Ist die neue taz aufgefallen? Und wie! Die Mails im taz-Postfach: vernichtend, begeistert und differenziert. Dazu kommen 7.919 bezahlte Testabos.
Stell dir vor, du hast einen neuen Look, aber niemanden kümmert das. Eine grauenvolle Vorstellung, auch für uns Blattmacher, denn es ist unser Beruf, Informationen gut rüberzubringen: spannend präsentiert, angenehm zu lesen, leicht zu verstehen. Gerade diese Zeitung gab sich nie nur mit der Nachricht zufrieden, sie hat sie immer vertazt. Naked news bringt der Ticker.
Oktober, November, Dezember – 69 Tage sind vergangen, seit wir der taz ein neues Outfit verpasst haben. Am Werktag und am Wochenende, auf Papier und in der App, nicht nur optisch, sondern auch konzeptionell. Schon vor dem Start am 2. Oktober hatten wir ein paar Ankündigungen dazu veröffentlicht – ein wenig besorgt, dass das Ganze niemand mitbekommt. Und dann? Ist das neue Kleid der taz jemand aufgefallen? Aber wie!
Diese Reform hat die Leidenschaft neu geweckt, über die taz zu reden. Man wird im Haus der Bundespressekonferenz angesprochen und an der Obsttheke in der Kaufhalle. Wir haben eine enorme Zahl von Mails, Briefen und Reaktionen auf Facebook und Twitter bekommen. Allein unter neu@taz.de gingen 224 Mails ein. Wenn man sie nach dem Ampelsystem unterteilt in Rot („Grrrräßlich!“) , Grün („Großartig gelungen!“) und Gelb („…als ich nach drei Stunden noch mal drauf sah, fand ich es gar nicht so schlecht.“), kommt heraus: 35 Prozent vernichtend-rot, 20 Prozent begeistert-grün und 45 Prozent differenziert-gelb.
Wie zu alte Kohlrabi: holzig, billig und steif!
Die meisten Emails und auch Briefe haben sich ausführlich mit den Änderungen auseinandergesetzt. Manche Leser*innen gingen die Zeitung sogar Seite für Seite durch, in beeindruckender analytischer Schärfe. Andere blafften uns an („Wie zu alte Kohlrabi: holzig, billig und steif!“) und wieder andere grüßten begeistert vom Frühstückstisch. „Richtig gut lesbare Headlines!“, „Die Überschriften verschwimmen!“ – in den ersten Tagen konnte es vorkommen, dass innerhalb von Minuten völlig gegensätzliche Bewertungen im Postfach landeten.
Das haben wir uns gewünscht. Diskussionsfreude ist schließlich das, was uns mit den taz-Leser*innen in besonderem Maße verbindet. Dass das neue Layout polarisieren würde, war uns vorher klar. Wir wären ja auch nicht die taz, wenn wir der Zeitung einfach nur einen neuen Schlips oder besser: einen Schal umgebunden hätten. Es sollte mehr sein. Wir wollten raus aus den alten Sachen. Wir möchten die Einzigartigkeit der taz stärken. Durch etwas Neues.
Wie antwortet man auf die ganzen Mails? Den grün-applaudierenden dankt man glücklich. Mit den Absender*innen der gelben-differenzierten durchdenkt man die wichtigsten Punkte. Und den rot-ablehnenden – (oh ja, man leidet beim Lesen solcher Mails!) schreibt man mitunter ebenso gepfeffert zurück. Woraus sich nicht selten lange und herzliche Mailwechsel ergeben haben. Denn egal, ob Bashing oder Bestärkung, ob in Prosa oder Gedichtform: Aus diesen Reaktionen spricht großes Engagement.
In den Mails steckt vieles, was uns freut. Wenn Leser*innen uns schreiben, dass sie nun die Zeitung genauer studieren, dass sie Sachen neu kennengelernt haben, die ihnen vorher nie aufgefallen sind. Dass Kleinigkeiten, in denen viel Arbeit steckt, geschätzt werden wie große Reportagen, das bekommt man auf diese Weise endlich mal gesagt. Oder wenn jemand erklärt, dass die werktägliche Seite 2 „Der Tag“ die neue Lieblingsseite sei, denn an der hat die Entwicklungsgruppe der Redaktion besonders lange gearbeitet.
Manche der Reaktionen fließen in die tägliche Arbeit ein, denn schließlich mischen sich jeden Tag Ideen und Entscheidungen der Redaktion neu zur tageszeitung. Ein Beispiel: Einige der Maildiskussionen drehten sich um die 17-zeiligen Kurzachrichten in den Ressorts Inland, Wirtschaft und Umwelt und Ausland. Wir wollen sie nicht mehr. Für ein paar Stichworte im Stakkato braucht es keine taz. Aber: Die kurze Form mehr oder weniger zu nutzen – mit einem Mindestmaß an Erklärung und Detail – das entscheidet das Ressort jeweils nach Lage.
An der ein oder anderen Stelle drückt es noch …
Auch, was die Kolleg*innen sagen, hat uns interessiert. Jens Schneider schimpfte in der Süddeutschen Zeitung über ausbleibende taz-Momente auf zu flächigen Titelseiten – es folgte eine eingehende Diskussion. Ausgerechnet ein Kollege von drüben, von Springer, schwärmte. „Zeitungen sind etwas Wunderbares, daran erinnert die neue alte ‚taz’“, schrieb Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt. Der Relaunch zeige, dass die Tage von Print nicht gezählt seien.
Kein neues Outfit ohne Kampagne dafür. „Print-à-porter“ hieß der Slogan unserer Marketing-Abteilung, um mit dem neuen Layout für Probe-Abos zu werben. Die Strategie: Wir begannen mit einem bezahlten Probeabo („10 Wochen für nur 10 Euro“) kurz vor der Bundestagswahl und terminierten den Start der neuen taz kurz nach der Bundestagswahl. Und tatsächlich: In derart politischen Zeiten kombinierten sich das Interesse an unseren Berichten und Kommentaren mit der Neugier auf die neue taz. 7.919 zahlende Testleser*innen haben wir gewonnen. Die Kampagne läuft, auf dass es noch mehr werden.
Für uns in der Redaktion ist die das neue Kleid noch längst nicht zur zweiten Haut geworden. Es gibt ein paar Stellen, die uns noch drücken. Die Seite eins am Wochenende bietet maximale Freiheit – und maximale Fallhöhe. Die Seite drei am Werktag könnten wir mehr variieren. Aber bei einem maßgefertigten Kleidungsstück die Nähte wieder auftrennen? Das werden wir bleiben lassen. Erstmal wird das neue Layout noch ordentlich eingetragen.