„Mehr Utopie wagen, das wäre ein gutes Gegengift zu den multiplen Krisen und Überforderungen, die viele von uns erfasst“
Worte, daran glauben wir Journalistinnen und Journalisten mit eiserner Überzeugung, haben die Kraft, Welten auferstehen zu lassen. „Befreite Liebe“, „antiautoritäre Revolte“ oder auch „Gegenöffentlichkeit“ sind (im westdeutschen Kontext) Worte mit einer solch starken emotionalen Aufladung. Sie sprechen vom Gefühl des Aufbruchs, von einem radikalen Idealismus der 70er Jahre. Sie erzählen von einer gelebten Utopie, mit all ihrer Widersprüchlichkeit.
In diesem von Hoffnung und Widerstand geprägten Geist wurde auch die taz gegründet. Damals, 1978, war die tägliche Tageszeitung eine Utopie, die unsere Gründer.innen mit trotzigem Idealismus zur Realität gemacht haben. Von diesem trotzigen Idealismus ist die Gesellschaft von heute weit entfernt.
Sehnsucht nach Utopie
Und zugleich wächst in diesen Zeiten, die von einem ernüchternden, oft schmerzhaften Realismus geprägt sind, die Sehnsucht nach einer Utopie, die aus mehr besteht als aus der Frage, welches Gasvorkommen uns aus der Abhängigkeit von Russland rettet und ob schwere, leichte oder keine Waffen die Wahl der Woche sind.
Mehr Utopie wagen, das wäre ein gutes Gegengift zu den multiplen Krisen und Überforderungen, die viele von uns erfasst haben. Wo also, wenn nicht in der taz, soll dieser Geist lebendig werden? Genauer gesagt in der neuen Wochenzeitung der taz.
Ja, wir gründen diesen Herbst etwas Neues: die wochentaz!
Die taz ist weit fortgeschritten auf dem Weg der digitalen Transformation. Wir erfinden unsere Apps anders, denken unsere Website neu, setzen eine Vielzahl an Social Media-Kanälen in die Welt. Doch wenn die täglich gedruckte Zeitung einmal in den Status einer nur in der App erscheinenden Tageszeitung wechselt, sind wir trotzdem mit einer, dieser neuen Wochenzeitung sieben Tage auch analog noch am Start.
In zahlreichen Workshops und Jour Fix’en diskutieren tazzlerinnen und tazzler den Sommer über die neue wochentaz und insbesondere über einen neuen Zeitungsteil unter dem Arbeitstitel „Utopie“. Aus der „Utopie“ ist jetzt die „Zukunft“ geworden.
Die „Zukunft“ soll mit Lebensentwürfen in einer Gesellschaft im Umbruch zu tun haben, mit Wissenschaft und mit Experimenten, mit einzelnen Ideen und kollektiven Prozessen und der zentralen Frage, wie ein aufgeklärtes, freies Leben inmitten der Klimakrise aussehen kann. Die „Zukunft“ wird ein Kernstück unserer neuen Wochenzeitung sein, die ab 12. November erscheinen soll.
Hier wurde ein eingebetteter Medieninhalt blockiert. Beim Laden oder Abspielen wird eine Verbindung zu den Servern des Anbieters hergestellt. Dabei können dem Anbieter personenbezogene Daten mitgeteilt werden.Schon in einem ersten Schritt hatten wir unsere Wochenendausgabe im vergangenen Herbst mit mehr Politik, mehr Meinung und mehr Perspektiven, mit mehr Wissenschaft und mehr überregional Regionalem bereichert. In der wochentaz geben wir uns noch mehr Raum für die ausgeruhte Analyse, werfen auch einen Blick auf das gute Leben, gönnen uns mehr kulturelle Vielfalt und modernisieren unseren Blick auf die Medienentwicklung. Jetzt wird aus der Wochenendzeitung eine echte Wochenzeitung.
Wochenzeitung werden und Tageszeitung bleiben
1978 hatten nur wenige geglaubt, dass das Projekt „alternative Tageszeitung“ mit der Idee einer Gegenöffentlichkeit blühen könnte. Mit dem gleichen trotzigen Idealismus, wie ihn die taz-Gründer.innen mitbrachten, wollen wir jetzt Wochenzeitung werden und Tageszeitung bleiben. Gerade weil sich die Zeiten so wenig nach Aufbruch und Zuversicht anhören, Krise in der Dauerschleife, Zeitenwenden im Stolpermodus, Ratlosigkeit im Sonderangebot.
Wir arbeiten an einer Wochenzeitung für Menschen, denen die Welt nicht egal ist. Für Menschen, die nicht bereit sind, sich faktischen oder vermeintlichen Realitäten zu beugen. Ohnmacht, daran haben wir tazzler.innen schon immer geglaubt, begegnet man am besten durch Bewegung, Zukunftswillen – und einer Utopie.
Von Barbara Junge, taz-Chefredakteurin
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