist auch die Frage, in welchem Medium „Schweinemethoden“ mehr zu Hause sind.

    • Nein, ich will nicht „festlegen, wer Journalist sein darf und wer nicht“. In Deutschland gibt es keinerlei Zugangsbeschränkungen in den Journalistenberuf, jeder kann das werden, und das ist auch richtig so. Gäbe es eine solche Zulassungsstelle für Journalisten, würde es die Gefahr in sich bergen, dass diese Macht missbraucht wird, um missliebige Meinungen zu unterdrücken. Jeder sollte seine Meinung frei sagen dürfen. Meine Meinung ist, dass es ein Gewinn für die Gesellschaft ist, wenn einige Leute nicht mehr als Journalisten arbeiten. Ich fordere aber kein vom Staat verhängtes Berufsverbot für diese Leute.

    • Das sollen Medien lassen:
      In Nachrichten nur einen Teil dieser Fragen beantworten: Wer? Was? Wann? Wie? Wo? Warum? Welche Quelle?
      Informanten mit Geld schmieren
      Leben auf Sex und Verbrechen reduzieren
      Opfern in Schock-Situationen auf die Pelle rücken

      Alle kritisierten Praktiken habe ich bei Berliner Boulevardzeitungen erlebt. Wie Journalisten Verwandte von Todesopfern unmittelbar nach dem Tod ausfragen. Wie in der B.Z. regelmäßig auf den vorderen Seiten in den Randspalten Meldungen stehen, in denen der Grund eines Ereignisses einfach fehlt.

      Als am Bahnhof Lichtenberg einmal ein Mann schwer verletzt wurde, bezahlten die B.Z., Berliner Kurier (und RTL) einen Mitarbeiter von einem Internetcafé in der Karl-Lade-Straße mit rund 1.000 Euro für Informationen. Kann der Mann schriftlich dokumentieren. Seriöse Journalisten schmieren nicht.

      Texte über Vergewaltigungen werden in den Boulevardmedien oft detailliert beschrieben. Wieso? Als Anleitung? Ich kann mir das bis heute nur so erklären, dass die Details Leser aufreizen sollen. Fantasien von Vergewaltigungen bei Sex sind in der Gesellschaft weit verbreitet. Solche Fantasien mit echten Straftaten zu befördern finde ich pervers. Sie fördern Missbrauch.

      Auch die taz veröffentlichte diesem Sinne vor Kurzem grenzwärtig, wie ich finde. Sie gab bei einer vergewaltigten Frau in Berlin mehrere intime Details zu der Tat wieder. Damit wollte sie vermutlich das Gericht kritisieren, dass diese Details behandelte. Bei so einer Straftat geht das möglicherweise nicht anders. Weiß ich nicht, darauf ging die taz nicht ein. Ich weiß aber, dass mich Beschreibungen von Sexszenen aufreizen. Da werde ich nicht der einzige Leser sein. Bei Berichten über Straftaten möchte ich aber keine Pornografie, sondern Respekt vor Opfern und angemessene Einordnung.

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